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Oscar 2014 – Die Retrospektive

An einem bestimmten Sonntag zu Beginn eines jeden Jahres sitzt man, pünktlich gegen zwei Uhr nachts, oder morgens, je nach Perspektive, vor dem Fernseher, ärgert sich, dass man wieder zehn Minuten zu früh eingeschaltet hat und daher noch die letzten absolut kläglichen Witzversuche der schwer aushaltbaren Pro-7-Mikrofonständerin Annemarie Carpendale (geb. Warnkross, das muss einem ja gesagt werden) und des überhaupt nicht aushaltbaren Teleshopping-Imitators Steven Gätjen mitbekommen muss. Nach einer Werbepause und einer kurzen Werbepause geht es dann los: Die Oscars laufen und insgeheim fragt man sich jedes Mal aufs neue, ob die Academy of Motion Picture Arts and Sciences es wohl dieses Mal hinbekommt, die Veranstaltung aus ihrem traditionell äußerst engen Korsett zumindest etwas zu lösen.

Nein, sie bekommt es natürlich nicht hin. Versuche werden zwar von Jahr zu Jahr gemacht, meistens gehen sie jedoch nach hinten oder gar nicht los. Seth MacFarlane war so ein Versuch, als Moderator letztes Jahr, aber man merkte, dass sein gewohnter und zumeist provokanter Humor dann doch aus dem Hintergrund gedeckelt wurde. Dabei kann es doch so einfach sein: Die Golden Globes haben es 2010 vorgemacht, mit Ricky Gervais, der als Belohnung für seine über einen Zeitraum von mehreren Stunden verteilten verbalen Ohrfeigen dann als Dank in den zwei Folgejahren nochmals ran durfte. Keine Angst davor zu haben, sich selbst auf die Schippe zu nehmen, das machten die Golden Globes vor. Die Oscars haben sehr viel Angst, man kann es mit einer Familiensituation vergleichen, sie stehen dabei für die spießbürgerlichen Eltern, während die Golden Globes die pubertierenden Jugendlichen sind. Nun ja, auch die Globes agieren innerhalb eines bestimmten Rahmens, so dass sie vielleicht diejenige Form von Jugendlichen sind, die sich freuen, wenn sie dann doch mal Papas Auto benutzen dürfen.

Man kann der diesjährigen Moderatorin Ellen DeGeneres jedoch nicht vorwerfen, dass sie ihren Job schlecht gemacht hätte. Ihr anarchischer Humor blitzte durchaus zwei Mal auf und sorgte damit für immerhin zwei großartige Momente. Eine wundervolle Idee war das kollektive Star-Selfie, welches Bradley Cooper von ihr, sich selbst, Meryl Streep, Jennifer Lawrence, Kevin Spacey, Lupita Nyong’o, deren Bruder, Brad Pitt, Angelina Jolie und einem halben Jared Leto schoss. Zwar war die Aktion ein einziger durchkomponierter Samsung-Werbegag, denn das Smartphone wurde mehrfach prominent in die Kamera gehalten, dennoch ein netter Einfall, der sein Ziel, den ReTweet-Rekord auf Twitter zu brechen, tatsächlich erreichte und den Kurznachrichten- dienst damit sogar zum Zusammenbrechen brachte.

Auch die spontan erscheinende Pizza-Lieferung war ein netter Gag, die drei Pizzen wurden tatsächlich gegessen und man erlebt es ja schließlich nicht jeden Tag, wie Brad Pitt Pappteller verteilt. Für den scheinbar ahnungslosen Lieferanten hat es sich gelohnt, die Stars ließen 600 Dollar Trinkgeld springen. Ein Hauch inszenierter Normalität, die mit Genuss kauende Jennifer Lawrence am Bildrand war aber so oder so ein interessanter Anblick.

Zwei kleine Highlights waren dies, es gab noch vier weitere, wenn auch nicht wirklich zeitintensive. Das erste war eine extrem witzige Laudatio von Jim Carrey, der etwas über Animationseffekte sagen musste und sie aufgrund ihrer visuellen Kraft mit LSD verglich. Komiker an die Front, sie sind definitiv begeisterungsfähiger als ein Großteil ihrer Schauspielkollegen. Das bewies auch Jamie Foxx bei seiner Laudatio für die beste Filmmusik, der durch eine Gesangseinlage mit arg hoher Stimme seine Mitpräsentatorin Jessica Biel kurz aus dem Konzept brachte. Die „Happy“-Performance von Pharrell Williams war mitreißend, auch für Lupita Nyong’o, Meryl Streep und Amy Adams, die sich alle auf ein kurzes Tänzchen mit Pharrell einließen. Schließlich war, kurz vor Ende, die Dankesrede von Cate Blanchett für den Oscar als beste Hauptdarstellerin in „Blue Jasmine“ das wirklich Highlight der Verleihung, witzig, spritzig, selbstironisch und ein wenig politisch, inklusive Dank an Woody Allen, wobei sich das Publikum bei der Erwähnung des notorischen Oscar-Verweigerers nicht sicher war, ob es jetzt applaudieren sollte oder lieber doch nicht.

Auch der Eröffnungsmonolog von Ellen DeGenres war durchaus charmant, sie verteilte ein paar kleine Hiebe gegen das Showbusiness, verglich die Oscarverleihung mit den „Hunger Games“ (alle in einem Raum eingesperrt, überall Kameras und am Ende gewinnt Jennifer Lawrence) und machte sich über die Grande Dame Liza Minelli lustig. Ein wenig gemein, ein wenig anarchisch, aber um die ganze Veranstaltung tatsächlich mal zu entstauben, müssten ein paar Maßnahmen her. Denn ein paar kleine Höhepunkte in einer Vier-Stunden-Show sind einfach zu wenig.

Die Oscars sind natürlich finanziell ähnlich einträglich wie der Super Bowl, trotzdem kann das Konzepot schwer ernst nehmen, wenn es in ein durch und durch kommerzielles Rahmenprogramm eingebunden sind, das alle fünfzehn Minuten die Veranstaltung zerhackt. Das größte Problem waren jedoch nicht einmal die Werbepausen, das größte Problem waren die Ein- und Ausleitung der Werbepausen. Fest steht: Die Verleihung selbst würde definitiv eine Golden Himbeere für den schlechtesten Schnitt und den schlechtesten Tonschnitt bekommen. Nicht nur, dass die Kameraschwenks über das Theater häufig mit der „Oscar 2014“-Werbe-Animation kollidierten, auch wurde gerne mal zu früh wieder ins Dolby Theatre hineingeschnitten, so dass man ein Mal sogar für etwa zehn Sekunden eine leere Bühne mit davor stehenden, sich unterhaltenden Schauspielern bei undefinierbarer Geräuschkulisse sah, bevor Ellen DeGeneres, sich des Patzers scheinbar bewusst, schwungvoll auf die Bühne kam. Eventuell wäre ein anständiger Cutter nächstes Jahr keine ganz so schlechte Idee.

Wenn sich außerdem jemand Moderator oder „Host“ nennt, wäre es daneben vielleicht opportun, ihm oder ihr mehr Raum jenseits des Eröffnungsmonologs zu geben, zumal Ellen DeGeneres unglaublich selbstsicher agierte. Wäre es nicht eine gute Idee, die etwas willkürlich anmutenden und völlig überflüssigen Laudatios von Stars zu reduzieren, die anderthalb Minuten lang ernst in die Kamera schauen und auswendig gelernte Sätze rezitieren, deren Bedeutung ihnen völlig egal ist? Zwei Personen stachen besonders negativ hervor: Zum einen Harrison Ford, wobei dieser eigentlich nicht anwesend war, es handelte sich bei ihm scheinbar um ein Roboter-Double, das im Batterie-leer-Modus agierte. Den größten Patzer leistete sich allerdings John Travolta, der Oscar-Gewinnerin Idina Menzel (Bester Filmsong: „Let It Go“ für „Die Eiskönigin“) als „Adele Dazeem“ bezeichnete. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen: Innerhalb kürzester Zeit wurde ein Twitter-Fake-Account ins Leben gerufen, durch welchen „Adele“ verlauten ließ: „Thank you, Jorn Tromolto!“

Also: Mehr Platz für die Moderatorin und die wahren Laudatoren, denn irgendwann schien es schon fast ein Ausnahmefall zu sein, wenn mal jemand mit einem Umschlag auf die Bühne kam, um einen Oscar zu verleihen. Große Überraschungen kamen allerdings nicht: Zwar gab es keinen eindeutigen Favoriten in Bezug auf den besten Film, jedoch war es klar, dass „American Hustle und „12 Years a Slave“ den Preis unter sich ausmachen würden. Letzterer gewann, was die Tendenz hin zu Stoffen, die sich auf amerikanische Weise mit US-amerikanischer Geschichte beschäftigen, untermauert, nahm jedoch ansonsten trotz neun Nominierungen in Gestalt von Lupita Nyong’o lediglich den Preis für die beste Nebendarstellerin mit nach Hause. Matthew McConaughey als bester Hauptdarsteller für „Dallas Buyers Club“, Cate Blanchett als beste Hauptdarstellerin und Jared Leto als bester Nebendarsteller, ebenfalls für „Dallas Buyers Club“, waren schon vorher quasi gesetzt gewesen. Auch der Oscar für die beste Regie war keine Überraschung, nachdem Alfonso Cuarón für „Gravity“ so ziemlich jeden Regie-Preis der Award Season abgesahnt hatte. Sein Weltraum-Epos war mit sieben Auszeichnungen zumindest zahlenmäßig auch der Gewinner des Abends, es dürfte niemanden wirklich gewundert haben, dass „Gravity“ alle technischen Oscars einsackte. Die Auszeichnung von Spike Jonze für das Drehbuch zu „Her“ war ebenfalls keine Überraschung, eventuell war es nicht vorherzusehen gewesen (und auch nicht verdient), dass „12 Years a Slave“ tatsächlich den Oscar für das beste adaptierte Screenplay gewann. Auch „Die Eiskönigin“ konnte mit ihrem Sieg in der Kategorie „Bester animierter Spielfilm“ keinen überraschen, Disney-Filme stehen bei der Academy hoch im Rennen. Bester fremdsprachiger Film: „La Grande Bellezza“? Keine Überraschung. Bester Filmsong: „Let It Go“? Keine Überraschung. Bestes Kostüm und beste Ausstattung: „Der große Gatsby“? Keine Überraschung.

Fazit 2014: Ein kleiner, richtiger Schritt in Bezug auf die Moderatorin, ein falscher Schritt…nun ja, eigentlich gar kein Schritt in Richtung des Gesamtkonzepts, welches immer noch auf der Stelle tritt. Entschlackung, Entstaubung, das wäre mal angesagt. Auf YouTube wurde durch einen User der Vorschlag gemacht, die Oscars künftig auf HBO zu zeigen, damit man auf die Befindlichkeiten des irreal anmutenden Normalzuschauers keine Rücksicht mehr nehmen muss. Wenn dieser Vorschlag in die Tat umgesetzt wird, das Ganze werbefrei funktioniert und Ellen DeGenres gemeinsam mit Ricky Gervais moderiert, dann könnte man tatsächlich darüber nachdenken, für den Genuss dieser Veranstaltung zum Bezahlfernsehen zu wechseln.

Autor: Jakob Larisch

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