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Der Mohnblumenberg (2011/2013) Review

Es grenzte schon fast an ein kleines Wunder, dass der neueste Animationsfilm aus Japans traditionsreichem Studio „Ghibli“ Einzug in die hiesigen Kinos hielt. Der auf einer Mangareihe von Tetsurō Sayama basierende „Der Mohnblumenberg“ unter der Regie von Altmeister Hayao Miyazakis Sohn Gorō feierte bereits im Juli 2011 seine Premiere in Japan und erschien im November 2013 mit großer Verspätung in den deutschen Filmtheatern. Allerdings tat sich der geneigte Zeichentrick-Fan vermutlich schwer damit, den Film überhaupt zu Gesicht zu bekommen, da dieser nur vereinzelt und über einen kurzen Zeitraum in deutschen Kinos zu sehen war. Eines sei bereits an dieser Stelle gesagt: Habt ihr Gorō Miyazakis Werk leider nicht im Lichtspielhaus erleben können, dann merkt ihn euch definitiv fürs Heimkino vor – die Ghibli-Produktion darf nämlich durchaus als Animations-Kleinod betrachtet werden, das all diejenigen belohnt, die sich auf den nostalgischen Charme des leise daherkommenden Werks einlassen.

Die 17-jährige Umi (Laura Maire) wohnt gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Großmutter und ihren beiden jüngeren Geschwistern in Yokohama. Die Familie beherbergt zudem noch zwei weibliche Untermieter in ihrem geräumigen Haus, welches früher einmal als Krankenhaus genutzt wurde. Leidenschaftlich kümmert sich das junge Mädchen tagtäglich darum, dass sowohl morgens als auch abends für alle Bewohner etwas Nahrhaftes auf den Tisch kommt: Jeden Morgen steht sie bereits vor allen anderen auf, um das Frühstück und etwaige Lunchpakete vorzubereiten, jeden Abend nach der Schule zaubert sie ein Abendessen auf den Tisch. Doch damit nicht genug: Bevor sie mit der Zubereitung des Frühstücks beginnt, geht sie nach draußen, um Signalflaggen für und im Gedenken an ihren Vater zu hissen, der im Koreakrieg als Soldat der japanischen Marine ums Leben gekommen ist. Ihre Mutter ist als Ärztin gerade auf USA-Reise, sodass Umi quasi auf sich allein gestellt ist und bereits viel Verantwortung für sich und andere übernehmen muss. An ihrer Schule begegnet sie Shun (Tim Schwarzmaier), der sich gemeinsam mit seinen Freunden von der Schülerzeitung für den Erhalt des Clubhauses einsetzt, das vom Schuldirektor in Kürze zum Abriss freigegeben werden soll. Fasziniert von dem Jungen und seinem Herzensprojekt beschließt Umi, Shun und die anderen so gut sie kann zu unterstützen. Eine leise Romanze bahnt sich zwischen den beiden Jugendlichen an, die jedoch unter keinem guten Stern steht: Tragische familiäre Verwicklungen scheinen es den beiden unmöglich zu machen, Gefühle füreinander zuzulassen…

Gorō Miyazakis zweite Regiearbeit präsentiert dem Zuschauer wie schon so viele andere Ghibli-Produktionen zuvor einen wundervollen weiblichen Hauptcharakter, den man sofort ins Herz schließt. Die junge Umi versucht die ganze Last ihrer kleinen Welt zu schultern und berührt das Publikum mit ihrer gütigen, entschlossenen und hilfsbereiten Art. Sie scheint geradezu ein Paradebeispiel an (japanischer) Tugendhaftigkeit zu sein, ist sie doch stets zuvorkommend und immer tüchtig. Die Geschichte von Miyazakis Film darf thematisch getrost als zutiefst in der japanischen Kultur und Historie verankert angesehen werden, da sein Film im Jahr 1963 spielt, also ein Jahr vor Austragung der Olympischen Sommerspiele in Tokio und somit in einer Zeit, als sich Japans wirtschaftlicher Aufschwung nach dem verlustreichen Zweiten Weltkrieg immer mehr seinen Weg bahnen sollte. Sozusagen ein Land auf der Suche nach seiner eigenen Identität, was metaphorisch in Form des Clubhauses seinen Weg in die Handlung gefunden hat: So steht die Renovierung des Gebäudes doch eben für den Versuch Altes und Neues harmonisch miteinander zu einen – es obliegt also der ersten Nachkriegsgeneration, die Traditionen des Landes zu wahren und den Neubeginn zu wagen.

Teilweise erzählt Miyazaki seine Geschichte etwas arg plakativ, mitunter sogar nah am Kitsch und auch die teilweise sehr konventionell voranschreitende Story gewinnt sicherlich keinen Innovationspreis. „Der Mohnblumenberg“ wirkt an einigen Stellen nicht so rund und in sich stimmig wie andere Produktionen des Studios, wodurch sich manche Momente vom Ton und der Atmosphäre her einfach nicht so gut ins Gesamtbild einfügen. Außerdem sind die Rückblenden und die Traumsequenz vielleicht etwas holprig integriert worden und auch die Animationen wirken allgemein nicht so flüssig, wie man dies von vergleichbaren Ghibli-Filmen gewöhnt ist, was möglicherweise aber auch schlicht und ergreifend an der Projektion im Kinosaal gelegen haben könnte. Die musikalische Untermalung darf zumeist als passend, ein ums andere Mal aber auch hier als etwas zu plakativ angesehen werden. Die auf Japanisch belassenen Lieder (mit deutschen Untertiteln), von den Charakteren an verschiedenen Stellen der Geschichte vorgetragen, dürfen allerdings als Highlights angesehen werden.

Und auch generell macht Miyazaki Junior bei seiner zweiten Arbeit als Regisseur vieles richtig: Seine zu Herzen gehende Geschichte schafft es in ihren stärksten Momenten, das Publikum geradezu zu verzaubern und entlässt die Zuschauer am Ende zufrieden und mit einer Prise Glückseligkeit aus dem Kinosaal. Sein über weite Strecken behutsam erzählter Film berührt mit seiner bewegenden Geschichte über japanische Jugendliche zu Beginn der 1960er Jahre, als sich der Inselstaat im Umbruch befand und präsentiert uns mit Umi eine der sympathischsten und aufopferungsvollsten Heldinnen der Anime-Geschichte. Der unaufgeregte Zeichentrickfilm glänzt mit seiner melodramatischen und doch gleichzeitig unglaublich zarten Liebesgeschichte und punktet zudem mit liebevoller Nostalgie. Aller Kritik zum Trotz kann ich daher schlussendlich zu folgendem Urteil gelangen: einfach nur schön.

Autor: Markus Schu

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