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Professor Marston & the Wonder Women (2017) Review

© Sony Pictures

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In diesem Kinosommer und im Zuge des anhaltenden Publikumsinteresses für das Superhelden-Genre durfte nun, über 70 Jahre nach ihrer Erschaffung, mit „Wonder Woman“ erstmals die bekannteste Superheldin ihr Kino-Debüt feiern. Im Fahrwasser des Blockbusters dürften auch mehr und mehr Interessierte über die ungewöhnlichen Wurzeln des Charakters gestolpert sein, gilt die Figur doch nicht von ungefähr als feministische Ikone erschaffen und über die Comic-Dekaden weiter erarbeitet. Eine ebenso, wenn nicht sogar viel interessante Facette bildet dabei das Leben von Wonder-Woman-Schöpfer William Marston selbst. Denn in Marstons Privatleben und, der Legende nach zumindest, auch für die Erschaffung seiner Comic-Figur sollen gleich zwei Frauen in seinem Leben, Ehefrau Elizabeth und Mätresse Olive, eine bedeutende Rolle gespielt haben. Diesem faszinierenden Figuren-Trio widmet sich Regisseurin Angela Robinson in ihrem „Professor Marston & The Wonder Women“, der als Biopic getarnt die ganz alten Fragen des Zwischenmenschlichen in bekannten Drama-Strukturen beleuchten will – und damit wahrschlich eine der erfrischendsten Liebesgeschichten dieses Jahres geworden ist.

Denn wo sich der Titel noch stark auf William Marston selbst bezieht, den Psychologieprofessor, frühen Erfinder des Lügendetektors und späteren Comic-Autor, gehört der tatsächliche Film allen drei Figuren in gleichem Maße. Marston (Luke Evans) und Ehefrau Elizabeth (Rebecca Hall) lehren Psychologie an den Universitäten Harvard und Radcliffe und obwohl ihre Ehe keine Anzeichen von Langeweile zeigt, ist doch gerade Elizabeth über die Dominanz der Männerwelt in ihrem Berufsfeld übermäßig frustriert, trotz Verständnisses ihres Ehemannes für diese schwierige Situation. Im Laufe ihres gemeinsamen Strebens nach mehr Anerkennung für Elizabeths Errungenschaften tritt Studentin Olive (Bella Heathcote) als Assistentin in ihr Leben. Marston, der großes Interesse an der jungen Studentin zeigt, muss schnell feststellen, dass sie nicht so unschuldig zu sein scheint, wie sie auf den ersten Blick wirken mag und nicht nur die Avancen des Professors erwidert, sondern auch für seine Frau Elizabeth romantische Gefühle zu hegen scheint. Nur allzu bald finden sich die drei in einem stürmischen, aber liebevollen Dreierverhältnis wieder und noch bevor jeder Beteiligte die aufgeworfenen Fragen um Liebe, Vertrauen und Partnerschaft in dieser unbekannten Landschaft für sich hinterfragen und beantworten kann, beginnt ihr Lebensstil bereits ernste Folgen für ihr gesellschaftliches Ansehen zu haben. Von den etablierten Institutionen aus ihren Berufsfeldern verstoßen, findet sich das Liebesverhältnis aus Existenzängsten mit einer verrückten Idee konfrontiert; die Idee zur ersten weiblichen Superheldenikone, Wonder Woman, soll nicht nur die Rechnungen der ungewöhnlichen Familie bezahlen, sondern auch die Botschaft von Anerkennung, Toleranz und Liebe in eine verständnislose Welt hinaustragen.

Abseits der Inhaltsangabe dürfte der letztendliche Film so manchen unvorbereiteten Zuschauer glatt überrollen. Denn wo Robinson eigentlich ein klassisches Liebes-Drama erzählt, eingebettet in eine Zeit gesellschaftlich festgefahrener Normen und Vorurteile, erkennt man erst einmal immer und überall bekannte Versatzstücke dieser Filmerzählungen. Viele klassische Erzählelemente wie unschuldige Liebe, die von gesellschaftlichen Ansprüchen erstickt zu werden droht, würden sich auch in einem Melodram wie Todd Haynes‘ „Far From Heaven“ oder in ähnlichen Geschichten um ungewöhnliche Liebeskonstellationen wiederfinden. So müssen auch Marston, Olive und Elizabeth in der glücklichen Vorstadtidylle die teils gewaltsame Erfahrung machen, dass hinter der netten Fassade ihrer Nachbarn ein unumwerfliches und starres Moralgerüst lauert, dass ihr Leben außerhalb der Norm zu zerstören und ihre Beziehung zu zerreißen droht. TV-Regisseurin Robinson bricht dabei kaum mit den inszenatorischen Konventionen, pflegt teilweise sogar Klischees munter weiter, wenn beispielsweise der finanzielle Erfolg von Comic-Figur Wonder Woman in einer schnell geschnittenen Montage mit wenig subtilem Voice-Over und flotter Musik unterlegt ist. Und dennoch liegt hier das große Sprengstoffpotenzial, welches Robinson (die auch das Drehbuch verfasste) bewusst zu platzieren scheint und, wenn auch nicht in einer großen, dekonstruierenden Explosion, immer wieder in entscheidenden Momenten des Films gezielt detonieren lässt. Denn die mögliche Entstehungsgeschichte Wonder Womans ist nur ein thematischer Aufhänger, den emotionalen Kern des Films bildet das ehrliche und liebevolle Interesse der Geschichte für seine drei Hauptfiguren. Und geht dabei gleichzeitig mit einer Selbstverständlichkeit für das Thema zu Werke, das Figuren und Erzählung den Raum gibt, die aufkommenden Fragen um Dominanz, Unterwerfung, Eifersucht und Liebe in voller Ausführlichkeit zu beantworten. Robinsons Film verschwendet keine Minute daran, die möglichen Zuschaueremotionen für diese unkonventionelle Liebe aufzufassen und sanft einzubetten; hier geht es nicht darum, kritische Stimmen mit einer sentimentalen Geschichte vom Existenzrecht solcher Lebensentwürfe zu überzeugen. Stattdessen feiert der Film sich und seine Charaktere schlicht selbst und selbstbewusst, durch eine ordentliche und nie unironische Portion Feminismus und Selbstliebe.

© Sony Pictures

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Eine Selbstverständlichkeit also, dass so ein Film mit der Leistung seiner Hauptdarsteller steht und fällt und genau hier können die Herrschaften Evans, Heathcote und vor allem Rebecca Hall tragen, was dem Film mit einer sonst durchschnittlichen Inszenierung vielleicht sonst verwehrt bleiben würde. Evans‘ Marston treibt als selbstbewusst auftretender Psychologieprofessor und subtiler Feminist anfangs nicht nur den Hauptteil der Handlung voran, sondern sät auch bereits erste Zweifel an klassischen Liebeserzählungen und wie Mann in dieser Rolle doch eigentlich auszusehen hat. Unterstützt von seiner Ehefrau sind dabei gerade die ersten Interaktionen mit Unschuldslamm Olive ebenso ehrlich wie humorig, Bella Heathcotes (zuletzt u.a. in „The Neon Demon“ zu sehen) Casting als naives Blondchen, das verführt werden soll, lädt den Zuschauer dabei genau solange ein, sich auf sicherem Terrain zu wissen bis Olivia selbst erste Gelüste zeigt und dadurch den Anschein jeder Unmündigkeit fahren lässt. Daher wird von Ehefrau Elizabeth als Figur auch am meisten schauspielerisch gefordert, die sich irgendwo dazwischen bewegen muss und Rebecca Hall macht hier wieder einmal einen fantastischen Job. Von der ersten Minute an darf sie satt fluchend zeigen, dass Elizabeth zwar selbstbewusst im Leben und in Beziehung zu ihrem Ehemann steht, gleichzeitig aber nicht vor Frustrationen durch eine sexistische Berufswelt gefeit ist. Hall meistert es dabei mit Bravour, die anfängliche Arroganz ihrer Figur gegenüber der scheinbar naiven Olive genau dann abzulegen, als sie feststellen muss, selbst in dieses Verhältnis mit hineingezogen zu werden, sich selbst nicht mehr über die eigenen Gefühle sicher sein zu können und sich in dieser neu entstandenen Beziehung verordnen zu müssen. Hall zeigt dabei in oft kleinen ruhigen Momenten und Gesten stets die Vorurteile ihrer Figur gegen ihre eigenen Gefühle und Weltanschauungen. Umso befreiender, wirksamer und herzlicher können daher auch die Höhepunkte in dem Dreierverhältnis zum Zuschauer transportiert werden – sei es das Aufziehen der gemeinsamen Kinder, ein Liebesspiel zu dritt oder, zum Mittelteil des Films, das Erforschen der eigenen (Ge)lüste und Interessen in Bezug auf Bondagespielereien und Sadomaso-Fantasien.

Auch an diesem Punkt zeigt sich die Offenheit und Ehrlichkeit des Films für all seine eigenen Thematiken. „Professor Marston & The Wonder Woman“ will nie simpel verruchte Tabus bedienen im Zuge eines „Fifty Shades of Grey“, die mit der tatsächlichen Realität dieser sexuellen Vorlieben herzlichst wenig gemein haben und kann genau deshalb, trotz einer alle Grenzen ausreizenden FSK-12-Freigabe, oftmals sexy und eigentlich immer herzlich einnehmend sein. Damit ergibt sich ein Film, der aus der Zeit gefallen und dennoch gleichzeitig voll in der aktuellen Dekade verortet scheint. Mit inszenatorischen Mitteln, die so auch schon vor zwei Jahrzehnten gang und gäbe waren, hier aber genutzt werden, um eine ungewöhnliche Liebesbeziehung mit viel Herz zu erzählen für ein Publikum, das so einer Romanze auch viel aufgeschlossener gegenüberstehen dürfte, sollte sich der richtige Zuschauer im Kinosessel wiederfinden. Und dass alles aufgeladen und angereichert mit einem unironischen, feministischen Unterton, der faszinierenden Origin-Story der bekanntesten Comic-Heldin und einer Prise immer noch nicht ganz enttabuisierter Fesselspiele als ehrlicher Ausdruck der eigenen Sexualität und Vertrauensbasis seines Partners (oder seinen Partnern) gegenüber.

Autor: Simon Traschinsky

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