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Interview: Julia C. Kaiser und Julia Becker zu „Das Floß!“

Von links nach rechts: Christian Natter, Till Butterbach, Anna König, Julia C. Kaiser, Rhon Diels, Julia Becker, Nina Bernards, Jakob Renger © Sebastian Woithe

Von links nach rechts: Christian Natter, Till Butterbach, Anna König, Julia C. Kaiser, Rhon Diels, Julia Becker, Nina Bernards, Jakob Renger
© Sebastian Woithe

Regisseurin Julia C. Kaiser und Schauspielerin/Produzentin Julia Becker zu ihrem „Filmfestival Max-Ophüls-Preis“-Wettbewerbsbeitrag „Das Floß!“

WirSindMovies: Erst mal Glückwunsch zu eurem Film „Das Floß!“, der mir persönlich sehr gut gefallen hat, das kann ich gleich mal vorausschicken. Aber bevor wir zum Film übergehen, erst mal eine Frage: Wie gefällt es euch denn in Saarbrücken, wie war und ist die Stimmung?

Julia Becker: Super, also ich bin das erste Mal hier und finde es klasse. Es macht wahnsinnig viel Spaß und ich hab auch schon viele tolle Filme gesehen.

WirSindMovies: Dann starten wir auch gleich mal mit einer Frage an die Regisseurin: Du hast ja vorher an ganz vielen Kurzfilmen gearbeitet, u.a. „Amoklove“ und „Drop“. „Das Floß!“ war jetzt dein erster Langfilm, den du realisiert hast. Wie gestaltete sich da der Unterschied zur Arbeit an einem Kurzfilm?

Julia C. Kaiser: Es ist ein Riesenunterschied, weil eben alles viel größer ist. Und „Amoklove“, den ich ja 2009 geschrieben und gedreht habe, geht neun Minuten. Es sind zwar schnelle neun Minuten, die auch hergestellt werden mussten, aber das ist natürlich ein ganz anderes Vorhaben, als wenn man dann sagt, man möchte über 80 Minuten erzählen. Natürlich liegen weitere Unterschiede darin, dass wir ein Ensemblefilm sind. Das heißt, es müssen viele Charaktere versorgt wie erarbeitet werden und dementsprechend dann ebenso viele Schauspieler gefunden werden. Und ein solches Vorhaben durchzuführen ist ein Riesenunterschied zu „Amoklove“, da dieser ja während meiner Studienzeit entstanden ist, wo für das gesamte Equipment und die Postproduktion ja die Schule da war und wir die Technik nutzen konnten. Das war jetzt natürlich ganz anders. Völlig ohne nichts haben wir angefangen und losgelegt und mussten sozusagen diese komplette Produktion gemeinsam auf die Beine stellen. Angefangen beim ersten Pitch über die Dreharbeiten über die Postproduktion bis jetzt zur Auswertung.

WirSindMovies: Das wäre jetzt der nächste Punkt: die Finanzierung. Der Film wurde ja größtenteils über Crowdfunding finanziert?

Julia Becker: Ja, über Crowdfunding, aber ebenfalls durch Eigenmittel.

WirSindMovies: Was gab es da an Vor- und Nachteilen bei dieser gewählten Finanzierungsform?

Julia C. Kaiser: Die Vorteile beim Crowdfunding bestehen einfach darin, dass der präsentierte Inhalt „gefunded“ wird, ohne dass dieser in seiner Ursprungsform verändert wird.

WirSindMovies: Im Bezug auf den Film selbst stand ja immer der Begriff der „Impro-Tragikomödie“ im Raum. Man kann sich da natürlich etwas darunter vorstellen. Aber was ist damit genau gemeint? Was ist da noch gescripted? Und was wird da wirklich von den Schauspielern komplett improvisiert?

Julia Becker: Wir hatten ein Buch, in dem der Bogen der Geschichte klar war, dort waren auch die einzelnen Szenen ausgeschrieben, um einen Rahmen bzw. eine Dramaturgie zu haben, was passieren muss. Manchmal gab es dann auch schon ein, zwei Sätze, als Orientierung, wie der Ton in der Szene sein sollte oder was unbedingt erwähnt werden sollte. Dann hatten wir aber immer alle Freiheiten, zu machen, was wir gut fanden und wo uns die Spielfreude hingetrieben hat. Wir mussten nur im Rahmen der Szenen bleiben, damit die Dramaturgie erhalten bleibt.

WirSindMovies: Ich habe mir extra zwei Szenen herausgeschrieben, die mir besonders gut gefallen haben, gerade auch wegen der Improvisation. Und zwar einmal – ich streue nur einen Begriff – „Die Bechermethode“, den Gag dahinter werde ich jetzt nicht noch einmal ausführen. War der Gag komplett spontan? Oder auch die erdachten Anekdoten, die sich die Figuren unmittelbar davor erzählen. Sind die einfach so entstanden?

Julia Becker: Also zu dem Handlungsstrang vorher mit dieser ganzen Besamungsgeschichte, das ist eigentlich eine lustige Geschichte. Der Jakob Renger (Anm. d. Red.: Darsteller des Momo) und ich haben uns gedacht, wir gehen einfach mal in so ein Zentrum, in dem man sich halt besamen lassen kann und lassen uns informieren und haben so getan als seien wir ein Paar. Und dann wollten die aber unsere Krankenkassen-Karten und dass wir fünf Seiten Papiere ausfüllen und dann sind wir wieder gegangen. Wir dachten, wir machen da mal Recherche, aber irgendwie hat das nicht so richtig funktioniert. Und dann habe ich ein Video gefunden auf YouTube, in dem verschiedene Möglichkeiten beschrieben werden und das haben wir uns einmal vorher angeschaut, um ein bisschen Ahnung davon zu haben, über was wir da reden. Also solche Sachen wie die Bechermethode gibt’s halt wirklich, aber die anderen wussten von nichts.

WirSindMovies: Den Gag, der daraus entstanden ist, empfand ich bislang als einen der lustigsten im laufenden Festival, gerade weil er so spontan kam!

Julia C. Kaiser: Genau das verstehen wir eben unter „scripted impro“. Im Buch stand für diese Szene – ähnlich wie in einem Bilder-Treatment – was passieren muss, also welche Informationen in dieser Szene fallen müssen, weil das dramaturgisch für den Fortgang der Geschichte wichtig ist. Welche Punkte werden da geplant, welche Wendepunkte müssen da stattfinden und welche Informationen müssen gegeben werden. Und dann natürlich die Umsetzung, die ist dann sozusagen am Set entstanden, das ist dann die Improvisation. Das heißt man muss durch dieses immer und immer und immer wieder neu spielen und das dann folgende Sammeln von den Dingen, die alle gut fanden und über die alle sagten, diese seien der richtige Weg, etwas finden, das man dann vernünftig zusammenstückeln kann.

WirSindMovies: In dem Film gibt es ebenfalls einige beeindruckende Plansequenzen, wie zum Beispiel die Sequenz auf dem Bootsdach, in der die Kamera lange von oben herab auf die Protagonisten blickt. Wie schwer war es, diese Szenen zu drehen und die Handlungsabläufe der Schauspieler auf die Kamerabewegungen abzustimmen?

Julia C. Kaiser: Ja, das ist tatsächlich ein großes Ballett, welches da stattfinden muss. Die Szene ist übrigens auch ein sehr gutes Beispiel dafür, wie wir improvisatorisch gearbeitet haben. Die Entscheidung, diese Stelle so zu drehen, haben wir unmittelbar am Set getroffen. Statt die Szene normal aufzulösen, entschieden wir uns für eine ausgedehnte Plansequenz. Außerdem sind hier natürlich auch das Timing und die volle Konzentration aller Teilnehmer elementar, denn durch dieses spezielle Setting mit seinen wechselnden Wetterbedingungen und Lichtverhältnissen, muss man sich immer wieder die Frage stellen, wie man das Team auf dieser Fläche platziert oder versteckt. Dann spielt natürlich auch das Durchhaltevermögen der Schauspieler eine Rolle, die trotz Kälte und Nässe unglaublich konzentriert arbeiten müssen. Gerade bei der Plansequenz hat das aber alles super geklappt und sogar alle Kommentare, die da spontan kommen müssen, sind perfekt zu verstehen und fallen zum richtigen Zeitpunkt.

WirSindMovies: Wie gestaltete sich die Rollenvorbereitung bei diesem Film? Bei einem intensiven Kammerspiel wie in diesem Fall ist ja kaum eine Figur mal nur für sich. War es da schwierig, sich immer mit den anderen Darstellern abzustimmen?

Julia Becker: Nein, das war eigentlich kein Problem, denn wir haben schon relativ früh bei der Figurenentwicklung und dann auch beim Casting einerseits darauf geachtet, wer passt und diese Rolle spielen kann, aber andererseits haben wir auch darauf Wert gelegt, mit wem wir persönlich gut arbeiten können. Bei unserer beengten Arbeitssituation dann am Set war uns das ganz wichtig und da ist richtig was zusammengewachsen, so dass sich dann sogar die Dynamiken der Figuren etwas auf uns übertragen haben, weil wir ja auch chronologisch gedreht haben.

Julia C. Kaiser: Was man hier noch sagen muss – und das ist auch extrem wichtig für die Impro – ist, dass wir auch immer mit diesen unterschiedlichen Gruppenkonstellationen intensive Vorgespräche hatten. Die Schauspieler sind schon relativ früh zu uns gestoßen und haben so die Figuren aus dem Buch mit ihren Anmerkungen und Ideen ebenfalls noch mal verändert und angepasst.

WirSindMovies: Was war für euch der zentrale Antriebspunkt oder das zentrale Motiv des Films?

Julia C. Kaiser: Vielfalt! Das Spiel mit unseren Vorstellungen von Rollenbesetzungen, von Mustern, die wir in unseren Leben versuchen zu verfolgen. Weil wir und die Leute auf dem Floß immer wieder feststellen müssen, dass die Geschlechterideen und Geschlechterrollen, die wir im Leben ausfüllen oder ausfüllen wollen, eigentlich nie ganz aufgehen.

WirSindMovies: Der Film wirkt von der Figurengestaltung her am Anfang sehr diffus, aber am Ende ist es ja dann ebenfalls eine, vorsichtig formuliert, klassische Liebesgeschichte zwischen den zwei Protagonistinnen. Obwohl man mit Bezug auf die Genderthematik natürlich die Rollen etwas vertauscht, bleibt die inhaltliche Botschaft jedoch frei von sozialen Geschlechterkonstruktionen.

Julia C. Kaiser: Ja, richtig. Es ist eine Geschichte über Vertrauen und zwei Menschen, die versuchen, eine Absicht füreinander zu erklären, die versuchen wollen, sich ein Versprechen zu geben.

Julia Becker: Und dann irgendwie auch wieder völlig fern von dem Thema Gender. Ob es ein Mann und eine Frau, zwei Männer oder zwei Frauen sind, das ist eigentlich egal.

WirSindMovies: Wie geht es jetzt weiter mit dem Film? Nach der Vorstellung hat sich ja sogar schon jemand gemeldet und gefragt, ob ihr so etwas auch für das Fernsehen machen wollt. Ist das eine Überlegung wert?

Julia C. Kaiser: Ob das konkret für das Fernsehen ist, ist noch gar nicht im Gespräch. Aber wie wir dieses Konzept erarbeitet haben, mit der Scripted-Impro und dem Team, das hat mir persönlich total die Augen geöffnet. Ich habe das Gefühl, dass da unglaublich viel möglich ist und das will ich sofort noch mal machen. Wenn sich dann jemand meldet und sagt, dass er das bezahlen will, ist das natürlich super!

WirSindMovies: Wäre Crowdfunding als ein Mittel der Projektfinanzierung eine Möglichkeit, die ihr immer wieder in Betracht ziehen würdet?

Julia C. Kaiser: Die Leute, die dort spenden, wenn man unbekannt ist und nicht den Stromberg-Film dreht, sind natürlich auch zum großen Teil Verwandte und Freunde und ich glaube, deshalb kann man das auch nur begrenzt machen. Sagen wir mal… alle fünf Jahre vielleicht (lacht).

Julia Becker: Wobei man da auch überlegen muss, wie groß das soziale Netzwerk ist, das wir uns erschließen können. Wie gut können wir mit den Mitteln, die wir haben, arbeiten? Das sind noch sehr direkte Netzwerke wie Freunde und Verwandte. Wenn wir es jetzt mit „Das Floß!“ schaffen, eine größere Fangemeinde zu generieren, dann funktioniert die Idee vom Crowdfunding viel konkreter. Prinzipiell finde ich, dass Crowdfunding eine der besten Ideen ist, die in den letzten Jahren aufgekommen ist. Das ist das basisdemokratischste Kulturgeschehen überhaupt. Du kannst direkt wählen, welche Musik oder welchen Film du haben möchtest.

WirSindMovies: Noch eine kleine Abschlussfrage: Unter den „Belohnungen“, die es für die Spender gab, waren auch die so genannten „Pimmelhosen“ und „Tittenshirts“. Sind die schon komplett weg?

Julia Becker: Ich glaube tatsächlich, dass die komplett weg sind! Da müssen wir uns noch mal Gedanken machen…

Julia C. Kaiser: …ob wir in die Großproduktion gehen und davon unsere nächsten Filme bezahlen! (lacht)

WirSindMovies: Wir bedanken uns für das Interview und wünschen weiterhin viel Erfolg mit dem Film!

Das Interview führte Max Fischer.

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