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Festival Nippon Connection: Killing (2018/2019) Review

Shinya Tsukamotos neuer Film „Killing“ beginnt extrem stark: Wir sehen jemandem beim Schmieden eines Schwertes zu. Lautes, überwältigendes und immersives Sounddesign schlägt einem entgegen. Es folgt die Großaufnahme einer Hand, welche die gerade hergestellte Waffe fest umklammert. Man spürt den Herzschlag, fühlt den Schweiß, hört die schwere Atmung. Obwohl keiner der Zuschauer wahrscheinlich je in einer derartigen Situation war, kann man anhand dieser Momente vielleicht nachvollziehen, wie sich ein Krieger im Angesicht des Todes fühlt. Gerne hätte er die Projektion sogar noch lauter gemacht, bemerkte der bei der Vorstellung anwesende Regisseur. Diese Sequenz etabliert im wahrsten Sinne des Wortes den Ton für den Film.

Dabei ist das Leben des Protagonisten Mokunoshin Tsuzuki (Sosuke Ikematsu) auf dem japanischen Land der Edo-Zeit erst einmal unspektakulär. Allerdings ist er ein begeisterter Schwertkämpfer und leistet sich mit einem guten Freund immer mal wieder Fechtereien und macht nebenbei der hübschen Yu (Yū Aoi) schöne Augen. Aus diesem Spiel wird jedoch bitterer Ernst, als der herrenlose Samurai Jirozaemon Sawamura (Shinya Tsukamoto) in das Dorf kommt. Er ist auf dem Weg nach Edo, um dort dem Shōgunat zu dienen. Mokunoshin und sein Freund sind zunächst begeistert und wollen sich dem Ronin auf seiner Reise anschließen. Im Laufe der Handlung geschehen ihm und den Menschen um ihn herum jedoch eine Vielzahl verheerender und unmenschlicher Dinge, die ihn seine anfängliche Euphorie noch einmal gründlich infrage stellen lassen.

In den Kampfszenen kommt dabei immer die Handkamera zum Einsatz und die Farben des Films sind durchweg (von einigen Innenszenen bei Kerzenlicht einmal abgesehen) leicht verwaschen und gräulich wie bei bewölktem Himmel. Auf diese Weise wird es dem Zuschauer nahezu unmöglich gemacht, während der Gewaltszenen ein Gefühl der ästhetischen Befriedigung zu empfinden. Dennoch weiß der Film auf technischer Ebene zu faszinieren. So lädt unter anderem der Soundtrack des inzwischen verstorbenen Komponisten Chu Ishikawa zum letzten Mal in einem Tsukamoto-Film alles Geschehen mit einer einzigartig verstörenden Stimmung auf.

In einigen durch den ganzen Film verstreuten Momenten erreicht „Killing“ tatsächlich fast die Wirksamkeit eines „Tetsuo: The Iron Man“ (1989) oder „Tokyo Fist“ (1995). Vor allem direkt am Anfang und ganz am Ende wird durch intensive Klanggestaltung eine extrem dichte Atmosphäre erzeugt. Diese Momente sind jedoch leider zu selten und der Film konzentriert sich stattdessen oft einfach darauf, einen konventionellen Geschichtsverlauf zu zeigen. Das Erzählte ist dabei selten wirklich schlecht. Es lässt jedoch die emotional packende Unbegreiflichkeit von Tsukamotos früheren Filmen missen. Er ist als Regisseur offensichtlich reifer geworden und so ist durchweg ziemlich ersichtlich, wie „Killing“ zu verstehen ist. Es geht nämlich genau darum: Den abscheulichen Akt der Gewalt.

In Tsukamotos erstem Jidai-geki (Samurai-Film) wird so auch indirekt eine scharfe Kritik an der aktuellen japanischen Gesellschaft und der Politik Shinzō Abes geübt. Durch das allmähliche (Aus)Sterben der noch kriegsversehrten Generation in Japan würden die jungen Leute immer mehr vergessen, was für ein Horror Krieg und Töten doch eigentlich sind; die Bereitschaft für einen Krieg würde wieder steigen. Zumindest sagte Tsukamoto dies in einem Q&A. Für derart brisante politische Aussagen war der historische Stoff in Japan schon lange ein beliebtes Mittel. Man bedenke nur Klassiker wie „Harakiri“ (1962) über die heuchlerische Auslegung des Samurai-Ehrenkodex‘ oder „The Sword of Doom“ (1966), welcher ebenfalls die grässlichen Abgründe des Mordens erkundet.

„Killing“ mag nun kein weltbewegender Klassiker sein, wie „Tetsuo“ oder „Harakiri“. Er nutzt jedoch die einzigartigen Möglichkeiten des Mediums Film, um den Schrecken des Blutvergießens für einen Unwissenden erfahrbar zu machen und reiht sich somit trotzdem ein in das unverkennbare Gesamtwerk eines Kultregisseurs.

Autor: Johannes Keens

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