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Wildling (2018) Blu-ray-Kritik

© capelight pictures

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Auch wenn die Zeit klassischer Märchen im Geiste der Gebrüder Grimm lange Zeit vorbei ist, so finden sich doch auch in populärer Kultur immer wieder Überbleibsel, in der einen wie der anderen Weise verarbeitet, zitiert oder referenziert. Seien es visuelle Muster, seien es dramaturgische Anleihen: Die Bandbreite reicht von parodistischen Bearbeitungen klassischer Stoffe wie „Hänsel und Gretel: Hexenjäger“ (2013) über deren Neuinterpretationen wie „Maleficent – Die dunkle Fee“ (2014) bis hin zu oftmals im Horror-Genre zu findenden und eher auf einer abstrakten stilistischen sowie gleichermaßen semantischen Ebene funktionierenden Entlehnungen. „Wildling“, das Regiedebüt des deutschen Regisseurs Fritz Böhm, lässt sich in die letzte Kategorie einordnen: Eine Art moderne Mischung klassischer Topoi, düster im Tonfall und äußerst versiert in der Ausführung.

Der dunkle Wald als Gefahr; ein Fabelwesen als Abschreckung wie gleichermaßen als das „Andere“, das der bürgerlichen (in diesem Falle: suburbanen), scheinbar geordneten Welt gegenübergestellt wird; ein allegorischer Charakter der erzählten Geschichte: „Wildling“ ist dabei kein genuines Märchen, sondern es sind bestimmte, bewährte Variablen, die der Film in der Handlung um die 16-jährige Anna (Bel Powley), die nach der Befreiung aus der Gefangenschaft ihres Vaters bei der Polizistin Ellen Cooper (Liv Tyler) sowie deren Bruder Ray (Collin Kelly-Sordelet) unterkommt und nicht nur mit einer ihr ganz unbekannten Welt, sondern auch mit Veränderungen auf körperlicher wie mentaler Ebene zurechtkommen muss, aufgreift und umformt. Eine filmische Schwester von „Ginger Snaps“ (2000) und das ist, muss man sagen, nicht die schlechteste Referenz. Natürlich geht es um eine Parabel auf die Pubertät, auf das Neue, Unbekannte, das mit dieser Zeit einhergeht, die Unsicherheiten, Veränderungen, Möglichkeiten und Unwägbarkeiten. Lange Zeit werden Annas Veränderungen zwar durchaus ausgespielt, aber selten erklärt. Auch sie weiß nicht, was wann mit ihr geschieht bzw. geschehen wird, sie entdeckt immer wieder neue Fähigkeiten oder Transformationen, womit der Kenntnisstand sich für den Zuschauer ebenso gestaltet wie für sie und für ihre Quasi-Mutter Ellen. Es ist am besten, wenn man gar nicht mehr über all dies weiß, denn „Wildling“ hält einige markante Überraschungsmomente bereit.

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Böhm erkundet gemeinsam mit seiner Protagonistin die für sie unbekannte Welt, wobei der Film stilistisch enorm sicher und sehr stilvoll inszeniert ist. Alles wirkt wie aus einem Guss, die Atmosphäre, die aus dem Zusammenspiel von Kleinstadt und Wald evoziert wird, hält „Wildling“ bis zum Ende aufrecht und spiegelt das Geheimnisvolle, dass sowohl Anna als auch aus ihrer Sicht die „Zivilisation“ umgibt. Böhm macht auch vor ein paar ziemlich drastischen Momenten nicht Halt, die jedoch wohldosiert gesetzt sind und stets die jeweiligen Momente abrunden. Der Film lebt zudem von seiner brillanten Hauptdarstellerin: Die britische Schauspielerin Bel Powley, am ehesten bekannt aus dem Coming-of-Age-Film „Carrie Pilby“ (2017) und dem Ende des Jahres erscheinenden Biopic „Mary Shelley“, legt ihre Rolle zwischen den zwei so unterschiedlichen Polen Verletzbarkeit und Selbstsicherheit an, sie ist, indoktriniert durch die Gruselgeschichten ihres Vaters, zum einen konfrontiert mit einer ihr vollkommen unbekannten Welt, zum anderen jedoch relativ schnell frei von Angst davor, während sie ihr Potenzial und ihre Möglichkeiten, aber auch ihre dunkle Seite erforscht. Daneben ist es schön, mal wieder Liv Tyler in einer größeren Rolle zu sehen; als Annas Vater tritt hier übrigens „Chucky“-Stimme Brad Dourif auf.

Lediglich gegen Ende verfällt „Wildling“ ein wenig in dramaturgischen Galopp, so als hätte es eine Laufzeitfrist gegeben, die Böhm nicht überschreiten durfte. Wurde vorher Wert auf eine ruhige und akkurate Entfaltung der Story gelegt, geht die Auflösung im Gegensatz dazu teils etwas schnell voran. Dies soll den Gesamteindruck jedoch nicht nennenswert schmälern, als Regiedebüt ist der Film ohnehin ziemlich bemerkenswert. „Wildling“ ist ein exzellent inszenierter, atmosphärischer und spannender Thriller, angesiedelt in der kreativen und gar nicht mal so kleinen Schnittmenge von Horrorfilm und Märchen.

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Die Edition: „Wildling“ erscheint von capelight pictures parallel als Mediabook, Single-Blu-ray und Single-DVD. Die Blu-ray kommt hierbei in einem schicken O-Card-Schuber mit Glanzeffekt daher, als Bonus gibt es sowohl Outtakes wie auch entfallene Szenen.

Autor: Jakob Larisch

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