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Leid und Herrlichkeit (2019) Review

© Studiocanal / El Deseo / Manolo Pavón

© Studiocanal / El Deseo / Manolo Pavón

Pedro Almodóvar gilt als der aktuell international bekannteste spanische Regisseur. Zwar ist er für seine inszenatorischen Fähigkeiten bekannt und gelobt, nicht zuletzt liegt seine Bekanntheit aber wohl auch darin begründet, dass besonders seine früheren Werke einiges an Skandalpotenzial lieferten. Mit einer gewissen voraussetzenden Selbstverständlichkeit inszenierte er immer wieder Homosexualität, Transsexualität, Sex und Gewalt eingebettet in Geschichten über Liebe, Tod und Mord, die er in unkonventionellen Kontexten und Konstellationen in ihren menschlichen Abgründigkeiten erkundete. Außerdem verarbeitete Almodóvar immer wieder biographische Bezüge in seinen Filmen, aber wohl in keinem so sehr wie in seinem neuen Film „Leid und Herrlichkeit“. So spricht auch dessen Protagonist, ein alternder Regisseur (da fängt es schon an), von Autofiktion in seinen Werken, einem aus der Literaturwissenschaft stammenden Begriff, der die unscharfe Definition eines fiktionalen Werkes mit autobiografischen Elementen umschreibt. Daher beginnt der deutsche Trailer des Films nicht umsonst mit einem Zitat von Almodóvar selbst: „Basiert ‚Leid und Herrlichkeit‘ auf meinem Leben? Nein, und ja, auf jeden Fall.“

Regisseur Salvador Mallo (Antonio Banderas) scheint die Zeiten von Erfolgen und Exzessen hinter sich gelassen zu haben. Von zahlreichen körperlichen Gebrechen und den daraus resultierenden Schmerzen und Schlaflosigkeit geplagt, ist er nicht mehr in der Lage, Filme zu drehen und schreibt auch nicht mehr. Zu Veranstaltungen, zu denen er eingeladen wird, geht er nicht und überhaupt ereignet sich außer Begegnungen mit Agentin Mercedes (Nora Navas) und Arztbesuchen eigentlich nichts mehr. Durch eine zufällige Begegnung mit einer alten Bekannten, der Schauspielerin Zulema (Cecila Roth), nimmt Salvador wieder Kontakt zu dem Schauspieler Alberto Crespo (Asier Etxeandia) auf, um mit ihm gemeinsam zur Vorführung seines neu restaurierten Filmes „Sabor“ zu gehen. Da die beiden sich jedoch vor der Premiere des Films überworfen hatten, weil Salvador mit Albertos Verkörperung der Hauptfigur unzufrieden war, reagiert Alberto zunächst eher abweisend. Das erneute Aufleben der Freundschaft der beiden führt nicht nur dazu, dass Salavador beginnt, Heroin zu nehmen und sich mit Erinnerungen an seine Kindheit und an seine Mutter Jacinta (Penelope Cruz und Julieta Serrano) auseinanderzusetzen, sondern bringt auch weitere Ereignisse ins Rollen, die ihn ebenfalls mit Vergangenem konfrontieren.

Ein herausragender Antonio Banderas verkörpert sehr verletzlich Salvador, dem es zu Beginn auch abgesehen von seinen physischen Krankheiten nicht unbedingt gut geht. Aber die scheinbare Ereignislosigkeit in seinem Leben, bei der Salvador keinen Antrieb mehr hat und irgendwie nichts so richtig ansteht und erlebt wird, schafft eine Ruhe, die sich, obwohl genau diese Ereignislosigkeit ja durchbrochen wird, auf den gesamten Film überträgt und damit die Perspektive für alles weitere setzt. Sie schafft die Grundlage dafür, dass Salvador mit Abstand Dinge wieder anders betrachten kann, sich bis zu einem gewissen Grad unaufgeregt damit konfrontiert und dadurch wieder ins Leben und Empfinden zurückfindet. Da Salvadors Perspektive auf verschiedene Arten in jeder Szene die bestimmende ist, kann man sich so ganz anders auf die farbenfrohen, stilisierten Bilder, die Dialoge, Alberto Iglesias‘ wunderschöne Musik und die Empfindungen einlassen. Es besteht letztlich nie wirklich Zweifel daran, dass der Film auf das Ziel hinarbeitet, dass Salvador am Ende wieder einen Film macht (schließlich ist die Existenz von „Leid und Herrlichkeit“ selbst fast schon der Beleg dafür), dennoch arbeitet sich die Dramaturgie eigentlich nicht an voraussehbaren und klaren Punkten ab, sondern mäandert fast schon ziellos dahin, ohne es um des Mäanderns willen zu tun, und offenbart erst in ihrem Verlauf ihre – mal mehr, mal weniger – offensichtlichen Kausalketten.

© Studiocanal / El Deseo / Manolo Pavón

© Studiocanal / El Deseo / Manolo Pavón

Dabei ergeht der Film sich aber nicht in einem klischeehaften Wiedergeben von verbalisierten Erkenntnissen, sondern zeigt Salvadors Eindrücke, Gefühle und Reaktionen und setzt sie in Bezug zueinander. Außerdem vermischt die Handlung zunehmend Vergangenheit, Gegenwart und Fiktion und wird von einer Geschichte über das Leben und Altern eines Regisseurs auch zu einer, die selbst über das Erzählen ihrer Inhalte reflektiert. Dadurch wird sie eben kein Abgesang auf die eigene Herrlichkeit, allenfalls auf die eigene Perspektive. Innerhalb dieser arbeitet der Film sich an ganz verschiedenen Themen ab, die natürlich eingebettet wirken. Vordergründig steht das Thema Altern, gleichzeitig tritt es aber auch hinter die Beschäftigung mit Salvadors Leben zurück. Wiederum ein zentrales Element von Salvadors Leben ist offensichtlich Erleben und Machen von Kunst, ganz besonders natürlich Film. Seine Bezüge zur Kunstwelt stehen im Kontext zu seiner Verbindung zu Madrid, andererseits aber auch zu seiner eher ärmlicheren Herkunft fern von Madrid, wo der Zugang zu Bildung nur über die Kirche möglich war. Deren Weltbild kollidiert nicht nur mit seinem, sondern auch mit seiner Homosexualität. Dadurch wird Liebe in nicht-heteronormativen Konstellationen zu einem weiteren Aspekt, den der Film ganz unaufgeregt gefühlvoll zeichnet, ohne ihn zu banalisieren. Zusätzlich zeigt er den großen Einfluss, den Frauen auf Salvadors Leben hatten und haben, ganz besonders seine Mutter. All das und weiteres verbindet sich mit Erinnern und Verzeihen – sich selbst wie anderen – und dem Verarbeiten von Verlust. Gesammelt steht dies wiederum im Kontext dessen, welche Verbindungen innerhalb seines Lebens für Salvador positiv wie negativ relevant geblieben sind und warum. Neben Parallelen zu Almodovars Biographie zeigen sich auch in den Themen selbst die autobiografischen Bezüge des Films, da diese Motive sich bereits in seinen bisherigen Filmen finden, wenn auch teilweise dramatischer und komödiantischer. Die für Almodovar typische menschliche Abgründigkeit gerade bezüglich Liebe und Verlangen ist allerdings deutlich zurückgefahren, findet sich aber beispielsweise in der Verarbeitung des Einflusses von Salvadors aufkommender Heroinsucht wieder.

„Leid und Herrlichkeit“ ist nicht nur eine sehr gefühlvolle, ruhige und farbenfrohe Reflexion über das Älterwerden, das Leben und das eigene künstlerische Schaffen, sondern auch eine vielschichtige Betrachtung von künstlerischem Reflektieren. Wie viel von Pedro Almodóvar in Salvador Mallo letztlich steckt und wie viel ein Sinnbild von Almodóvars Erfahrungen ist, weiß wohl nur er selbst. Letztlich ist das für den Film aber auch nicht wirklich relevant, allenfalls spannend zu überlegen.

Autorin: Clara Roos

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