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Im Herzen der See (2015) Review

© Warner Bros.

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Es ist dunkel in der auch ansonsten sehr trüben Hafenstadt Nantucket im Jahre 1850. Nur ab und an erleuchtet das Licht eines entfernten Leuchtturms die nassen Häuserwände. Plötzlich erspäht man inmitten vieler dunkler Gestalten einen Mann, der zielstrebig auf ein Gebäude zusteuert. Es ist der damals noch recht unbekannte Schriftsteller Herman Melville (Ben Whishaw), welcher an einem neuen Roman mit dem vorläufigen Titel „Moby Dick“ arbeitet. Aber das ist nicht die Geschichte von Kapitän Ahab oder Ishmael, es ist nicht das fatalistische Rache-Epos, das heute jeder kennt. Nein, in „Im Herzen der See“, dem neuen Film von Regisseur Ron Howard, geht es vielmehr um die wahre Geschichte hinter dem Mythos. Es geht um die inspirierende und gleichzeitig beängstigende Geschichte der Essex, einem Schiff, das im Jahr 1820 Opfer eines Walangriffs wurde. Melville diente diese „wahre“ Geschichte als Vorlage für sein Meisterwerk und im besagten Jahr 1850, 30 Jahre nach dem Unglück, möchte der aufstrebende Autor mit dem damaligen Schiffsjungen Thomas Nickerson (Brendan Gleeson/Tom Holland) über die Geschehnisse sprechen. Er möchte mehr über den arroganten und unerfahrenen Kapitän George Pollard (Benjamin Walker) erfahren, der seiner Crew mit mehreren unüberlegten Entscheidungen damals fast den Tod brachte und er möchte mehr über den abgebrühten ersten Offizier Owen Chase (Chris Hemsworth) wissen, der als Kind der Unterschicht um Anerkennung auf hoher See kämpft. Vor allem aber möchte Melville mehr über diesen einen Wal erfahren.

Auch Ron Howard möchte mit seinem neuen Werk hinter die Kulissen blicken und die Geschichte des weißen Wals erden. Er interessiert sich zwar auch für das Ungetüm, aber noch weit mehr für die Menschen. Er inszeniert hier einen packenden Überlebenskampf im Mantel eines Blockbusters alter Schule und macht das Seeungeheuer zu einem Stichwortgeber. Und was soll man sagen? „Im Herzen der See“ atmet den Geist längst vergangener Großproduktionen aus Hollywood und zeichnet sich dennoch durch eine überraschende dramaturgische wie visuelle Eigenwilligkeit aus, welche oftmals an Howards direkten Vorgängerfilm „Rush“, ebenfalls mit Chris Hemsworth, erinnert. Überhaupt scheint Hemsworth zu einer Muse für den Regisseur heranzuwachsen und das tut beiden gut. Der „Thor“-Darsteller sticht aus dem großartigen Ensemble rund um Tom „Spider-Man“ Holland und Cillian Murphy heraus und liefert hier, auch physisch gesehen, seine aufopferungsvollste Darstellung bisher ab.

Nach den ersten Trailern und Kritiken konnte man schon erahnen, dass diese Schiffsfahrt ebenso ihre Schwächen haben würde. Die artifizielle Gestaltung des Wassers, die Fehlbesetzung einiger Darsteller und erzählerische Schwächen sind auch nach der Veröffentlichung des Streifens noch Aspekte vieler Filmbesprechungen. Ich persönlich konnte meinen Frieden mit vielen möglichen und nun vorhanden Unzulänglichkeiten machen. Den starken CGI-Einsatz merkt man dem Streifen stets an, der visuellen Immersion schadet dies aber nicht. Tatsächlich bietet „Im Herzen der See“ einige grandiose Schauwerte und ist abseits davon hervorragend geschnitten und in Szene gesetzt. Die tollen Darsteller haben schon ein Lob bekommen, es sei allerdings nochmals angemerkt, dass ich Hemsworth und seine beste Rolle nicht in diesem Film vermutet hätte, aber siehe da, das Spektakel funktioniert gerade wegen seiner aufopferungsvollen Darstellung.

© Warner Bros.

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Schwächen hat das Werk trotzdem. Die ersten Kapitel ziehen sich etwas und die zeitliche Zweiteilung der Story raubt dem Plot immer etwas Tempo. Außerdem sollte man zumindest eine gewisse Affinität zu Abenteuerfilmen der klassischen Schule haben. Dennoch zeichnet sich das Werk ebenfalls durch einen konstanten Qualitätsanstieg aus. Nach einer Stunde schöpft der dramatische Überlebenstrip sein Potenzial voll aus, dafür aber dann so konsequent, dass zumindest ich dem Regisseur nur danken kann. Danken dafür, dass hinter „Moby Dick“ nicht nur eine wahre Geschichte steckt, sondern auch eine tolle Verfilmung eben jener.

Wer mit dem Film „Apollo 13“ aufgewachsen ist, der versteht vielleicht, was Ron Howard mit seinen Kreationen sein will und kann. Ein Mann für große Blockbuster mit Sicherheit, aber auch kein Steven Spielberg oder Michael Bay. Schon seine damalige Weltraummission war ein Stück zurückgenommenes Spektakel. Ein Film der erstaunt und begeistert, aber nicht jeder Konvention des großen Kinos folgte. Sicher, auch Howard drehte sich viele Dinge filmisch zurecht und tut es noch immer, aber sein Hang zu historischen Ereignissen forderte auch immer einen Tribut. Ein Opfer jedoch, das zu keinem Zugeständnis wurde, sondern zu einem positiven Markenzeichen.

Mit „Im Herzen der See“ verhält es sich ähnlich. Basierend auf einer wahren Begebenheit inszeniert Ron Howard einen audiovisuell beeindruckenden Blockbuster, der aber dramaturgisch häufig seinen eigenen Weg geht. Es ist sicher nicht sein bester Film, aber ein typischer Howard. Ein Triumph für seine Fans und ein uneingeschränkter Triumph für Chris Hemsworth.

Autor: Max Fischer

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