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Green Book – Eine besondere Freundschaft (2018/2019) Review

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Das Politische im Persönlichen: Viggo Mortensen und Mahershala Ali glänzen in Peter Farrellys Roadmovie

Tony „Lip“, a.k.a. Tony Vallelonga (Viggo Mortensen) arbeitet als Bouncer in einem New Yorker Clublokal. Das Jahr: 1962. Tony ist gewaltbereit, was er bereitwillig in seinem Job auslebt. Er ist außerdem italienischer Abstammung und im New York der 1960er-Jahre eröffnet ihm das nach plötzlicher Schließung seiner Arbeitsstätte die Möglichkeit, von nun an für „Carmine“ oder „Paulie“ oder andere unschwer als Mafiosi erkennbare Gestalten zu arbeiten. Er entscheidet sich aber dagegen, denn dass die von ihm verlangten Tätigkeiten Mord einschließen könnten, ist impliziert und das ist Tony dann doch zu viel: Er hat nämlich Kinder und ist glücklich verheiratet mit Dolores (Linda Cardellini).

In zweierlei Hinsicht hat Tony also von Anfang an die Sympathie des Zuschauers auf seiner Seite: Er ist eine coole Sau, erfüllt dabei die genre-üblichen Kriterien des Mafioso-Helden; außerdem sitzt sein Herz am rechten Fleck, seine aggressiven Tendenzen bewegen sich im Rahmen seiner Verpflichtung als Ehemann und Familienvater und im Rahmen des Gesetzes. Die Rollenwahl ist durchaus untypisch für Mortensen, sind wir ihn doch eher in der Figur des spröde-nordischen Außenseiters gewohnt, der entweder durch noble Distanziertheit oder durch impulsive Gewaltentfesselung hervortritt. In vielerlei Hinsicht ist Tony in dieser Geschichte jedoch der straight man. Mortensen, für die Rolle um zehn Jahre verjüngt und etwa 15 Kilo schwerer als gewöhnlich, spielt das mühelos, mit fast beiläufiger Leichtigkeit, Charisma und Nuance. Tony wird bei seiner Jobsuche schließlich fündig und die eigentliche Handlung des Films nimmt ihren Lauf. Auftritt Dr. Don Shirley (Mahershala Ali), ein Klaviervirtuose, der für seine Konzerttournee in den Südstaaten noch einen Chauffeur sucht. Shirley ist hochgebildet, intelligent und versiert, ein Mann der Oberklasse im Maßanzug, der es gewohnt ist, herumzukommandieren und in Ruhe gelassen zu werden. Er ist außerdem schwarz; und so steht die ungewöhnliche Anordnung des folgenden Roadtrips: Grobschlächtiger Italiener der Arbeiterklasse chauffiert schwarzen, musikalisch genialen Gentleman durch die rassistischen Südstaaten der 1960er-Jahre.

Basierend auf wahren Ereignissen, das Drehbuch verfasst von Vallelongas Sohn Nick Vallelonga, alles zu Ihrer Unterhaltung dargeboten. Es folgt ein unterhaltsamer, witziger Film mit zwei brillanten Darstellern im Zentrum: Mortensen sympathisch-proletarisch, Ali distanziert, dabei verletzlich-zerrissen. Tony und Dr. Shirley kommen sich menschlich langsam näher, so will es die Dramaturgie, wie genau das allerdings geschieht, ist einfühlsam und überraschend erzählt. Zunächst knirscht es (worüber sollen diese sehr unterschiedlichen Männer denn schließlich reden?), Tony ist unsensibel und mit rassistischen Vorurteilen beladen, geniert sich aber auch nicht, Dr. Shirley hinter dem Steuer sitzend vollzuquatschen. Wie es so ist mit langen Autofahrten, müssen die Passagiere irgendwann lernen, miteinander klarzukommen. Dr. Shirley lässt sich zu Kentucky Fried Chicken überreden und Tony lernt bei den Konzerten Shirleys moderne klassische Musik lieben. Doch je besser sich die beiden kennen, desto klarer sehen sie die menschlichen Fehler und Probleme des anderen.

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Durchweg tritt klar die Individualgeschichte der zwei Protagonisten in den Vordergrund und überschattet die offensichtliche politische Thematik, auch beispielsweise bei unvermeidlichen rassistischen Konfrontationen während eines Privatkonzerts. Der Film positioniert sich durchaus klar in seiner Haltung, zeigt sie jedoch nicht explizit in großen anti-rassistischen Reden. Die Geschichte von Tony Lip und Dr. Shirley ist keine exemplarisch-mahnende Fabel über das rassistische Amerika der 1960er-Jahre: Sie zeigt dreidimensionale Figuren mit jeweils-subjektiven Problemen, die sich in einer gesellschaftspolitisch aufgeladenen Zeit wiederfinden und in dieser ihre individuellen, familiären und zwischenmenschlichen Probleme lösen müssen. Shirley muss seinen Platz als hochgebildeter und begabter Schwarzer in einem Amerika der Weißen finden, gleichzeitig aber muss er, als unsicherer Mensch zwischen allen Stühlen, zu sich selbst finden. Tony, der sich seiner Klasse und ethnischen Zugehörigkeit sehr bewusst ist, mit ihr keine Probleme hat und sich in ihr völlig heimisch fühlt, überwindet seine rassistischen Einstellungen recht schnell und beinahe mühelos – sein Verständnis für die Sensibilität der Gebildeten und Kulturversierten öffnet sich aber erst im Laufe des Films. Beide Figuren bewegen sich aus ihrer arrogant-vorurteilhaften Klassenidentität heraus aufeinander zu, beide finden gleichzeitig eine individuelle Position in bzw. zu den buchstäblich schwarz-weiß-definierten Zugehörigkeiten. Das Politische ist hierbei nur insofern relevant, als es die Einzelschicksale der beiden zentralen Figuren berührt. So scheint Regisseur Peter Farrelly vorzuführen, dass eine Veranschaulichung der politischen Probleme sehr gut funktioniert, wenn man nicht die Probleme selbst ins Zentrum stellt, sondern die Menschen, die unter diesen Problemen leiden. Das Politische im Persönlichen zu zeigen, ist nachvollziehbarer und glaubwürdiger als ein politisches Manifest, so veranschaulicht es „Green Book“. „The world is full of lonely people afraid of doing the first move“, heißt es einmal gegen Ende des Films.

Neben Themen wie Hautfarbe und (ökonomischer) Klasse geht es „Green Book“ eigentlich um etwas anderes: Um zwei Außenseiter, die sich im Zuge einer Konfrontation miteinander auseinandersetzen müssen; um eine Freundschaft, die aus dieser Auseinandersetzung hervorgeht. Mortensen und Ali geben dabei fein schattierte, mittlerweile Golden-Globe- und Academy-Award-nominierte Darbietungen. Peter Farrelly, bisher (gemeinsam mit seinem Bruder) am bekanntesten für intellektuell eher niederschwellige Kassenschlager wie „Dumm und Dümmer“, inszeniert einen optimistischen, komischen und emotionalen Film, der die Lösung für politische und soziale Probleme in der individuellen Lebensbewältigung ansiedelt.

Autor: Paul Moritz Quast

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