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Drei (2010) Review

Womit verbindet man Tom Tykwer? Zunächst mit „Lola rennt“ (1998), klar. Eventuell mit dessen internationalen Produktionen wie „Das Parfum“ (2006), „The International“ (2009) und zuletzt speziell dem in Co-Regie mit den Wachowski-Geschwistern inszenierten „Cloud Atlas“ (2012). Oft vergessen wird jedoch, dass Tykwer nach seinem Durchbruch in Hollywood und zwischen zwei Werken, die er mit Schauspielern wie Clive Owen, Naomi Watts, Tom Hanks, Hugh Grant und Halle Berry realisierte, filmisch gesehen kurzzeitig nach Deutschland zurückkehrte und eine kleine, wenig beachtete Perle namens „Drei“ ablieferte, die insbesondere durch ein grandios aufgelegtes Hauptdarsteller-Trio zu bestechen weiß.

Die Beziehung von Hanna (Sophie Rois) und Simon (Sebastian Schipper) kann sich nach mittlerweile zwanzig Jahren Dauer einer in den Alltag eingekehrten Monotonie und Gleichförmigkeit nicht erwehren. Sie leben zusammen, jedoch ist ihr Leben alles in allem eher unscheinbar und von Routine geprägt. Bald jedoch wird Simon von zwei Schicksalsschlägen getroffen: Seine Mutter (Angela Winkler) stirbt an Bauchspeicheldrüsenkrebs, zugleich erfährt er, dass er selbst an Hodenkrebs leidet. Zwar kann er operiert werden und übersteht die Erkrankung ohne gravierende Folgen, jedoch hatte Hanna in der Nacht seiner Operation einen One-Night-Stand mit dem Stammzellenforscher Adam (Devid Striesow), welchen sie in der Folgezeit zu einer Affäre ausbaut. Durch Zufall begegnet Simon in einem Schwimmbad ebenfalls Adam, was zu einer weiteren Affäre führt, dieses Mal zwischen den beiden Männern. Komplikationen dieser Dreiecksbeziehung lassen nicht lange auf sich warten…

Tom Tykwer profiliert sich mit „Drei“ erneut als einer der talentiertesten deutschen Filmemacher. Bereits die Eingangssequenz, in der Simons aus dem Off erzählter Entwurf eines theoretischen Beziehungsverlaufs mit den sich verändernden Kabeln einer Stromtrasse korrespondiert, zieht den Zuschauer durch seine stoische Atmosphäre sogleich in den Bann und zeigt einen stilistischen Einfallsreichtum, der sich in der Erzählung seiner eher ungewöhnlichen Ménage-à-trois filmisch fortsetzt. Virtuos bringt Regisseur und Drehbuchautor Tykwer die Palette der Stilmittel zum Einsatz: Dinge wie Splitscreens, Spielereien mit einer verschwindenden Tonspur, Flashbacks, die keine sind oder halluzinatorische Geisterscheinungen seien hier kundgetan. Es muss Spaß gemacht haben, das Drehbuch zu schreiben, zumal die genannten Kunststückchen nie aufgesetzt wirken oder zum Selbstzweck verkommen. „Drei“ sprudelt vor Fantasie und lässt zusätzlich auch den Humor nicht zu kurz kommen; speziell eine Szene, in welcher Hanna und Simon das Auffliegen ihrer jeweiligen Affäre fürchten müssen, ist äußerst launig inszeniert.

Tykwer ist ein politischer Regisseur und dies schlägt sich nicht nur in seinen Großproduktionen nieder. Auch wenn „Drei“ kein Politthriller ist wie „The International“ und keine alternativ-philosophische Weltanschauung entwirft wie „Cloud Atlas“, so provoziert der Film doch offen und mitunter radikal. Essentiell ist insbesondere Adams Aufforderung an den verwirrten Simon, er möge sich von seinem „deterministischen Biologieverständnis“ trennen, um die Affäre mit einem Mann zu akzeptieren, ohne sich im Hinblick auf seine Beziehung zu Hanna gleich als homosexuell zu betrachten. Tykwer stellt traditionelle gesellschaftliche Modelle im Hinblick auf Partnerschaft und Familie in Frage und plädiert für eine Offenheit, welche sich als allemal unkonventionell bezeichnen lässt. Dazu kann man nun stehen, wie man möchte, „Drei“ ist jedoch so oder so ein Film, welcher diesbezüglich zum Nachdenken anzuregen vermag, wozu nicht zuletzt das offen gehaltene Ende beiträgt.

Die gelungene Atmosphäre des Films resultiert nicht zuletzt aus der brillanten Darbietung der Schauspieler. Devid Striesow zeigt einmal mehr, dass er zu Deutschlands hochkarätigsten Charakterdarstellern zählt, Filme wie „Drei“, „So glücklich war ich noch nie“ (2009) oder auch die Mockumentary „Fraktus“ (2012) beziehen einen Großteil ihrer Energie aus dem stets herausragenden Einsatz des mittlerweile für den Saarländischen Rundfunk als „Tatort“-Kommissar tätigen Striesow. Sophie Rois bietet ebenfalls eine begnadete Performance, ihr ganzes Spiel wirkt unglaublich natürlich, so als wäre sie für den Zeitraum der Dreharbeiten tatsächlich in eine WG mit Sebastian Schipper gezogen und Tykwer hätte lediglich seine Kamera aufgestellt. Auch Schipper weiß mit einer ausgezeichneten Leistung zu überzeugen und selbst wenn sein Spiel gelegentlich zurückhaltender als das von Rois und Striesow wirkt, so wird seine Darstellung dadurch nicht geschmälert.

„Drei“ ist ein unterhaltsamer und sehr humoriger Film, mit dem Regisseur Tykwer quasi nebenbei sexuelle wie partnerschaftliche Lehren hinterfragt und für eine Betrachtung öffnet, jedoch keine global gültige Wahrheit zu liefern versucht. Sein Film lässt sich schlicht und ergreifend als „modern“ bezeichnen und auch wenn die CSU ihn vermutlich noch vor gar nicht allzu langer Zeit als „sozialethisch desorientierend“ hätte verbieten wollen, so sollte sich die heutige Gesellschaft mit den angesprochenen Fragestellungen doch zumindest auseinandersetzen. „Drei“ trägt seinen Teil dazu bei. Möge sich jeder ein Urteil bilden!

Autor: Jakob Larisch

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