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Doctor Strange (2016) Review

© 2016 Marvel / Disney

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Mit „Doctor Strange“ präsentiert Marvel den ersten Solofilm für die jüngst angebrochene „Phase Three“ im hauseigenen Kino-Universum, und dann ist es direkt ein Neuzugang. Bei der schieren Größe, die der Charakterpool des MCU mittlerweile angenommen hat, ist das adäquate Einführen einer völlig unbekannten Figur nicht mehr eine selbstverständliche Formsache. Das Universum hat mittlerweile schon seine „Veteranen“, die immer wieder zusammen aufgetreten sind und vom Publikum lieb gewonnen wurden, Figurenkonstellationen, die schon aufeinander eingespielt sind, deren Chemie sich über die Filme entwickeln konnte und die mittlerweile immer zahlreicher auftauchen dürfen – nicht ohne Grund wirft Marvel nach und nach auch andere Figuren in Fortsetzungen, die sich vor wenigen Jahren noch um einen einzelnen Helden drehten. Niemand spricht vom dritten „Captain America“, der allumfassende „Civil War“ ist das, was im Frühling stattgefunden hat. Deswegen kann Doctor Strange auch nicht einfach eine weitere Figur im großen Ganzen darstellen – vielmehr muss er das „große Ganze“ zusammenhalten, während er es gleichzeitig in das Universum bringt – oder vielmehr in die Universen.

Das „Doctor“ im Titel ist erstmal Programm – denn Stephen Strange, wie immer routiniert von Benedict Cumberbatch verkörpert, ist zunächst eben dies: ein Arzt. Wenn Cumberbatch Figuren mit Berufen spielt, dann sind es in der Regel Ausnahmetalente. So wie auch ein Sherlock Holmes (dessen BBC-Version offensichtlich Pate stand) sein Handwerk nahezu übernatürlich beherrscht, so ist auch Strange der beste Chirurg seines Faches – und dementsprechend arrogant. Doch ein fataler Unfall mit dem Sportwagen zerstört seine magischen Hände und ruiniert die Karriere vom einen auf den anderen Tag. Etliche Operationen später bessert sich der Zustand nicht, bis ein dubioser Hinweis ihn zu einer „Heilanstalt“ in Nepal führt, der letzte Ausweg liegt in der Esoterik. Die „Älteste“, überraschend nüchtern von Tilda Swinton gespielt, zeigt ihm unvorstellbare Wege, die sein Geist einschlagen kann, zeigt ihm die multiplen Universen und schließlich die schier endlosen Mächte der Magie. Nach der ersten einschlägigen Out-Of-Body-Experience bricht nur ein „This doesn’t make any sense“ aus dem rationalen Doktor heraus – „Not everything does. Not everything has to“, wird ihm entgegnet.

© 2016 Marvel / Disney

© 2016 Marvel / Disney

Diese Freude am Unmöglichen setzt „Doctor Strange“, vor allem ästhetisch, von seinen Marvel-Kollegen ab. Wem die seltsame Sequenz in der subatomaren Ebene am Schluss von „Ant-Man“ schon zu „drüber“ war, der wird hier bereits in der ersten Hälfte den Kopf schütteln. Die Lehren der „Ältesten“ beinhalten funkensprühende Portale, Spiegeldimensionen, Trennungen der Seele vom Körper, lebende Umhänge und danach hat man das auf Seite geklappte New York aus den Trailern noch überhaupt nicht gesehen. Gerade die sich kaleidoskopisch auffächernde Metropole erfreut sich etlicher visueller Spielereien. Die „Inception“-Vergleiche lassen sich nicht von der Hand weisen, „Doctor Strange“ wirft zusätzlich eine großzügige Prise der architektonischen Konzeptionen eines M.C. Escher mit hinein und überrascht in seiner opulentesten Szene mit immer neuen optischen Illusionen. Damit geht auch einher, dass die Figuren hin und wieder hinter ebendieser Opulenz verschwinden. Ein Cumberbatch und eine Swinton lassen sich nicht in den Hintergrund drücken, doch gerade die Nebenfiguren, Sidekick Chiwetel Ejiofor und Antagonist Mads Mikkelsen sind trotz guter Darstellung wenig erinnerungswürdig. Kein seltenes Problem der Marvel-Filme. Sie sind immerzu hin- und hergerissen zwischen der Eingliederung in das serielle Konzept des Studios, müssen gleichzeitig jedoch versuchen, in sich so geschlossen wie möglich zu sein – dementsprechend kommt kein Solofilm ohne Solofeind aus, welcher in der Regel ebenso schnell wieder verheizt werden muss, wie er eingeführt wird (weiß irgendjemand noch, was Ronan oder Malekith wollten?). Und selbstverständlich baut der Film postwendend eine Brücke zu kommenden Projekten und dabei bleibt auch immer ein Stück Eigenständigkeit der „neuen“ Marke auf der Strecke.

Die Sachlage wird im Film kurz explizit angesprochen: Während die Avengers sich um physische Bedrohungen kümmern, konzentriert sich das Kollektiv um die „Älteste“ auf, wie sie sagt, „mystical threats“. Doch wie lange lässt sich das wohl noch trennen? Tatsächlich ist die Entwicklung hin zu überirdischen Sphären und extraterrestrischen Welten für das MCU gesprochen sogar ein notwendiger Schritt. Die Dimension des Universums wird immer größer, neben den geerdeten Helden schwirren nunmal auch solche außerirdischen Gestalten wie Thor oder die „Guardians Of The Galaxy“ nach wie vor irgendwo herum. Markieren die Großprojekte der einzelnen Phasen doch immer Kulminationspunkte, an denen alles, was zuletzt von Bedeutung war, zusammentrifft, wird es beim kommenden „Infinity War“ reichlich kosmisch. Mit „Doctor Strange“ präsentiert uns das Studio nicht nur einen Helden, der als Schnittstelle zwischen der Erde und „dem Anderen“ dieser irrwitzigen Verhältnisse habhaft werden könnte, es bereitet uns auch langsam auf diese Zustände vor. Der Film ebnet den Weg für die kommende, „unendliche“ Schlacht, in der Hoffnung, dass wir bis dahin für den Wahnsinn gefeit sind, der uns erwartet, wenn all die möglichen Welten aufeinanderprallen.

Autor: Roman Widera

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