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Wir sind was wir sind (2011) Review

Nach dem Tod des Vaters einer mexikanischen, namenlosen Familie, fallen die Hinterbliebenen in eine Krise. Schnell muss etwas Essbares beschafft werden, da ansonsten der sichere Tod anstünde. Alfredo, der älteste von drei Geschwistern, übernimmt im Streit mit der Mutter die Führungsrolle. Erst langsam wird klar, dass es sich um eine Kannibalenfamilie handelt; was beschafft werden muss, ist ein neues Opfer.

„Somos lo que hay“ ist der Debutfilm des mexikanischen Regisseurs Jorge Michel Grau und präsentiert sich als nihilisitisches Independentdrama. Nach einer äusserst kargen Eröffnung ohne Dialog, Musik und nahezu ohne Geräusche, werden wir in die Welt der Familie eingeführt. Und um ein eventulles Missverständniss vorweg zu nehmen, es handelt sich hier um eine in das öffentliche Stadtleben integrierte Familie und nicht um inzestgeschädigte Hillbillies a la Wrong Turn. Diese präsentiert sich anfangs dennoch unzugänglich, denn auch hier wird kaum gesprochen oder Handlungen erklärt. Erst nach und nach ergeben sich Muster in dem Verhalten der einzelnen Mitglieder. Da wäre die Mutter, die eher erboßt als deprimiert über den Tod des Vaters ist, da er seine Zeit bei Prostituierten verbracht hatte und die Familie im Stich ließ. Ihr gegenüber steht der älteste Bruder Alfredo, ein zu jeder Zeit gewaltbereiter Schläger anfang zwanzig, der sich nun behaupten will. Schwester Sabina, etwas jünger, versucht mehr schlecht als recht zwischen beiden zu vermitteln und sorgt sich eher um den jüngsten Bruder Julian.

Michel Grau, welcher auch das Drehbuch verfasste, arbeitete einen Subplot um zwei Polizisten ein, die hinzugezogen werden, nachdem bei der Obduktion im Magen des Vaters ein menschlicher Finger gefunden wurde (Wie er den geschluckt hat, ist mir ein Rätsel). Diese lehnen den Fall mit einem Schulterzucken ab, sie hätten etwas Besseres zu tun. (Etwas Besseres zu tun? Ist Mexiko ein Land in dem Kannibalismus an der Tagesordnung ist?) Worauf will Grau hinaus? Ist dieser Film jetzt schon ein politisches Statement gegen Armut, gesellschaftlichen Verfall und die Ohmacht der mexikanischen Regierung?

Die Entführung des ersten Opfers ist interessant inszeniert. Jede Form von Gewalt passiert im Off, erzeugt dadurch aber den maximalen Schockeffekt, da diese erruptiv nach der langen Stille mit ziemlicher Kaltschnäuzigkeit auf einmal zu Tage tritt. Ich sage deshalb interessant, da Grau sich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ganz klar zu sein scheint, an welches Publikum er sich wendet. Geworben wird für den Film in erster Linie natürlich mit der Thematik des Kannibalismus, was die Vorfreude einiger Gorehounds sicherlich steigert, sollten diese bis zu diesem Punkt überhaupt durchgehalten haben. Doch bisher war der Film eher eine Art Charakterstudie, was Freunde solcher Filme aus den Sitzen hauen dürfte. Ab hier nimmt der Film plötzlich Fahrt auf, die Handlung verzweigt sich, es kommen vermehrt Dialoge vor, und von mal zu mal schraubt Grau den Gewaltgrad nach oben, bis er schließlich fast auf Hostelniveau angekommen ist. Doch wozu?

Auch das Finale gibt darauf keine Antworten, im Gegenteil. Was will Grau uns eigentlich sagen? Es ist keine Sozialstudie, es kein politisches Statement und es ist kein Horrorfilm. Man bekommt so gut wie keinen Zugang zu den Charakteren und es werden mehr Fragen gestellt als beantwortet (Von was für einem Ritual wird die ganze Zeit gesprochen?). Richtig aus dem Ruder läuft eine Szene in der Mitte des Films, in welcher ein Song vorgetragen und mit anderen Teilen des Plots bebildert wird. Irgendwie passen nicht einmal die Lyrics des Songs zu den Ereignissen. Merkwürdig…

Für meinen Geschmack als Indiefilm solide gestartet und in einem Blutbadfiasko ohne Message gelandet. Schade, da wäre sicherlich mehr möglich gewesen. Der Zyniker in mir schließt mit den Worten: „Wir sind was wir sind, denn du bist was du isst.“


Via YouTube

Autor: David Schröder

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