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The Chaser (2008) Review

© Ascot Elite Home Entertainment

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„Sympathy for Mr. Vengeance“, „I Saw the Devil“, „Lady Vengeance“: Südkorea kann Rache – das sollte dem asiaphilen Cineasten schon länger klar sein, dem breiteren Publikum dürfte aber 2003 mit Park Chan-Wooks „Oldboy“ erstmals die koreanische Härte so richtig um die Ohren geflogen sein. Man könnte fast die Uhr danach stellen, so regelmäßig bringt die Halbinsel packende Thriller-Kost auf den Tisch, die mit interessanten Erzählungen punktet oder ihren Darstellern allen Raum gibt, sich die Seele aus dem Leib zu spielen. Ganz besonders dann, wenn sie statt dem strahlenden Helden das Monster in Menschengestalt abgeben dürfen. „The Chaser“ aus dem Jahre 2008 von Regisseur Na Hong-Jin fügt sich nahtlos in das hervorragende Gesamtportrait ein, besticht mit fantastischen Hauptdarstellern, geht frische Wege bei der Mörder-Jagd und schrammt nur ganz, ganz knapp an den großen Brüdern wie „Oldboy“ oder „I Saw the devil“ vorbei.

Alles beginnt mit einer absolut lausigen Arbeitswoche für Eom Joong-Ho (Kim Yoon-Seok), der sich mit kränkelnden Mitarbeitern und unzufriedenen Kunden herumschlagen muss. In Joong-Hos Branche bedeuten grantige Kunden allerdings schlüpfrige Freier, die sich nicht an die Regeln halten wollen und unglückliche Arbeitskräfte: Mädchen, die das Leben als Prostituierte satt haben; denn der Ex-Polizist verdingt sich inzwischen als Zuhälter und Kleinganove. Zusätzlich macht ihm die Konkurrenz das Leben schwer, immer mehr seiner Mädchen verschwinden und Joong-Ho ist sich sicher, dass jemand sie festsetzt und weiterverkauft. Als eine neue „Kundenanfrage“ eingeht, bleibt ihm also nichts anderes übrig, als die letzte Verbliebende, die alleinerziehende Mutter Kim Mi-Jin (Seo Yeong-Hee), trotz Erkältung zum Kundenbesuch zu überreden, während er weiter Nachforschungen anstellt; so sind all seine Mädchen im Stadtteil Mangwon verloren gegangen. Die Ereignisse überschlagen sich, der Kontakt zu Mi-Jin bricht ebenfalls ab, Joong-Ho kommt einem seiner Stammkunden auf die Spur und begegnet auf seiner Suche in den Straßen Mangwons plötzlich dem nervösen Ji Yeong-Min (Ha Jeong-Woo). Und als beide nach Autounfall, Verfolgungsjagd und Prügelei auf der örtlichen Polizeiwache landen, ist sich Joong-Ho sicher, dass er mit Yeong-Min seinen Mädchenhändler gefunden hat. Dieser streitet allerdings alles ab – und behauptet stattdessen, völlig verwirrt, ein gesuchter Serienkiller zu sein.

In dieser Zusammenfassung zeigt sich bereits eines der typischen Elemente der koreanischen Thriller wieder; wie bereits „I Saw the Devil“, wo Lee Byung-Huns Figur bereits kurz nach Filmbeginn den Mörder seiner Verlobten stellt, entzieht sich auch „The Chaser“ wieder völlig der westlichen Erzählidee einer spannenden Killerhatz. Das große Fragezeichen um Mörder und Motiv entfällt ebenso wie die Frage um den Verbleib der Prostituierten Kim Mi-Jin, beides wird uns früh in einem eigenen Erzählstrang deutlich gemacht. Im Gegenteil, Regisseur und Co-Autor Na Hong-Jin scheint sein Finale fast schon vorziehen zu wollen: Wenn Yeong-Min mit Hammer und Meißel bewaffnet sich über Mi-Jin herzumachen versucht, geschieht dies mit einer Ladung und Intensität, die einer Parallelmontage der letzten Film-Viertelstunde entsprungen sein könnte, wo Opfer wie Zuschauer nur darauf warten zu scheinen, dass endlich der Held durch die Tür bricht und dazwischen geht, um den Tag doch noch zu retten. Aber wir befinden uns nicht in der Schlussminute. Stattdessen sehen wir ganz genau, was Zuhälter Joong-Ho zu dieser Zeit treibt, wie er im Dunkeln tappt, sich nur langsam der Wahrheit nähernd, ohne ihre wahren Ausmaße wirklich erahnen zu können. Und sich während all dem schon wenig heldenhaft gibt. Von Anfang an ist Joong-Ho ein ziemlicher Mistkerl, schimpft über seine Mädchen, misstraut ihnen und bekleckert sich auch später nicht mit Ruhm, wenn Mi-Jins Tochter an ihm hängen bleibt und er sich während seiner Jagd auch noch um sie kümmern muss. Wie schafft es „The Chaser“ also trotz seiner unsympathischen Hauptfigur, die eine Identifikation erschwert, trotz des Vorwegnehmen fast des gesamten Plots, den Zuschauer um den Finger zu wickeln, mitzureißen und ihm den Teppich unter den Füßen wegzuziehen?

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Hier ist das Wort „deswegen“ das absolute Gebot der Stunde – Na Hong-Jins Film schafft sein gelungenes Thriller-Erlebnis nicht trotz all der oben genannten Punkte, sondern gerade deswegen. Natürlich ist Joong-Ho ein Unsympath in Person, dadurch aber menschlicher und nahbarer als vielleicht manch knallharter Ermittler, zugänglicher als der Noir-Detektiv, der zwar nicht nach den Regeln spielt, aber das Herz am rechten Fleck hat, dadurch aber auch immer etwas „über“ dem Zuschauer zu stehen scheint. Joong-Hos moralischer Kompass mag eine ersichtliche Schieflage haben, diese ist aber jederzeit klar erkenn- und nachvollziehbar. Das weitere Kippen im fortgeschrittenen Filmverlauf kann daher umso leichter nachgefühlt und nachempfunden werden – eine Identifikation mit Joong-Ho mag erschwert sein, das Nachfühlen seiner Motivation wird jedoch viel einfacher, wie sein Leiden größer wird. Dabei hilft natürlich eine hervorragende Schauspielleistung von Kim Yoon-Seok, allerdings muss dieser sich hinter seinem für den Film viel gelobten Kollegen Ha Jeong-Woo anstellen, der ihm mit seiner Darstellung des Mörders Yeong-Min sicher die Show zu stehlen weiß. Jeong-Woo spielt seinen physisch eher unterwältigenden Serienmörder abwechselnd zwischen abgebrühter Kaltherzigkeit und fast schon Mitleid erregendem nassen Sack, verbringt er doch einen Großteil des Films als Prügelknabe in polizeilichem Gewahrsam, mit blutigsten Schwellungen im Gesicht und umgeben von Polizisten und Ermittlern, die seine Aussagen aufgrund seines Äußeren schlicht nicht ernst nehmen können. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit brodelt allerdings Yeong-Mins Wahnsinn herrlich unangenehm hervor, sei es nun bei einem Abstecher in einen Kiosk oder alleingelassen mit einer Polizistin auf dem Revier. Der Zuschauer weiß ganz im Gegensatz zu den Figuren stets, zu was Yeong-Min in der Lage ist und so kommen auch die kleinsten Gesten immer mit etwas schlangenhaftem, immer mit der Erwartung daher, dass er sich gleich unkontrolliert über den Tisch hinweg auf seinen Gegenüber stürzen könnte. Im Zusammenspiel mit dem restlichen Ensemble, aber besonders mit dem ihm physisch eigentlich überlegenen Joong-Ho kommt es in Folge zu einer interessanten sowie intensiven Dynamik.

Aber auch erzählerisch stellt sich die Vorwegnahme der großen Thriller-Fragen beileibe nicht als Hinkefuß heraus. Stattdessen weiß Hong-Jin nicht nur selbst dieser Ausgangslage im letzten Drittel noch spannende und unerwartete Wendungen zu entlocken, sondern spielt auch zuvor schon nicht-offensichtliche Stärken des Szenarios aus. Durch Joong-Hos lange Suche in dem Stadtteil Mangwon, mit seinen engen, verwobenen Gassen und unzugänglichen Grundstücken bekommen wir nicht nur einige packende „so close“-Momente, wenn er auf der richtigen Spur zu sein scheint, sondern Na Hong-Jin haucht auch dem eigentlichen Schauplatz ordentlich Leben ein. Wir werden mit dem Viertel fast so vertraut wie der Protagonist selbst, was so manche unangenehme Wendung in der späteren Handlung erst effektiv und treffsicher werden lässt. Welches Kontra verwehrt, all diesen Pros zum Trotz, „The Chaser“ also den endgültigen Einzug in die Hochburg? Die meisten der eingangs erwähnten Genre-Größen haben neben ihrer dichten Inszenierung, ihren ebenfalls großartigen Schauspielleistungen und ihren innovativen Erzählweisen meist noch eine besondere Kante. Dabei ist die Rede nicht unbedingt von dem großen, unerwarteten Twist, sondern von dem letzten Stückchen Seele, das die Filme den Zuschauer auch noch lange nach dem Abspann heimsuchen lässt. Die eisenharte Kompromisslosigkeit eines „Oldboy“, der Tanz am Abgrund zum vollendeten Wahnsinn in „I Saw the Devil“ – dieser letzte Stich fehlt „The Chaser“ und macht aus einem großartigen „nur“ einen sehr guten Beitrag zum asiatischen Thriller-Erbe.

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Freunden des asiatischen Kinos, besonders der härteren Gangart, sei „The Chaser“ allerdings sofort, ohne Wenn und Aber, empfohlen. Ha Jeong-Woo feiert mit seiner Rolle als Killer Ji Yeong-Min eine absolute Glanzleistung ab, die beiden Hauptdarsteller überzeugen im finalen Showdown genauso gut wie über die meiste Laufzeit fast völlig getrennt voneinander. Die Geschichte schlägt viele interessante Haken, Regisseur Na Hong-Jin weiß eine dichte Inszenierung abzuliefern und schürt damit Vorfreude auf sein kommendes Mystery-Drama „The Wailing“. Und wenn „The Chaser“ auch das letzte Quäntchen Idee zum großen Meisterwerk fehlt, könnte sich darin genau die paradoxe Stärke finden, um gerade jenen Zuschauer nach Asien zu locken, der bis jetzt vielleicht mit dem Kino aus Ganz-Fern-Übersee noch gar nichts anfangen konnte. Denn manchem mag „Oldboy“ zu fremd und „I Saw the Devil“ zu düster geraten, der aber mit „The Chaser“ genau den Film aus der zweiten Reihe finden könnte, welcher fremd genug ist, um zu interessieren, aber ausreichend Bekanntes vereint, um nicht zu sehr zu verschrecken. Und um ihm damit eventuell das Tor zum zuvor verschlossenen Asia-Kino zu öffnen.

Autor: Simon Traschinsky

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