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The Awakening – Geister der Vergangenheit (2011) Review

In den 1920er-Jahren raubten Katastrophen wie der Erste Weltkrieg und die Spanische Grippe nicht nur Millionen von Menschenleben, sondern auch vielen Hinterbliebenen die Hoffnung, sich gebührend von ihren Liebsten verabschiedet zu haben. Ein gefundenes Fressen also für spirituelle Aasgeier und Scharlatane, die den Feinsten der englischen Gesellschaft mit viel Spektakel und Hokuspokus das Geld für Séancen und Geister-Beschwörungen aus der Tasche ziehen wollten. Die junge Autorin und Skeptikern Florence Cathcart (Rebecca Hall) hat sich dem Kampf gegen genau diese Individuen verschrieben, kennt all ihre Tricks und hilft der Polizei, wo sie kann, gutgläubige Naivlinge davor zu schützen, sich im Geschäft mit der Hoffnung zu ruinieren. Dadurch wird auch Robert Mallory (Dominic Hall), Lehrer an einem Jungeninternat, auf sie aufmerksam, haben er und seine Kollegen es auf der englischen Landschule doch mit ihrem ganz eigenen Gespenst zu tun. Seit dem Tod eines Schülers berichten die anderen Jungen von mysteriösen Geschehnissen; Disziplin und Ordnung aufrecht zu erhalten, wird so fast unmöglich und eine gespenstische Stimmung hat sich über den Gebäudekomplex gelegt. Eine Atmosphäre, der sich auch Cathcart nicht entziehen kann, nachdem sie zugestimmt hat, mit ihrer Expertise auszuhelfen und nach und nach immer mehr Dellen in ihre Skepsis-Rüstung geschlagen bekommt.

Englischer Landsitz, unterkühlte Bilder und Spaziergänge im Dunkeln – „The Awakening“ ist eine absolut klassische Gruselmär, die bei ihrem Erscheinen allerdings unter dem Radar geflogen ist und kaum weiter Beachtung gefunden hat. Schließlich fehlen dem Film auch die großen Namen. Rebecca Hall („Iron Man 3“, „Transcendence“) und Dominic West sind beide gute Handwerker, Erstere einem größeren Publikum vor allem seit Ben Afflecks Gangster-Drama „The Town“ bekannt, West vor allem durch seinen großen Part als Detective McNulty in der Serien-Ikone „The Wire“ – allerdings sicher keine zugkräftigen Namen fürs Kinoposter oder DVD-Cover. Der britische Regisseur und Co-Autor Nick Murphy ist ebenfalls ein noch unbeschriebenes Blatt und der Klappentext von „The Awakening“ liest sich in dem Meer aus Horror-Filmen nur zu bekannt und innovationslos. Verständlich also, dass dem Film eine größere Aufmerksamkeit verwehrt blieb, wenn auch allerdings völlig zu Unrecht.

Denn wenn die Gespenstergeschichte von 2011 das Genre sicher nicht neu erfindet, sogar nicht mal sonderlich erweitert, fügen sich alle Bestandteile doch fast lückenlos zu einem gelungenen Gesamtbild zusammen. Die Location, ein schwer erdrückendes Jungen-Internat, macht dabei schon die halbe Miete aus, gepaart mit einem guten Gespür aller Beteiligten für Lichtstimmung und Tempo. So schleichend, wie sich die Zweifel in Cathcarts Weltbild einbohren, so langsam entfaltet sich auch der Grusel für den Zuschauer. Die Highlights sind natürlich die Schlüsselmomente des Genres, wenn Halls Figur den „Geist“ eines Jungen bei Nacht durch das Internat jagt, „bewaffnet“ nur mit einer Laterne in der Hand, die helle Stücke aus der dunklen Schwärze der Schulflure herausbricht. Aber auch die ruhigeren Momente wissen sich einzufügen und weiter Stimmung aufzubauen. Der durchgängige Blaustich der Bilder sorgt selbst in den wärmeren, zwischenmenschlichen Momenten für Anspannung und diese Unterkühlung hält die gesamte Dauer des Films an. Nicht als fröstelndes Erschauern, sondern als leichte Gänsehaut – „The Awakening“ steht in der Tradition von Mystery wie „Red Lights“ oder der Urfassung des „Geisterschloss“, nicht im Schulterschluss mit modernen Schockern wie „Sinister“ oder „The Conjuring“. Auch Murphys Mär kann sich dem Genre-Standard des einen oder anderen Jump-Scares nicht entziehen, allerdings sind diese absolut wohl dosiert und selten wirklich störend. Und auch aus weiteren Fallstricken des Gruselfilms macht „The Awakening“ das möglichst Beste, denn wenn im letzten Drittel das obligatorische Geheimnis gelöst und die Katze aus dem Sack gelassen werden muss, ist dies wie so oft weniger spannend als der kribbelnde Einstieg; schlimmer noch, Murphy vergreift sich hier sogar im Tempo und zieht Cathcarts Erleuchtung und finale Puzzle-Arbeit etwas zu lang. Aber er erlaubt sich hier immerhin einige kameratechnische Spielereien und Parallelmontagen, die den Zuschauer trotzdem bei der Stange halten sollen, wenn das Pacing gerade nicht so richtig will. Damit setzt „The Awakening“ auch sicher wieder keine Meilensteine, tappt aber geschickt durch das Minenfeld, das so viele andere Horror-Filme gerne mal auf den letzten Metern vollständig zerplatzen lässt.

Daran ist sicher zudem die interessante, wenn auch nicht einladende Darstellung von Rebecca Hall nicht ganz unschuldig. In ihrer Hauptrolle trägt sie einen Großteil der Laufzeit ziemlich alleine, selbst die nächst größere Rolle von Wests Lehrer Robert Mallory ist eher eine stabile Randnotiz. Das Geschehen und unsere Aufmerksamkeit bleibt bei Halls Florence Cathcart, die uns erst mit ihrer Kompetenz entgegen aller Zweifler und Okkultisten auf ihre Seite zieht und uns später mit ihr am Geschehen im Internat zweifeln lässt. Cathcart ist eine selbstbewusste Geisterjägerin, weder selbstverständlich für ihre Zeit, noch ein sonderbar dankbarer Job, sind doch gerade die Opfer oft am wütendsten auf sie, da sie ihrer letzten Hoffnung beraubt wurden. All dem stellt sich Hall mit einem kalten Selbstverständnis entgegen, das der moderne Zuschauer sicher nicht herzlich, aber durchaus sympathisch finden kann. In einer kleineren Rolle gibt Imelda Staunton, bekannt als Dolores Umbridge aus dem „Harry Potter“-Kosmos, der Haushälterin Maud Hill ein breiteres Gesicht als nur die „nette Nanny“, was in der späteren Handlung noch zum Tragen kommt und aus Stauntons Rolle daher eine für den Film erinnerungswürdige macht.

© Universum Film Home Entertainment

© Universum Film Home Entertainment

Wer Lust auf eine wohlige Gänsehaut fernab vom aktuellen Schocker-Kino verspürt, ist bei „The Awakening“ sehr gut aufgehoben. Die gute Arbeit aller Beteiligten sorgt für ein stimmiges Gesamtbild, einen spaßigen Reigen, getanzt in toller Kulisse, der vielleicht nicht lange im eigenen Gedächtnis bleibt, aber gelungen in seinen 107 Minuten Laufzeit lebt. Und manchmal ist das schon alles, was man als Zuschauer will.

Autor: Simon Traschinsky

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