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Faszination Dschungel – Trash TV oder feine Satire?

Der finale Countdown für eines der Medien und TV-Ereignisse des Jahres hat begonnen. Heute Abend startet das beliebte und zugleich viel bescholtene RTL Dschungelcamp. Was ist dran an diesem Format, das zum Wochenende in die neunte Staffel geht und seit Jahren mit Einschaltquoten bis zu 52% in der marktrelevanten Zielgruppe sämtliche Rekorde bricht?

Diese Frage soll in der heutigen Spezial-Kolumne beantwortet werden.
Erinnern wir uns an das Jahr 2004: Das Jahr, in dem die Show „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ zum ersten Mal auch über deutsche Bildschirme flimmerte. Die Bild titulierte einen Skandal – von Ekel-TV war die Rede und ein Untergang des Abendlandes wurde heraufbeschwört. Doch irgendwo lag in der Tiefe des Ekels auch mehr als nur ein Hauch Faszination. Damals ging es der Boulevardpresse nur um die Schlagzeile – eine geheuchelte Form der Empörung – passend zu den einst niederschmetternden Kritiken. Die Zuschauer allerdings sahen das zu einem großen Teil schon damals anders. In der Spitze schalteten bis zu 12 Millionen Zuschauer ein und sahen wie Costa Cordalis als erster Dschungelkönig empor stieg. Überwältigt und geblendet vom Erfolg des Formates entschied sich Tittensender RTL noch im selben Jahr eine zweite Staffel zu produzieren, die zwar auch vernünftige Zahlen einbrachte, jedoch nicht an die Zuschauerzahlen der ersten Staffel herankam. In der Folge taten die Verantwortlichen von RTL etwas, was sie bei Formaten wie DSDS oder Supertalent schon vor einigen Jahren unbedingt hätten tun sollen, es wohl aber aufgrund der deutlich kostengünstigeren Produktionsbedingungen nicht taten. Sie gönnten dem Format eine Pause und legten damit den Grundstein für eine Erfolgsserie, die ihresgleichen sucht.

Erst im Jahre 2008 schickte man wieder neue Camper in den australischen Dschungel. Das Interesse war wieder da und ist bis heute ungebrochen. Die Show fesselt – mittlerweile im Jahresrhythmus – im Durchschnitt 7 Millionen Zuschauer für zwei Wochen an den heimischen Fernsehapparat. Nun – 11 Jahre nach dem Start hat sich IBES in seinen Grundzügen kaum verändert und ist trotzdem zu einem Format herangewachsen, auf das sich mittlerweile sowohl Feuilleton als auch Zuschauer zu einem sehr großen Teil einigen können. Selbst eine Nominierung für den Grimme Preis war – zum Leidwesen diverser Kritiker und zum Ärger der cholerischen DDR Schauspielerin Katrin Sass – mittlerweile drin. Ob die Show Grimme Preis-würdig ist, sei dahingestellt – dass sie jedoch eine der unterhaltsamsten Sendungen des TV-Jahres ist, steht außer Frage und in der Kategorie Unterhaltung war sie schließlich auch nominiert.
Wieso wurde das Format jedoch vom Ekel TV für Stammtischprolls und Hobby Voyeure zu einem beinah ausnahmslos geschätzten Topseller? Die Antwort liegt im Detail, das dem geneigten Zuseher und Kritiker in den ersten Jahren noch verborgen blieb.

Das Dschungelcamp ist – und das werden auch Kritiker zugeben müssen – mehr als reines Ekelfernsehen. Man könnte es gewissermaßen als eine psychologische Feldstudie bezeichnen. Dabei ist zu Beginn einer Staffel völlig offen was passiert. Die Kandidatenriege liest sich oft nur wenig spektakulär. Immer wieder tauchen dieselben kritischen Stimmen auf, die sich über mangelnden Fame der Teilnehmer echauffieren. Dabei geht es in dem Format nicht primär um den Bekanntheitsgrad der Protagonisten. Die Würze liegt in der Konstellation der Camper, die bis zu 14 Tage in dieser Extremsituation miteinander ausharren müssen. Sicherlich sind bei der Produktionsfirma auch Psychologen angestellt, die sich Jahr für Jahr vorab mit der Frage beschäftigen, wer sich mit wem so richtig schön in die Wolle kriegen könnte. Auch das diesjährige Teilnehmerfeld birgt großes Potential. Schließlich befinden sich unter den Dschungelcampern Ex-TeilnehmerInnen nahezu sämtlicher Casting Formate und bekanntermaßen kommt es zwischen denen besonders oft zu Auseinandersetzungen. Auch Verkaufslegende Walter Freiwald hat sein Belastungspotential bereits in einer anderen RTL Show unter Beweis gestellt und dabei für einige Lacher gesorgt.

Was an sich schon interessant ist, wird getoppt und pointiert durch die Sprüche der beiden Moderatoren Sonja Zietlow und Daniel Hartwich. Deren Abrechnung mit den Teilnehmern sind Kult; für viele sogar Haupt-Einschaltgrund. Hinter den Kulissen arbeitet für das Format schon seit einigen Jahren das nicht weniger geniale Autorenduo Micky Beisenherz und Jens Oliver Haas. Abend für Abend versorgen sie Zietlow und Hartwich mit den beliebten Spitzen, die vor Nichts und Niemandem Halt machen. Das Besondere: Die Gags gehen nicht nur auf die Kosten der Camper, oft werden auch vergangene Bewohner oder die Popkultur und das Tagesgeschehen genüsslich durch den Kakao gezogen. Auch dieses Jahr wird sicherlich mit einigen Querverweisen zu rechnen sein.Die Art und Weise der Sendungsvorbereitung ist ebenso besonders. Die Autoren sichten das Material und schreiben jeweils in der Nacht die Gags für die kommende Show, die morgens zu australischer Ortszeit ausgestrahlt wird. Die Moderatoren haben also nur wenig Zeit zu proben. Aber: es funktioniert und das ist nicht selbstverständlich, wie man beim Duo Pocher/aus Marzahn bei Promi Big Brother erkennen konnte.

Ebenso erwähnenswert ist natürlich die Produktion der Show selbst. Lange Jahre fragten sich die Verantwortlichen bei RTL, ob es sich lohne die Show zu produzieren, weil sie natürlich – speziell im Vergleich zum beliebten Billig-TV, in dem sich seit neuestem Leute beim Fernsehen filmen lassen (wie bitte?) extrem kostenaufwändig ist und noch dazu die Werbeeinnahmen relativ gering ausfielen, da viele Firmen ihre Produkte nicht im direkten gedanklichen Zusammenhang mit Kakerlaken verspeisenden D-Promis bewerben wollten. In den letzten Jahren stellte sich das Format jedoch als deutlich lukrativer heraus, was nochmals unterstreicht wie groß mittlerweile das Standing der Show im deutschen Kulturraum ist.Noch dazu kommt, dass speziell Autor Micky Beisenherz via Twitter und Facebook täglich Eindrücke aus Australien mit den Fans der Show teilt und so auch abseits der Sendezeit mit Karikaturen und sonstigen kleinen Teasern geschickt Werbung betreibt. Auch Fangruppen haben sich mitunter gebildet, die deutschlandweit via Social Networks über die Show kommunizieren. Die Show bringt also auch die Leute zusammen und zwar so wie sonst nur Tatort oder König Fußball.

Man kann es letztendlich drehen und wenden, wie man will: Unter den Top 5 des Fernsehjahres im Hinblick auf die Zuschauerzahl befinden sich neben besagten Klassikern immer auch das Dschungelcamp. Im Privatfernsehen ist es ohne Frage das erfolgreichste Format der letzten 10 Jahre. Natürlich könnte man sich jetzt kritisch mit der Frage auseinandersetzen, ob denn die Zuschauerzahl etwas über Qualität der Sendung aussagt. Nein – sicherlich nicht! Vielleicht sind die Deutschen Fernsehzuschauer auch mittlerweile derart verblödet, dass man gar nichts anderes mehr erwartet. Nein – sicherlich auch nicht. Qualität ist subjektiv; das Qualitätsempfinden der Zuschauer ebenso, aber die wirkliche Qualität, die in diesem Format steckt – die Liebe zum Detail, die griffigen Gags, die Meta –Ebene – all dies ist unbestritten und das werden sich auch die harten Kritiker eingestehen müssen – so sehr die Show unter Einzelnen noch immer polarisieren mag. Trotz Unterdrückung jeglicher Emotionalität sollte dem aufmerksamen Leser dieses Textes nicht entgangen sein, dass ich ein großer Dschungelfan bin – zwar auch keiner der ersten Stunde, aber sicherlich der letzten 6 Jahre. Und mir ist klar, dass auch am Ende dieser Staffel die große „Post-Dschungel-Depression“ einsetzt…“ Noch ein Jahr bis zum nächsten Camp warten? Was soll man sich solange ansehen, wo doch die ganze Zeit sowieso nur Schrott im Fernsehen läuft?“*

* Achtung: Aussage unter Umständen pauschalisiert.

Autor: Julian Kaufmann

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