Einen Kommentar hinterlassen

Der Buchladen der Florence Green (2017/2018) Review

© Lisbeth Salas

© Lisbeth Salas

Es ist nicht so einfach zu sagen, welche Geschichte diese Romanadaption von Regisseurin und Drehbuchautorin Isabel Coixet jetzt eigentlich erzählen möchte. Die Geschichte davon, wie Florence Green versucht, sich mit ihrem Buchladen in den 1950er-Jahren in einer kleinen britischen Stadt durchzusetzen, mit lauter schrulligen Charakteren?  Die Geschichte einer Kriegswitwe, die über ihre Liebe zu Büchern den Verlust ihres Mannes mit der Eröffnung einer Buchhandlung überwindet? Die Geschichte von der Buchladenbesitzerin, die eine enge Bindung zu dem fast schon buchfanatischen Eigenbrötler der Stadt aufbaut? Die Geschichte, wie die Buchladenbesitzerin das kleine und viel zu intelligente Mädchen beeinflusst, das ihr aushilft, aber keine Bücher mag? Eine Geschichte über die Liebe zu Büchern? Die Geschichte vom Kampf der  Kriegswitwe, die ganz naiv oder voller Courage – was auch immer nun letztlich besser passt – versucht, sich gegen die lokalen Machtstrukturen mit Geld und Einfluss durchzusetzen, die lieber ein Kunstzentrum eröffnen möchten? Oder doch die Geschichte um den Zwiespalt von Milo North (James Lance), der für die BBC was-auch-immer macht, zwischen Buchladenbesitzer und Buchladengegner? Irgendwie versucht der Film alles davon und nichts so wirklich.

Florence Green (Emily Mortimer) liebt Bücher und das Lesen. Nachdem sie früh ihren Ehemann im Zweiten Weltkrieg verloren hat, beschließt sie Ende der 1950er, einen Buchladen in ihrem Wohnort Hardborough, einem kleinen britischen Küstenstädtchen, zu eröffnen. Nach einigen Monaten Vorbereitungszeit ist es so weit, der Laden öffnet in dem zuvor sieben Jahre lang leer stehenden sogenannten „Old House“. Leider hat Violet Gamart (Patricia Clarkson), die mit ihrem Mann ebenfalls in Hardborough lebt und Geld, Einfluss und Verbindungen bis nach London besitzt, andere Pläne für das Gebäude: Sie möchte dort lieber ein Kunstzentrum eröffnen. Auch die anderen Bewohner des Ortes scheinen eher skeptisch gegenüber der Eröffnung. Der Einzige, der sich wirklich über den Buchladen zu freuen scheint, ist der in seinem Landhaus zurückgezogen lebende Mr. Brundish (Bill Nighy), der eigentlich nur noch liest, aber mit Menschen nichts mehr anfangen kann. Er möchte zwar den Buchladen nicht betreten und zunächst auch Florence nicht großartig begegnen, bittet aber um regelmäßige Buchsendungen. In dem zunächst gut anlaufenden Laden hilft Florence die kleine Christine (Honor Kneafsey), die jedoch wiederum nicht gerne liest. Schon bald bedrohen Violet Gamarts Intrigen Florence, ihren Laden und damit ihre Existenzgrundlage sowie ihr Zuhause.

Man lernt – abgesehen von Florence und vielleicht noch Mr. Brundish – die Charaktere viel zu wenig kennen, um irgendetwas mit ihnen zu verbinden oder deren Motivationen zu verstehen. Häufig bekommt man selbst ihre Schlüsseleigenschaften nicht oder nur teilweise mit und viel zu vieles davon – auch bei Florence und Mr. Brundish – wird nie ausgespielt, sondern fließt lediglich über die weibliche Erzählstimme aus dem Off ein, wodurch einige der Details kontextlos im Raum stehen. So bekommt man das Gefühl, dass der Film gerade in Verbindung mit der Erzählstimme eine Verliebtheit zu schrulligen Details zelebriert, die vielleicht die Romanvorlage hatte, die der Film allerdings entweder überhaupt nicht und wenn, eher unzureichend besitzt. Er schafft es auch nicht, das Ganze durch Dialoge aufzufangen. Nicht weil die Dialoge schlecht wären, einige sind wirklich interessant oder amüsant, sondern dadurch, dass zu wenig Interaktion ausgespielt stattfindet und wenn, letztlich meist nicht ganz funktioniert. Ständig hat man – auch durch definitiv zu häufige und zu lange Sprechpausen – das Gefühl, dass neben dem eigentlich Gesagten noch eine ganze Menge mehr im Raum steht. Eher selten ist allerdings ersichtlich, was dies denn sein soll, da man zu wenig über die Sprecher weiß. Definitives Highlight des Films sind allerdings die Begegnungen zwischen Charakteren, die tatsächlich  stattfinden, insbesondere die zwischen Florence und Mr. Brundish. Das liegt nicht zuletzt  daran, dass man, wie erwähnt, über diese beiden noch am meisten erfährt. Allerdings ist neben den erwähnten Ungereimtheiten bezüglich Mr. Brundish – alleine schon deutlich an der mangelnden Erwähnung seines Vornamens – Florence als Charakter nicht immer ganz schlüssig. So fragt man sich in Bezug auf sie zum Beispiel, wie die Erzählstimme über eine Kriegswitwe des 2. Weltkriegs die Aussage „Florence had managed to live life thus far by pretending that human beings were not devided into exterminators and exterminated with the former at any moment predominating“ treffen kann, selbst in Großbritannien und selbst in den 1950er-Jahren (an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass in der deutschen Synchronisation der Satz „Florence hatte ihr Leben bisher unter der Prämisse gelebt, dass Menschen nicht in Befehlende und Untergebene zu unterteilen sind und die erstgenannten dabei jederzeit vorherrschen“ lautet, was beim besten Willen nicht dieselbe Aussage ist, tatsächlich aber besser passt).

© Lisbeth Salas

© Lisbeth Salas

Auch Florence‘ so oft von verschiedenen Instanzen erwähnte Courage spiegelt sich nur teilweise wider in dem, was sie tut. Es wird vor der Eröffnung der Buchhandlung zwar mehrfach deutlich, dass sie durchaus in der Lage ist, für sich und ihr Vorhaben einzustehen, als der Laden dann allerdings geöffnet ist und die Probleme erst wirklich anfangen, verschwindet das zunehmend. Man fragt sich, warum eine so couragierte Person dann nicht einmal eine direkte Konfrontation mit Violet sucht, was den Konflikt zwischen den beiden zusätzlich forciert wirken lässt. Außerdem wirkt Florence in ihrem Handeln dadurch häufig vielmehr naiv und inwiefern sich mangelndes Bewusstsein für mögliche Folgen noch als Courage auslegen lässt, sei dahingestellt. Die unzureichende Stringenz der Charaktere ist in jedem Fall nicht auf eine schlechte Leistung der Schauspieler zurückzuführen, eher im Gegenteil. Besonders stechen auch hier Florence und Mr. Brundish hervor. Emily Mortimer trägt den Film – soweit es ihre Rolle zulässt – hervorragend und Bill Nighy gibt die einzige weitere Figur mit Hintergrund genial wieder. Erwähnenswert sind aber auch James Lance mit dem perfekten Maß an Schmierigkeit, der es schafft, dem einseitigen Charakter von Milo North zumindest eine Idee von Tiefe zu verleihen und Patricia Clarkson in ihren viel zu seltenen Auftritten zwischen affektierter Mäzene und Unnahbarkeit.

Genauso unzulänglich wie auf die Charaktere wird auch auf die quasi dritten Akteure des Films eingegangen: die Bücher und auch die Liebe zum Lesen. Es wird zwar sehr viel darüber geredet, aber wirklich dargestellt wird das Verhältnis zwischen Menschen und Büchern und Auswirkungen und Veränderungen diesbezüglich kaum. So wird zum Beispiel Nabokovs „Lolita“ in diesen Topf aus halbgaren Geschichten geworfen und die Frage, ob Florence das Buch in großer Zahl verkaufen möchte, als Aufhänger für eine erste Begegnung zwischen ihr und Mr. Brundish genutzt. Es wird auch deutlich, dass das Buch wohl großes Interesse  hervorruft, aber irgendeine Reaktion der Käufer auf das Buch wird nicht gezeigt und der Inhalt erst gar nicht erwähnt. Allenfalls bei Mr. Brundish wird im Laufe der Handlung eine Veränderung durch die Bücher deutlich, die Florence für ihn auswählt, was aber wiederum in Anbetracht der Tatsache, dass er bereits vorher eigentlich nichts anders tat als Lesen, nicht wirklich nachvollziehbar ist. Vielleicht mit Ausnahme von Christine wird auch sonst niemand überhaupt richtig mit Büchern konfrontiert. Der einzige diesbezüglich gelungene Kniff ist die Metaebene, aufgeworfen mit dem Auftauchen von Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ in Verbindung mit dem Städtchen, das sich gegen einen Buchladen wehrt. Das Thema Bücher und auch die Nebencharaktere werden zugunsten des Konflikts zwischen Violet und Florence zurückgestellt oder lediglich dafür genutzt. Dadurch wird dieser verstärkt, da Violets Bestrebung aufgrund ihres erheblichen Einflusses den Bewohnern von Hardborough einen von ihr unabhängigen Zugang zu Büchern – also im Prinzip Kunst und Bildung – verwehrt.

Gleichzeitig aber entzieht es der Erzählung die Grundlage für diesen Aspekt des Konflikts, weil die Problematik über Florence‘ persönliche Belange hinaus gar nicht erfassbar wird. Dementsprechend ist die Kritik an Violets Verhalten extrem einseitig, da sich der Film gar nicht erst auf den tatsächlichen Umstand einlässt, dass alles unter Violets Kontrolle steht und weder die Problematik einer mehr oder weniger von der reichen Elite bestimmten Bildung und Kultur noch eine Alternative aufzeigt. Emotional nachvollziehbarer wird die Geschichte durch den Mangel an tatsächlich gezeigtem Einfluss des Ladens auch nicht unbedingt, da man als Zuschauer nur teilweise eine Beziehung zu ihm und zu dessen Existenzberechtigung aufbauen kann. Zusätzlich ist der Konflikt zwischen den beiden Frauen auch nicht schlüssig, da nicht deutlich wird, warum sowohl Violet als auch Florence unbedingt das „Old House“ benutzen möchten. Bei Florence wird nicht angesprochen, warum sie sich neben allen anderen Möglichkeiten gerade dafür entschieden hat und bei Violet wird nicht deutlich, warum sie in den sieben Jahren, in denen das Haus bereits leerstand, keine Anstalten gemacht hat, ihr Kunstzentrum zu eröffnen. Es geht aus dem Film auch in keiner Weise hervor, ob Violet einfach nur um jeden Preis ihren Wunsch umsetzen möchte oder ob sie vielleicht doch eher gerade jetzt mit ihrem Plan anfängt, weil sie konkret ein Problem mit einem Buchladen hat, der ihren Einfluss untergräbt. Der Konflikt wird einfach zu plakativ und oberflächlich dargestellt, als dass tatsächlich deutlich werden könnte, wie weit die Problematik an Violets rücksichtsloser Einmischung eigentlich reicht. Am Ende des Films könnte man demnach durchaus zu dem Schluss kommen, dass Florence die Einzige ist, die etwas verloren hat; nicht, dass das nicht auch ein Problem wäre, ab er es geht doch eigentlich um viel mehr als um die Frage, ob Florence ihren Traum von einem Buchladen verwirklichen kann oder nicht.

© Lisbeth Salas

© Lisbeth Salas

Zudem ist der Film zu lang. Vielleicht hätten ein paar der besagten Sprechpausen sowie ein paar weniger Landschaftsaufnahmen von fließendem Wasser, Bäumen im Wind und dem Blick aus dem Lieferwagen, von dem Florence ihre Bücher erhält, unterlegt mit trauriger Musik, dem Handlungsstrang des Filmes ganz gut getan, ersetzt durch mehr Interaktion zwischen den Charakteren und Charakteren mit Büchern. So zieht sich der Film irgendwie sehr und gleichzeitig ist man am Ende sehr überrascht, dass es jetzt schon vorbei ist und fragt sich, wie man da genau gelandet ist. Der Handlungsverlauf wirkt merkwürdig zerfasert, da man eben nicht immer gänzlich nachvollziehen kann, wie man von A nach B  kam und wie das zusammen passt. Bedingt wird dieser Eindruck auch dadurch, dass es absolut unmöglich ist, zu erfassen, über welche Zeit die Handlung sich denn jetzt eigentlich abgespielt hat, was in Bezug auf den Inhalt doch recht interessant wäre. Das Wetter, das wiedergegeben wird, ist eigentlich immer eher trüb und zu Anfang teilt die Stimme aus dem Off mit, dass man manchmal in diesem Ort alle Jahreszeiten an einem Vormittag erlebt, was schon an sich eine wirklich seltsame Aussage ist, gleichzeitig aber die Orientierung über verstrichene Zeit nicht unbedingt einfacher macht. Man bekommt durch die Handlung eher den Eindruck, dass sich die Geschichte mindestens über mehrere Monate zieht, aber das immer gleiche trübe Wetter und die sich nicht verändernde Kleidung unterstützen das nicht.

Letztlich schneidet der Film vieles nur an, dass man sich auf nichts wirklich einlassen kann und wirkt dadurch insgesamt eher nichtssagend, obwohl eigentlich viel passiert und viele Charaktere auftreten. Zusätzlich funktionieren die verschiedenen inhaltlichen Aspekte des Films, so wie sie dargestellt werden, einfach nicht richtig zusammen. Am Ende steht die Erkenntnis, dass Florence Green immerhin viel Courage und eine große Leidenschaft für Bücher hat und die Frage, was man denn jetzt eigentlich anderes erwartet hatte.

Autorin: Clara Roos

Leave a Reply