Einen Kommentar hinterlassen

Chernobyl Diaries (2012) Review

Nein, „Chernobyl Diaries“ ist kein Found-Footage-Film. Wirklich nicht. Nach all den verwackelten Trailern und Werbeankündigungen, die sich auf die Mitwirkung von „Paranormal Activity“-Regisseur Oren Peli (er schrieb das Drehbuch und produzierte den Film) beziehen, muss dies zu Beginn erst einmal klargestellt werden.

Die drei amerikanische Studenten Chris (Jesse McCartney), Natalie (Olivia Dudley) und Amanda (Devin Kelley) begeben sich auf eine Europareise und besuchen nach einigen Stationen Chris‘ Bruder Paul (Jonathan Sadowski) in Kiew. Dieser schlägt ihnen eine Extremtourismus-Tour zum stillgelegten Kernkraftwerk Tschernobyl und der daneben liegenden Stadt Prypjat vor, in welcher vor dem Reaktorunglück die Familien der Arbeiter wohnten. Gemeinsam mit dem Pärchen Zoe (Ingrid Bolsø Berdal) und Michael (Nathan Phillips) sowie ihrem Führer Juri (Dimitri Diatchenko) machen sie sich auf dem Weg und stoßen nach einer Tour in Juris klapprigem VW-Bus auf einen geisterhaft verlassenen Ort. Jedoch zeigen sich gegen Abend, als das Auto nicht mehr anspringen will, die ersten Probleme. Am nächsten Morgen ist Juri verschwunden und die sechs Jugendlichen sehen sich mit einer zunächst unsichtbaren Bedrohung konfrontiert…

In der Tat gibt es nur zwei Sequenzen in „Chernobyl Diaries“, die sich als „Found Footage“ bezeichnen lassen, also als Filmmaterial, welches durch die Aufnahmen von Digital- oder gar Handykameras Echtheit und Authentizität vorgaukelt; Paradebeispiele diesbezüglich wären „Blair Witch Project“ (1999) oder eben „Paranormal Activity“ (2007). Die Eingangssequenz ist als Video der bisherigen Stationen der Reise gestaltet, welches, wie sich kurz darauf herausstellt, Paul in Kiew gezeigt wird. Später, als die Bedrohung in Prypjat manifest wird, treffen drei der Protagonisten, die das Auto auf der Suche nach Stromkabeln kurzzeitig verlassen hatten, bei ihrer Rückkehr dort nicht mehr auf ihre Freunde, sondern lediglich auf deren Digitalkamera, die in verwaschenen Bildern zeigt, was in der Zwischenzeit passiert ist. Der Großteil des Films ist allerdings in einem verwackelten Handkamera-Stil gehalten, der es in der Tat schafft, auch ohne den Found-Footage-Stempel eine Unmittelbarkeit der Ereignisse zu erzeugen und diese auf den Zuschauer zu übertragen.

In der Stilistik manifestiert sich in der Tat eine Stärke des Films, der ansonsten mit klassischen Horror-Motiven arbeitet. Schon zu Beginn kann man sich denken, dass vermutlich nicht viele der Jugendlichen das Ende des Films überleben werden und in der Tat folgt „Chernobyl Diaries“ diesbezüglich den Gesetzen des Slaher-Films und dezimiert die Gruppe um einen nach dem anderen, auch wenn die Bedrohung kein Gesicht und keinen Namen wie Jason Vorhees oder Michael Myers bekommt. Das macht aber nichts, da für diesen Film in der Tat nur wichtig ist, dass die Jugendlichen etwas bedroht und nicht, was sie bedroht. Die Gefahr ist ungreifbar und steigert damit ihr unheimliches Potenzial. Die Charaktere (mit Ausnahme von Juri) hingegen fallen leider auch in die Kategorie des Slasher-Films (passend dazu spielte Jonathan Sadowski bereits im 2009 erschienenen Reboot von „Freitag der 13.“ mit), was bedeutet, dass sie sich als komplett austauschbar herausstellen. Allein die Tatsache, dass man nach drei Vierteln des Films immer noch die Namen der Jugendlichen verwechselt, zeigt, dass von ihnen nicht viel in Erinnerung bleibt. Zwar wird zu Beginn durch Erzählungen, wer gerade wen verlassen hat und wer dadurch welche Probleme bekommt, eine leichte Charakterzeichung versucht, an die man sich jedoch fünf Minuten später nicht mehr erinnert. Zusätzlich entsprechen alle Protagonisten durchweg dem Klischeebild des amerikanischen Studenten beziehungsweise des zwielichtigen Osteuropäers, Charaktertypen, wie man sie aus vielen Filmen kennt. Dimitri Diatchenko schafft es noch am ehesten, seinem Juri eine nebulöse Aura zu verleihen, da man nie genau mitbekommt, wie viel er über die Vorgänge in Prypjat eigentlich weiß. Von den anderen Darstellern hat man durch die Bank weg noch nie etwas gehört, daran wird auch „Chernobyl Diaries“ vermutlich nichts ändern.

Doch wie heißt es so schön: „Es war ja nicht alles schlecht“. Dieser Leitsatz gilt auch für den Film. Denn was die Charaktere und der generelle Plot nicht schaffen, wird durch Stimmung und Atmosphäre wettgemacht. Trotz aller Klischeehaftigkeit der Charaktere nimmt man durch die bereits erwähnte Handkamera, die immer ganz dicht dran am Geschehen ist, spätestens ab den Ereignissen in Prypjat sehr unmittelbar an allem teil. Die Atmosphäre des Films ist hierbei seine größte Stärke. Die Geisterstadt mit ihren verlassenen Plattenbauten, der seit Jahren unberührte Rummelplatz, die ausgestorbenen Straßen, all dies dient als makellose Projektionsfläche für eine unsichtbare Gefahr und sorgt schon von allein für ein sehr beklemmendes Ambiente, da klar ist, dass dies alles hier nicht so ruhig bleiben wird. Nachts wird die Bedrohung durch schummrige Lichtverhältnisse intensiviert und als gegen Ende des Films sich der Kampf ums Überleben in das Atomkraftwerk selbst hineinverlagert, welches mit seinen labyrinthisch angelegten Gangsystemen und seinen kühl-maschinellen Fabrikhallen eine ideale Spielfläche bietet, kann „Chernobyl Diaries“ zumindest atmosphärisch locker mit ähnlich gelagerten Horrorfilmen mithalten. Die Lichtsetzung wird klug genutzt; die Protagonisten besitzen zu Beginn der letzten Nacht zwei Taschenlampen, die als einzige Beleuchtungsquelle fungieren, von denen jedoch erst die eine und kurze Zeit später auch die andere kaputtgeht. Somit wird durch die Reduktion der Sichtbarkeit die Intensität der Bedrohung noch zusätzlich erhöht. Die Schockmomente sitzen und werden mit der Zeit langsam gesteigert, insbesondere einer der ersten, noch tagsüber in einem der verlassenen Häuser, wartet mit einer derart langen Exposition auf, dass man fast schon von augenzwinkerndem Spiel mit einem typischen Horror-Stilmittel sprechen kann. Die Auflösung ist dann zwar etwas konfus, das stört den Gesamteindruck jedoch nicht sehr, zumal man nicht verzweifelt versucht hat, ein Happy End zu konstruieren.

Das kleine Mädchen aus dem Trailer spielt, nebenbei bemerkt, keine tragende Rolle im Film, die entsprechende Szene hätte allerdings das Potenzial dafür gehabt. Die Extremtourismus-Touren nach Prypjat gibt es übrigens wirklich, auch das Kernkraftwerk Tschernobyl kann man besichtigen. Aufgrund des mittlerweile sehr hohen Durchgangsverkehrs dort wurde der Film allerdings in Serbien und Ungarn gedreht, was dem Ambiente jedoch keinen Abbruch tut. „Chernobyl Diaries“ ist ein solider Horrorfilm, der eher auf der Stimmungs- als auf der Handlungsebene punkten kann und trotz aller Schwächen für Freunde des Genres gut geeignet ist.


Autor: Jakob Larisch

Leave a Reply