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Joy – Alles außer gewöhnlich (2015) Review

© 20th Century Fox

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David O. Russell, du verdammtes Genie! Der Mann mit dem Auge für das Ungewöhnliche schlägt wieder zu. Erneut erzählt er uns eine ganz individuelle, eigenständige Variante des Strebens nach Glück und des amerikanischen Traums – in seiner ihm eigenen, unnachahmlichen Art und Weise. Ich gerate sofort ins Schwärmen. Über einen Film, der auf wahren Ereignissen basiert und uns erzählt, wie eine geschiedene junge Frau namens Joy (Jennifer Lawrence) gegen alle Widerstände kämpft, um mit ihrer Erfindung Geld zu verdienen und sich selbst sowie allen Hausfrauen Amerikas das Leben zu erleichtern. Was sie erfindet? Den Miracle Mop, einen Wischmopp, der sich quasi selbst auswringt und dessen Baumwoll-Mopp in der Waschmaschine gereinigt werden kann. Echt jetzt? Echt jetzt. Und das ist sagenhaft spannend, mitreißend, unterhaltsam. Wer David O. Russells zauberhaft-spleenige RomCom „Silver Linings“ und sein eskalierendes Gaunerstück „American Hustle“ bereits gefeiert hat, der kommt auch um „Joy – Alles außer gewöhnlich“ nicht herum. Ein tragikomisches Meisterwerk. Ja, wirklich. Von einem der ganz großen Auteurs des zeitgenössischen amerikanischen Kinos.

Joy Mangano würde sich gerne emanzipieren. Von gesellschaftlichen Zwängen und Schranken, von ihrer leicht desaströsen Familie, die Patchwork-artig irgendwie funktioniert, aber auf enorm wackeligen Beinen steht. „This is a disaster!“ Mehr als einmal wird dieser Satz im Laufe des Filmes geäußert. Trudy (Isabella Rossellini), die neue Freundin von Joys Vater Rudy (Robert DeNiro) unterstützt die (quasi) alleinerziehende junge Mutter finanziell auf ihrem Weg zur erfolgreichen Unternehmerin und Erfinderin von nützlichen Haushaltsgegenständen, doch immer wieder werden ihr intern sowie extern Steine in den Weg gelegt. Joy muss gefühlt hundert Rückschläge verkraften und sich von gesellschaftlichen Stereotypen, Vorurteilen und konservativen Rollenbildern befreien. „Joy“ ist daher als Märchen angelegt, das in seiner gewählten narrativen Form nur im Kino funktionieren kann. Die Handschrift des Regisseurs ist in jeder einzelnen Szene zu spüren: Sei es beim formidablen Editing, das mitunter fulminant durch unterschiedliche Zeitebenen hüpft, bei der grandiosen Musikauswahl, bei der unfassbar schönen und innovativen Bildgestaltung (großes Lob an Director of Photography Linus Sandgren!) und, und, und. David O. Russell erzählt keine konventionelle Geschichte, kein Standard-Biopic – er teilt dem Zuschauer seine Vision du Monde mit und wenn das auch manchmal minimal zu romantisiert daher kommt, so kompensiert und legitimiert er dies doch durch den märchenhaften Grundton seiner Erzählung und mithilfe der klugen Zusatz-Ebenen, die er im Film etabliert. Diese kommentieren und illustrieren beispielweise durch TV-Soap-Opera-, Traum- oder Musical-/Theater-Szenen das Geschehen und gewähren dem Film auch insbesondere durch die Erzählperspektive eine metatextuelle Doppelbödigkeit. Kurzum: „Joy“ ist clever, durchdacht und schlichtweg genial.

© 20th Century Fox

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Russell und seine Oscar-nominierte Story-Co-Autorin Annie Mumolo („Brautalarm“) kokettieren mit Kitsch, mit dem American Dream, Feminismus sowie Sex-&-Gender-Fragen und summieren das Ganze zu einer brillanten Emanzipations-Fabel einer jungen Frau, die sich wie im Märchen von der bösen Stiefschwester und einer vollkommen verkorksten Familie befreien muss, um dann ein Coming-of-Age-artiges Erwachen zu durchleben. Der Plot hält den Zuschauer währenddessen konstant bei der Stange und wirft seiner Heldin immer und immer wieder neue Probleme vor die Füße – sobald man glaubt, Joy könnte final triumphieren, ergeben sich schon wieder neue Hindernisse. Dies ist die große narrative Stärke des Films. Eine weitere sind die hervorragenden Darsteller-Leistungen, bei denen mal wieder Jennifer Lawrence krass hervorsticht, aber auch ihre Co-Stars wie zum Beispiel Dascha Polanco („Orange is the New Black“), Édgar Ramírez, Robert DeNiro oder Bradley Cooper stark aufspielen können.

David O. Russell wählt ein ungewöhnliches Thema, erzählt und bebildert es auf ebenso ungewöhnliche Art und Weise und fasziniert damit das Publikum über die gesamte Laufzeit hinweg. Das ist ganz großes Kino mit Esprit, Charme, Humor, Charakter und einer großartigen Titelheldin. Ein Film über eine Prinzessin, die keinen Prinzen zum Glücklichsein braucht. Nur Menschen, die sie lieben und denen sie vertrauen kann. Das größte Vertrauen jedoch – und das macht „Joy“ so besonders – hat unsere Heldin in ihre eigenen Fähigkeiten. Und ich auf alle Zeit in die von David O. Russell. Für den Moment eine 9/10, allerdings mit der Tendenz zur Höchstwertung. Unbedingt ansehen. Denn „Joy“ und sein Regisseur sind wirklich alles außer gewöhnlich.

Autor: Markus Schu

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