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Begegnungen am Ende der Welt (2007) Review

Werner Herzog macht keinen Film über Pinguine, damit das gleich klar ist. Das hat er nämlich vehement abgelehnt und verneint. Der Ausnahmeregisseur macht eine Dokumentation über – nun ja, was dokumentiert er überhaupt in „Begegnungen am Ende der Welt“? Befürchtete ich zu Beginn ob einiger pseudo-intellektueller und spirituell-verquaster Blödsinns-Statements von Interviewten und haarsträubender Fragen seitens Herzog, dass die Doku des Münchners qualvolle 90 Minuten bedeuten könnte, muss ich letztendlich eingestehen, dass Herzogs Film ein faszinierender Blick auf das Leben selbst geworden ist. Und um dem Leben und dessen Ursprung auf die Schliche zu kommen muss man eben an einen ganz besonderen Ort reisen: ans Ende der Welt.

Genie und Wahnsinn sollen ja nah beieinander liegen, so der Volksmund. Kennt man Spielfilme und Dokumentationen von oder auch über Herzog, möchte man dieser Aussage gerne Glauben schenken. Überhaupt ist es gewagt bei einer Werner-Herzog-Dokumentation tatsächlich den Begriff „Dokumentation“ heranzuziehen. So auch bei „Begegnungen am Ende der Welt“: Herzog reist in die Antarktis und gibt schon während des Flugs die Stoßrichtung seines Filmes vor. Die Menschen interessieren ihn, die Träumer, die vom Rand der Welt gefallen sind und nun in der Antarktis leben, forschen und sinnieren. Herzog verfolgt eigentlich kein Ziel mit seiner Doku, er will eben nur den Zuschauer an seiner Sicht der Dinge teilhaben lassen. Dass es schwierig ist, bei einem solchen Werk einen Zugang zu finden, liegt auf der Hand. Dass man – sofern man denn eben bereit dazu ist – reich belohnt werden kann, ebenfalls.

Ein Nachfahre der Azteken-Könige. Rote Würmer, die als Parasiten im Anus von Seeigeln leben. Eiskathedralen. Priester-ähnliche Taucher. Ein waghalsiger englischer Gentleman am Rande des Vulkans. Suizidgefährdete Pinguine. Intelligente Einzeller. Ein philosophierender Gabelstaplerfahrer. Robben, die nach Pink Floyd klingen. Ein Linguist in einem Land ohne Sprache. Eine Frau in einer Reisetasche. Speiseeis, das keines ist. Fünf Monate ohne Nacht. Simuliertes Whiteout mit Eimern. Die Suche nach Neutrinos. Hawaiianische Beschwörungsformeln – Was klingt wie der Klappentext zu einem neuen Fantasy-Roman von Walter Moers auf seinem fiktiven Kontinent Zamonien soll nur einen Vorgeschmack geben auf das, was den Zuschauer beim Betrachten von Herzogs Film erwartet. Ein Konglomerat aus Beeindruckendem und Absurdem. Eine faszinierende Reise. Ein schwer fassbares Gedicht.

Was will Herzog eigentlich? Hat seine Dokumentation überhaupt ein Ziel? Eine Dramaturgie? Einen Zweck? Es wird mit Sicherheit viel Blödsinn erzählt, doch auch viel Wahres und Wissenschaftliches ist dabei. Die Forscher sind, wie bereits gesagt, auf der Jagd nach dem Ursprung des Lebens. Und wo macht man das am besten? Na klar, am Ende der Welt. Und was ebenfalls klar zu sein scheint, ist, dass die Menschen irgendwann von der Erde aussortiert werden. Was dann übrigbleibt ist ein gefrorener Stör am mathematischen Südpol. Klingt absurd? Ist es auch. Doch dank der beeindruckenden Bilder von Herzogs Stammkameramann Peter Zeitlinger nicht minder faszinierend. Ein waghalsiger Trip, bei dem Fragen beantwortet werden, die sich bisher wohl die wenigsten gestellt haben. Können Pinguine eigentlich geistesgestört werden?

Herzog liefert Antworten auf nichts und auf alles zugleich. Auf Fragen, die eigentlich niemand stellt. Denn Werner will Sturm und keine Yoga-Kurse oder Bankautomaten in McMurdo am Ende der Welt. Und je mehr der Film voranschreitet, desto mehr wird die Antarktis zu Antarctica. Die „hässliche Minenstadt“ McMurdo weicht der atemberaubenden und lebensbedrohlichen schneeweißen Kulisse des siebten Kontinents. Entmystifizierung weicht Mystifizierung. Herzogs Doku scheint von einem anderen Planeten zu erzählen, begleitet Menschen bei ihren absonderlichen Tätigkeiten, gibt Einblicke in das Leben dieser Menschen, erzählt uns woher sie kommen und wohin sie gehen. Herzog ist auf einem Außenposten fernab der wirklichen Welt gelandet. Eine Doku, die keine ist. Untermalt mit sphärischen Klängen, um das Unbeschreibliche doch irgendwie zu dokumentieren. Herzog, wie man ihn kennt und liebt.

Autor: Markus Schu

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