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Zweite Chance (2014) Review

© PROKINO Filmverleih GmbH

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Der Schock nach „Serena“ saß tief. War es wirklich möglich, dass die Regisseurin, der wir wunderbare Filme wie „In a Better World“ oder „After the Wedding“ zu verdanken haben, auf einmal ihr gesamtes Talent eingebüßt hat? Das wird sich leider erst mit kommenden Produktionen zeigen, da „Zweite Chance“ bereits vor „Serena“ abgedreht wurde. Dennoch dürfen die Fans von Susanne Bier erleichtert aufatmen. Das hier gebotene Niveau zeigt deutlich, wo die unbestreitbaren Stärken der Regisseurin liegen und lässt auf weitere gelungene Filme hoffen. Ihr düsteres Drama kommt tatsächlich mit einer solch niederschmetternden Wucht daher, dass man als Zuschauer nach dem Abspann so schockiert im Kinosessel sitzt, dass einem das Aufstehen zunächst schwer fallen dürfte.

Der Schock ist groß, als die Polizisten und besten Freunde Andreas (Nikolaj Coster-Waldau) und Simon (Ulrich Thomsen) die Wohnung eines Junkie-Pärchens (Nikolaj Lie Kaas, Lykke May Andersen) betreten. Bei ihrer Hausdurchsuchung werden sie nicht nur mit katastrophalen häuslichen Verhältnissen konfrontiert, sondern finden darüber hinaus ein hilfloses Baby, das die Eltern in einem Schrank versteckt halten. Leider kann die Polizei nichts dagegen unternehmen, weil sich die Eltern offiziell nichts zu Schulden haben kommen lassen. Ein Umstand, der Andreas psychisch immer mehr belastet, da er selbst Vater ist und dem hilflosen Baby eine Zukunft ermöglichen will. Also fasst er einen schwerwiegenden Entschluss: Eines Nachts bricht er in die Wohnung des Junkie-Pärchens ein und nimmt das Kind mit zu sich nachhause, wo er den kleinen Jungen gemeinsam mit seiner Frau Anna (Maria Bonnevie) großziehen will. Er kann nicht ahnen, dass seine Tat schreckliche Konsequenzen für alle Beteiligten haben wird…

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Die Geschichte rund um einen vom Schicksal gezeichneten Polizisten, der lediglich versucht, das Richtige zu tun, ist tatsächlich harter Tobak. Junge Eltern, schwangere Frauen oder zartbesaitete Menschen sollten den Kinobesuch daher gründlich überdenken. Susanne Bier geht inhaltlich wie visuell keinerlei Kompromisse ein und sorgt damit für den einen oder anderen schockierenden Moment. Wenn man ein hilfloses Baby weinend im eigenen Kot liegen und leiden sieht, schnürt es einem regelrecht die Kehle zu. Doch nicht nur solche Einzelszenen gestalten eine Sichtung von „Zweite Chance“ als Herausforderung. Wirklich bedrückend ist nämlich die Grundatmosphäre des Filmes geraten, die jeglichen Anflug von „Glück“ im Keim erstickt. Bier vollführt das große Kunststück, den gesamten Film über keinerlei positive Entwicklung zu dulden und die bedauernswerte Hauptfigur Andreas immer tiefer in den Abgrund zu manövrieren. Nikolaj Coster-Waldau („Nightwatch“, „Game of Thrones“) spielt den rechtschaffenen Polizisten mit erstaunlichem Gespür für subtile Zwischentöne und zaubert den einen oder anderen großartig intensiven Moment auf die Kinoleinwand. Leider kann seine Leinwandpartnerin hier nicht vollends mithalten, da es Maria Bonnevie in emotional bedeutenden Szenen immer wieder etwas übertreibt. Dennoch funktioniert das Zusammenspiel über weite Strecken ziemlich gut. Beeindruckend sind auch die Leistungen des Antagonisten-Schauspieler-Pärchens Lykke May Andersen und Nikolaj Lie Kaas. Hier offenbart sich nach einiger Zeit eine unerwartete Ambivalenz, die vor allem die Figur der Sanne zur interessantesten des gesamten Filmes werden lässt. Die Szenen in der Wohnung der sozial benachteiligten und semi-kriminellen Eltern gehören im Übrigen zu den verstörendsten und unangenehmsten des gesamten Filmes, da hier mit einer seltenen Explizität und Authentizität auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam gemacht wird – obgleich Susanne Bier bei ihrer Milieustudie der Klischee-Falle nicht immer vollends zu entgehen vermag.

Kritikpunkte sind lediglich in der Gestaltung der Nebenfiguren zu verorten, die in ihrer Entwicklung Stringenz vermissen lassen. So hat beispielsweise Ulrich Thomsens Charakter Simon mit deutlichen Alkoholproblemen zu kämpfen, ohne dass dieser Umstand für die Handlung in irgendeiner Weise relevant wäre. Hätte Susanne Bier ihre Figuren konsequenter ausformuliert, wäre ihr Film eine vollkommen runde Sache geworden. So bleibt es bei einem beeindruckenden und herausfordernden Drama mit leichten Schwächen in den Details.

Autor: Jonas Hoppe

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