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Zum 70. Geburtstag von Rainer Werner Fassbinder: Rainers Reise #1 – Blinde unter sich

© STUDIOCANAL Home Entertainment

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Thomas Elsaesser hat einmal geschrieben:

„Fassbinders Innenräume atmen den kleinbürgerlichen Mief, den die Heuchelei derjenigen produziert, die großen Wert auf ihre ehrenwerte Erscheinung legen, aber verdrossen und frustriert feststellen, dass sie sich nicht einmal selbst überzeugen können.“1

Frustriert und verdrossen: Wahre Worte, die subtil und auf dem Punkt gebracht Fassbinders zweiten Spielfilm „Katzelmacher“ (1969) zusammenfassen: Ein beunruhigend kurzanbindender Film über den Zusammenprall von Scheinheiligkeit und Vorurteilen, Selbstdarstellung und Besserstellung, von Neid und Vergleich und das alles verpackt in ein antitheatralisches Konzept ohne Brecht‘schen Lehrcharakter, gefilmt in einer Mise-en-scène voller Flachheit in Bild wie Charakteren. Was dem Zuschauer hier zur Schau gestellt wird, ist stets der frontale Blick auf Figuren, die gleichzeitig sinnbildhaft für eine höhere Wahrheit stehen, aber auch überspitzt und karikiert wirken, Sätze sprechen, die auffällig nicht aus ihren Mündern stammen und dadurch Einblick in das Schaffen ihres Regisseurs erkennen: „Eine Liebe und so. Das hat immer mit Geld zu tun“, sagt einer von ihnen, während ein anderer in einem seltsam anmutenden Kunstbayrisch hinzufügt: „In einer Liebe da gehört schon ein Schmerz.“

Liebe, Macht und Geld und ihre Relation zueinander, zentrale Motive in Fassbinders Werk, lassen sich in „Katzelmacher“ beispielhaft wiederfinden, verpackt in den biederen Kontext einer Sozialstudie über Einwanderer und Gastarbeiter und ihre Situation mit dem nicht so freundlichen Gastgeber. Zusammengeworfen erzeugt das mit der Zeit latente Gewalt, die dann aber doch eher verpufft, entweder weil die hochgespielte Potenzfähigkeit der selbstzufriedenen Bayern sich doch als Feigheit entpuppt oder der griechische Gastarbeiter selbst kein Deut besser ist als seine Peiniger. Fassbinder zeigt hier einerseits seine Einstellung zur Politik, die Unmöglichkeit, eine allgemein verbindliche politische Position zu beziehen2, andererseits das Recht des Außenseiters, ähnlich inhuman, chauvinistisch und rassistisch zu sein wie sein Gegenüber.3 Das alles erlebt der Zuschauer, ohne jemals den Blick der Figuren zu sehen. Wir sehen nicht, was sie sehen, weil uns Fassbinder theaterhaft vor eine Bühne setzt, ohne abgefilmtes Theater zu betreiben und uns so blind lässt, wie er seine Figuren blind hält, weil sie niemals das sehen können, was wir sehen: Überhebliche Grabenkämpfe zwischen Freunden und albernes Lamentieren über den Tratsch am Morgen, wer mit wem und wie oft und wie lange und sowieso. Die ganze Bandbreite der Frustration über das eigene, bescheidene Leben. Wo heute „Trash-TV“ für das „Prekariat“ produziert wird, um es bei Stange zu halten, schaute man damals eben noch auf die Straße und beschimpfte den nächsten Gastarbeiter.

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Das zeigt uns Fassbinder mit statischen Kamerablicken, distanziert, ohne seine unverkennbaren Zooms späterer Filme, ganz in den Raum gedacht, mit einer Tiefe, die dann doch keine ist und gelegentlichen Detailaufnahmen, die aber auch nicht mehr verraten, als dass die Figuren in einem gewaltigen Glashaus sitzen, aus dem man eigentlich keine Steine werfen sollte. Die Reduktion der Mittel wird dann immer wieder unterbrochen, wenn unter musikalischen Untermalung des immer gleichen Klavierstücks Paare der Kamera entgegenlaufen, ähnlich einem Spaziergang nach einer Beerdigung. Sie sprechen dann von ihren Träumen, von ihren Beziehungen und den Illusionen möglicher Schauspielkarrieren, denen sie sich hingeben wollen. Gehen sie also zu einer Beerdigung? Hier bricht Fassbinder mit seinem „antiteater“, um damit auch auf filmischer Ebene eine gewisse Dialektik zu erzeugen. Diese Figuren schlagen sich, ohne eine Miene zu verziehen, beschimpfen sich, ohne hochzugucken und so braust auch die Kamera mal auf, indem sie sich in Gang setzt und dann erklingt Musik und alles – doch unaufgeregt bleiben die Bilder, die sie erzeugt. Es ist nicht langweilig, was Fassbinder hier tut, es mag schwer zugänglich sein und klumpig wirken, doch es sind die Nuancen, die den Film vor einer gewissen Oberflächlichkeit schützen und dadurch auch im Jahr 2015 gewisse Wahrheiten aufzeigt, die sich nicht geändert haben.

Der von Fassbinder selbst verkörperte Grieche kann zwar kein Deutsch, doch wirkt er nicht so unverständlich wie die übrigen Figuren, die dann lieber mittels Gewalt kommunizieren. Was hier passiert, Nicht-Kommunikation an Nicht-Orten (Treppenhäuser, Autos, Straßen, Kneipen, Toiletten, Flure), hat Jim Jarmusch in „Ghost Dog“ (USA 1999) humorvoll umspielt, Fassbinder dagegen zeigt das daraus resultierende Elend und so sein Deutschland der späten 1960er-Jahre: Mit sich beschäftigt, satt und zufrieden, mit Scheuklappen und Schlagringen und dabei behäbig und selbstgerecht. Die Frage die sicher jeder stellen darf. Gilt das nicht auch noch für heute?

Autor: Lucas Curstädt

[1] Thomas Elsaesser (2000): Rainer Werner Fassbinder, S. 33

[2] Vgl. Thomas Elsaesser (2000): Rainer Werner Fassbinder, S. 39

[3] Vgl. Thomas Elsaesser (2000): Rainer Werner Fassbinder, S. 40

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