Einen Kommentar hinterlassen

Unknown User (2014/2015) Review

© Universal Pictures

© Universal Pictures

In einer Ära der zunehmenden Digitalisierung aller Lebensbereiche ist es nur eine Frage der Zeit, bis neue Formen medialer Darstellung eine künstlerische Verarbeitung finden. Ein großer Teil des heutigen Lebens spielt sich auf Computerbildschirmen ab, der PC oder der Laptop, das iPad oder das Smartphone sind für viele Menschen ein mittlerweile unverzichtbares Mittel zur Bewältigung ihres Alltages geworden. Was läge da näher, als aus der digitalen Wirklichkeit eine ganz eigene Filmstruktur zu formen, die jenem technoiden Lebensrhythmus Rechnung trägt? „Unknown User“ ist ein Werk, welches genau dies tut, eine hochgradig spannende Studie, die mit reduzierten Mitteln eine scheinbar alltäglich grundierte Geschichte auf kreativ-faszinierende Weise neu verpackt.

Der ganze Film spielt sich in Echtzeit auf einem einzigen Desktop ab, Grundbaustein ist dabei eine per Webcam geführte Skype-Konferenz von sechs Freunden. Auf den Tag genau vor einem Jahr beging ihre Mitschülerin Laura Barns Suizid, nachdem sie aufgrund eines kompromittierenden Videos ein Opfer von Cyber-Mobbing geworden war. Nun schaltet sich in ihre Gruppendiskussion per Chat der titelgebende unbekannte Nutzer ein, welcher nicht nur die Rechner der Jugendlichen kapert, sondern nach kurzer Zeit ein Spiel mit tödlichen Konsequenzen für jeden Einzelnen startet. Es scheint Laura zu sein; ist sie als Geist zurückgekehrt, um sich zu rächen oder hat jemand ihr Profil gehackt?

Nein, der erste Film, der komplett in Desktop-Optik und auf einem einzigen Computerbildschirm spielend gedreht wurde, ist „Unknown User“ nicht. Das war „Open Windows“, letztes Jahr, mit Ex-Hobbit Elijah Wood und Ex-Porno-Queen Sasha Grey in den Hauptrollen. Ein ambitioniertes und interessantes Experiment, ohne Frage, aber relativ schnell immer realitätsfernere Sphären erklimmend und daher eher eine Art Digital-Science-Fiction als ein packender Thriller. Denn trotz der visuellen Limitierung auf die Laptop-Ebene konnte mit vollkommen abgedrehten Programmen jedwede mögliche Kamera mit dem Rechner verbunden werden, so dass es dem von Frodo gespielten Protagonisten beispielsweise möglich war, mal eben ein komplettes Hotel zu überblicken oder er auf einer interaktiven Karte den Standort von Polizeiwagen angezeigt bekam: Die Software war derart ambitioniert, dass sie teils direkt von der NSA zu kommen schien, was zu einer massiven Distanz des Zuschauers zum Geschehen führte. Alles war möglich in diesem Film und genau das raubte ihm auf Dauer die Spannung, da kaum noch Grenzen für das Agieren der Protagonisten gegeben waren.

© Universal Pictures

© Universal Pictures

„Unknown User“ ist da anders, er erdet quasi das ganz neu geschaffene Genre des „Laptop-Thrillers“ oder „Desktop-Thrillers“ und führt es in einen bodenständigen Kosmos zurück, nicht nur aufgrund der benutzten Programme. Jeder Zuschauer dürfte sich in diesem Film wiederfinden, er bedient die volle Bandbreite an täglich genutzten Anwendungen: Skype, Facebook, YouTube, Spotify, Google und die Chat-Software iMessage (die Protagonistin Blaire (Shelley Henning) ist Mac-User). Das virtuose Hin und Her zwischen den einzelnen Programmen, die Ausgestaltung in Echtzeit, die häufig auftretenden Pixelfehler, all dies erleichtert die Identifikation mit den nahezu dauerhaft sichtbaren Figuren und dem erzählerischen Rahmen, da man sich aufgrund des gewohnten Desktop-Anblicks sehr leicht in die Handlung hineinversetzen kann. Der Film hält die Spannung auch dann, wenn Blaire etwas in ein Chatfenster schreibt, es löscht, drei Sekunden überlegt und zaghaft wieder etwas schreibt, nur um es erneut zu löschen und erst im dritten Anlauf die richtige Formulierung zu finden. Dies ist schlicht realistisch, jeder dürfte diesen Ablauf kennen, so dass man irgendwann fast das Gefühl hat, eine eigene Benutzeroberfläche auf der Leinwand zu sehen.

Der Film zitiert sich dabei einmal quer durch alle möglichen Horror-Subgenres und verpasst ihnen auf diese Weise quasi ein zeitgenössisches System-Update. Die Grundstruktur der Handlung ist an einen typischen Geister- oder Dämonen-Film angelehnt, nur dass sich dieser nicht mehr in rückenden Stühlen oder weiß gekleideten Frauen am Kamin äußert, sondern in kaputten Skype-Applikationen, dem nicht mehr funktionierenden Lautstärke-Regler am Laptop oder einem kompromittierten Spotify, welches nach einer Lüge der Hauptdarstellerin plötzlich vierzig Mal den Song „How You Lie, Lie, Lie“ in der Playlist hat. Die einer-nach-dem-anderen-Dramaturgie ist an den Slasher-Film angelehnt, während zwischendurch Splatter-Elemente oder Haunted-House-Anleihen eingebaut werden. „Unknown User“ wird somit zu einer digital aktualisierten Version klassischer Horror-Erzählmuster, was ihn gerade im Kontext des Genres zu einem durchaus richtungsweisenden und dabei mitreißenden Vertreter macht.

© Universal Pictures

© Universal Pictures

Doch nicht nur das Setting wird mustergültig genutzt, es ergänzt sich zusätzlich perfekt mit der Story. Nach und nach kommt heraus, dass jeder der Beteiligten ein Geheimnis hat, welches über kurz oder lang mit Lauras Suizid in Verbindung steht und auch, dass die einzelnen Figuren zusätzlich nicht immer ganz ehrlich miteinander waren. Der Film macht dabei auch nicht vor der sukzessiven Dekonstruktion von Identifikationsfiguren halt, das Ganze wird moralisch ambivalent ausgestaltet und das Ende macht dabei auf schonungslose Weise alles richtig. Regisseur Levan Gabriadze bringt zudem gute Ideen für eine gewisse visuelle Varianz ein und schafft es, diese in starke Bilder zu gießen. Die Umsetzung etwa, wenn sich ein scheinbarer Screenshot nicht als ein solcher entpuppt, sondern durch einen leicht vibrierenden Gegenstand als Bewegtbild enttarnt wird, ist ein Musterbeispiel für Spannungsaufbau innerhalb eines eigentlichen limitierten Kontextes. Die No-Name-Darsteller machen ihre Sache dabei allesamt gut, ein Kompliment muss daneben an die Übersetzer gehen, da sämtliche Schrifteinblendungen, seien es Chatnachrichten, Facebook-Einträge oder YouTube-Beschreibungen, auf Deutsch übersetzt wurden; ein Verfahren, welches in anderen Ländern mit der jeweiligen Sprache ebenfalls so gehandhabt wurde.

„Unknown User“ kann mit etwas punkten, was es im aktuellen Kino nicht mehr häufig gibt: Originalität und Innovation. Zwar hat der Film den Desktop-Thriller nicht erfunden, aber er darf definitiv als dessen gestalterischer Vorreiter und als eine verdammt ausgereifte Version betrachtet werden. Das digitale Upgrade vertrauter Horror-Elemente zu einer ganz eigenen Mischung ist brillant durchdacht, genial inszeniert und erzählt eine spannungsreiche und zeitgemäße Geschichte in einem neuen und dabei lebensnahen stilistischen Gewand. Es muss nicht immer Bombast sein, manchmal sind extrem starke Ideen nur so groß wie ein Computerbildschirm. 9/10

Autor: Jakob Larisch

Leave a Reply