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The Wolf of Wall Street (2013) Review

Der aus einfachen Verhältnissen stammende Jordan Belfort hat nur einen Traum: so schnell wie möglich an das große Geld zu kommen. Wo könnte man diesen Traum schneller verwirklichen als an der Wall Street? Mit der Hilfe des exzentrischen Börsenmaklers Mark Hannah wird er in die tiefsten Tiefen der Börsenwelt eingeführt. Schnell begreift er, dass die Welt der Zahlen nicht nur Geld anzubieten hat, sondern auch noch andere Verlockungen.

Martin Scorseses neues Werk „The Wolf of Wall Street“ ist mittlerweile schon die fünfte Zusammenarbeit mit Charakterdarsteller Leonardo DiCaprio. Konnten die beiden mit ihren vorherigen Werken einen bleibenden Eindruck hinterlassen, läuft ihre neueste Zusammenarbeit Gefahr, nichts weiter zu sein als Projekt mit einem einzigen Ziel: bei den Oscar-Verleihungen mitzumischen, damit DiCaprio endlich zu seinem Goldjungen kommt. Betrachtet man sich den Film mit einem gewissen Abstand, bleiben nämlich nur die schauspielerischen Leistungen der Darsteller in den Köpfen hängen. Die eigentliche Geschichte des Films scheint nur eine nervige Randnotiz zu sein, die erzählt werden muss. Der gesamte Film wirkt wie eine Aneinanderreihung von Partyexzessen, bei denen nebenbei noch etwas mit Aktien gehandelt wird. Diese Szenen sind grandios in Szene gesetzt, doch wirken sie weltfremd und verherrlichend dargestellt. Sollte es an der Börse wirklich so zugehen, wie im Film offenbart, fragt man sich, wie die Börsenmakler in der Lage sind, überhaupt irgendwelche Geschäfte gewinnbringend abzuschließen. Der Film vermittelt nämlich den Eindruck, die Wall Street sei ein Schlaraffenland für die Drogen- und Sexsüchtigen. Es gibt keinen Makler, der sich nur auf das Geschäft konzentriert und sich von den Exzessen distanziert, der ausschweifende Lebensstil gehört schon fast zum guten Ton. Nicht nur, dass diese oberflächliche Darstellung surreal wirkt, so wird die Wiederholung ein und derselben Situation mit der Zeit auch langweilig. Den Schauspielern wird leider keine echte Herausforderung geboten, außer der Darstellung ihrer Charaktere im Rauschzustand, ausgelöst von den verschiedensten Mitteln. Fast schon könnte man meinen, Scorsese würde den Drogenmissbrauch verherrlichen, wenn er beispielsweise das Überleben eines seiner Charaktere von dem Drogenkonsum des anderen Charakters abhängig macht. Der Fakt, dass diese Sichtweise damit untermalt wird, dass im Hintergrund der Szene „Popeye, der Seemann“ im Fernsehen zu sehen ist, der sich auch erst durch den Konsum von Spinat zu dem bekannten Superhelden verwandelt, mag im ersten Moment für ein Schmunzeln sorgen. Man fragt sich im Zweiten jedoch, ob er hiermit die drogensüchtigen Charaktere seines Films aufwerten möchte, die sich durch den Drogenkonsum zu Superhelden der Börse verwandeln und den Job zu Ende bringen, oder ob er den allseits beliebten Kinderhelden Popeye abwertend charakterisieren möchte, der ohne sein Spinat zu nichts zu gebrauchen ist.

Stilistisch gesehen kann sich Scorsese leider nicht entscheiden, wie er die Geschichte erzählen möchte. Zu Beginn des Filmes erwartet den Zuschauer ein allwissender Erzähler à la Henry Hill (Ray Liotta) aus „Good Fellas“ oder Amsterdam Vallon (Leonardo DiCaprio) aus „Gangs of New York“. Doch im Laufe des Filmes entwickelt sich die Stimme von einem allwissenden Erzähler zu der inneren Stimme des Hauptdarstellers. Dies ist unnötig, da die Szenen, in denen die Gedanken des Hauptdarstellers dem Zuschauer zugänglich gemacht werden, dessen nicht bedurft hätten. Scorsese begeht hier unnötigerweise einen Bruch in seiner Erzählweise; der lässt den Zuschauer fragend zurück, was die Stimme aus dem Off nun eigentlich darstellen sollte. Leider belässt es Scorsese nicht nur bei dieser Variation, in einer anderen Szene unterhalten sich zwei Charaktere scheinbar telepathisch, als wären Börsenmakler übernatürliche Wesen, die ihr Glück im Börsenhandel aus dieser speziellen Fähigkeit ziehen. Alles in allem wirkt die Erzählung aus dem Off nicht so harmonisch, wie man es sonst von dem Altmeister gewohnt ist.

Leider schafft es Scorsese auch nicht, die Rollen des Antagonisten Patrick Denham (Kyle Chandler) als solchen zu etablieren. Hier wird sehr viel Potential verschleudert, spielt Chandler seine viel zu wenigen Szenen doch so unglaublich gut. Dem Zuschauer ist mit dem ersten Auftreten bewusst, dass Denham Belfort zu Fall bringen wird, doch einen möglichen Schlagabtausch inszeniert Scorsese aus welchen Gründen auch immer nicht. Die Verhaftung Belforts wird dementsprechend auch nicht als Erfolg Denhams gewertet, es passiert einfach. Dem Zuschauer wird nicht die Möglichkeit gegeben, sich mit dem Charakter in eine emotionale Bindung zu begeben. Deswegen wirkt auch die letzte Szene Chandlers so deplatziert, in der er in sein tristes Leben zurückkehrt und sich für ihn nichts geändert hat, trotz seiner heroischen Taten. Man hat die Szene genauso schnell vergessen, wie sie gedauert hat. Auch aufgrund seiner herausragenden Bedeutung für den gesamten Film hätte ihm ein wenig mehr Screentime gut getan. Denham ist nämlich der erste Charakter, der abseits der absurden Welt der Börsenmakler steht und einen Kontrast dazu bildet. Diese Potential bleibt leider ungenutzt. Andere Filme haben bewiesen, wie sehr die Dramaturgie eines Filmes von einer solchen Beziehung zwischen Protagonisten und Antagonisten profitieren kann, so zum Beispiel Denzel Washington und Russell Crowe in „American Gangster“. Man hätte sich an diesem Film orientieren können und Denham und DiCaprio dieselbe Screentime zusprechen können. Oder man hätte es aber auch wie „Die Unbestechlichen“ halten und den Film gänzlich aus der Sicht des FBI-Ermittlers erzählen können, dies wäre vielleicht etwas interessanter gewesen als die Fixierung auf DiCaprios Charakter. Dieser ist leider nicht so vielschichtig wie beispielsweise Sam „Ace“ Rothstein aus „Casino“, das interessanteste an seinem Leben ist nun mal sein Lebensstil. Um diesen darzustellen, hätte auch weniger Zeit ausgereicht. Sein Aufstieg verläuft bis auf einen kleinen Rückschlag monoton steigend. Dementsprechend schnell bewegt sich der Film auch auf den Höhepunkt in Belforts Leben zu und verbringt eine viel zu lange Weile in dieser Epoche.

Das Ende des Filmes wirkt ein wenig abrupt, da für den Zuschauer nichts darauf hingedeutet hat, dass der Abstieg Belforts bevorsteht, doch kann man sich so in den Charakter hineinversetzen, für den seine Verhaftung wahrscheinlich genauso abrupt kam. Gerade als er sein Leben wieder auf die Reihe bekommen hat, wird er von den Dämonen seiner Vergangenheit eingeholt und verhaftet. Verzeiht man Scorsese dieses abrupte Umschwenken, ist das Ende doch noch recht gelungen und wirkt wie eine angenehme Abwechslung von dem restlichen Spektakel. Der Film beruhigt sich allmählich und klingt ganz sanft ab. Diese ruhige Erzählweise hätte man sich statt eines weiteren Party-Exzesses auch an der ein oder anderen Stelle des Filmes gewünscht.

Zugute halten muss man Scorsese, dass man es dem Film in keinster Weise anmerkt, dass er nachträglich von vier Stunden auf seine aktuelle Länge gekürzt wurde. Diese Problematik hat er mit Bravour gemeistert. Auch ist die schauspielerische Leistung des Casts überragend. Von Leonardo DiCaprio über Matthew McConaughey bis hin zu Jonah Hill weiß jeder zu überzeugen und seiner Rolle Tiefe zu verleihen. Jean Dujardin beweist sogar, dass seine Angst vor dem Tonfilm völlig unbegründet war. Besonders in Erinnerung bleibt, neben dem wie immer brillant spielenden DiCaprio, unweigerlich Jonah Hill, der sich neben diesem beweisen musste. Er schafft dies mit Bravour und zeigt, dass seine Oscar-Nominierung keineswegs unbegründet ist, sondern dass er sich diese redlich verdient hat.

Im Großen und Ganzen ist „The Wolf of Wall Street“ leider besonders in der Mitte etwas zu aufgebläht und verliert seine Geschichte aus den Augen. Fast schon zu spät besinnt sich der Film darauf zurück und schafft es gerade noch so, zu einem harmonischen Ende zu kommen. Etwas weniger Spielzeit und etwas weniger Exzentrik hätten dem Film gutgetan. Dazu bietet er zwar viele herausragende Charaktere, denkt man aber genauer über sie nach, fällt einem auf, dass sich diese nur marginal unterscheiden. Es fehlt zumindest eine Person, die im Kontrast zu den dargestellten Brokern steht. So bekommt man eine eindimensionale Welt dargestellt und den Eindruck, als würde der Film versuchen, die Börse generell als Sündenpool zu verteufeln. Der Film ist auf jeden Fall einen Kinobesuch wert, jedoch wird man hier keinen Scorsese in Topform erleben, sondern nur eine durchschnittliche Leistung des Altmeisters.

Autor: Mamon Hassani

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