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The Believer (Inside a Skinhead, 2001) Blu-ray-Kritik

© capelight pictures

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Ambivalenzen und Hintergründe sind wichtige Faktoren beim Verstehen von Handlungen und Motivationen einzelner Personen. Immer wieder stellen jedoch (insbesondere populäre) Filme negativ besetzten Figuren kaum nachhaltige Hintergründe jenseits billiger Psychologisierungen an die Seite: Oft sind sie böse, einfach, weil sie böse sind. So lassen sich Vergeltungshandlungen von Protagonisten besser rechtfertigen, auch muss man sich nicht mit Erklärungen herumschlagen. Doch warum ein Mensch so agiert, wie er agiert, hat in der Regel einen Grund und auch wenn dieser ein destruktives Verhalten in der Regel nicht rechtfertigt, so kann er es zumindest begründen und erklären. Auf diesen schmalen Grat begibt sich „The Believer“ (in Deutschland auch als „Inside a Skinhead“ bekannt), der es sich zur Aufgabe macht, zu ergründen, was eigentlich im Kopf eines zutiefst antisemitisch eingestellten, hasserfüllten Neonazis (Ryan Gosling) vorgeht, der gleichwohl selbst Jude ist.

Bevor man diese Prämisse als lächerlich verwirft, sei daran erinnert, dass der Film lose auf der wahren Geschichte des US-Amerikaners Dan Burros basiert; im Film heißt er Daniel Balint und auch sonst ist einiges abgeändert worden. Doch bleibt die Grundsituation die gleiche und sie wirkt in der Realität wie in der Fiktion zunächst schwer zu glauben. „The Believer“ leitet die Radikalisierung seines Protagonisten dabei unter anderem aus seiner Jugend her: In der jüdischen Schule macht er moralische Widersprüche und ethische Problemstellungen aufseiten der Religion aus (konkret geht es um die Geschichte von Abraham und Isaak), die jedoch durch den strenggläubigen Lehrer nicht argumentativ erwidert werden, stattdessen sieht sich Daniel behandelt wie ein Häretiker, da Kritik an den auch textlichen Voraussetzungen des Glaubens nicht erwünscht ist. Daniel wird alleingelassen, er hat keinen Ansprechpartner, keine Strukturen, die seine Unzufriedenheit auffangen. Seine Ernüchterung bricht sich Bahn in einen radikalen Antisemitismus hinein, der auf diese Weise eventuell etwas simpel begründet wird, da entsprechende Hintergründe in der Realität vielschichtiger sein dürften und zudem auch die entsprechenden Biografien von Daniels dumpfen und geistig beschränkten Kameraden im Dunkeln bleiben.

Wie bereits im ersten Absatz erwähnt, dient eine solche Herleitung selbstverständlich keineswegs als Rechtfertigung für das Hinwenden zu einer derartigen Ideologie: Weder die damit einhergehenden widerwärtigen Hetztiraden noch das gewalttätige Verhalten des Protagonisten lassen sich in irgendeiner Weise rechtfertigen, doch kann der entsprechende Hintergrund (auch auf abstrakter Ebene) zumindest Ansätze einer Erklärung liefern. „The Believer“ transportiert in dieser Hinsicht keinerlei Kritik am jüdischen Glauben, sondern allgemein an religiöser Starrheit sowie einer damit verbundenen mangelnden Aufgeschlossenheit, auch sein eigenes Weltbild in Frage zu stellen bzw. stellen zu können. Mit christlichen oder islamischen Vorstellungen ließe sich ein ähnliches Szenario denken. Soziale oder familiäre Strukturen, in denen entsprechende Dinge diskutiert werden können, bieten dagegen einen Halt, der ein Abrutschen in politische bzw. religiöse Extreme verhindern kann, der Daniel als Jugendlichem jedoch verwehrt blieb. Dies wird umso deutlicher, als er nun als Erwachsener eine Beziehung mit Carla (Summer Phoenix) eingeht, die als Tochter der Anführerin einer lokalen Gruppierung von Faschisten jedoch ihrerseits Interesse am jüdischen Glauben zeigt. Durch sie findet Daniel zumindest in Teilen zu sich selbst und seinen Wurzeln zurück, welche auf eigenartige Weise ohnehin ein dauerhafter Begleiter für ihn sind.

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Denn Daniel scheint in einer skurrilen Schizophrenie seiner Person gefangen: Er ist (im Gegensatz zu seinen Kameraden) ein hochintelligenter und rhetorisch eloquenter Rechtsextremer, wodurch ihm ein gewisser politischer Aufstieg ermöglicht wird. Er kennt jüdische Traditionen, Glaubenszeremonien und Verhaltensregeln wie kaum jemand anders, spricht fließend Hebräisch und zeigt eine sichtbare Abneigung gegen seine Neonazi-Gefährten, als diese in einer Synagoge die Thora zerstören. Er will nach eigener Aussage „Juden töten“, schießt jedoch bei Attentaten daneben und sorgt (möglicherweise) dafür, dass geplante Bombenanschläge schiefgehen. Daniel ist ein zerrissener Geist, der in Ryan Gosling, hier in seiner Debüt-Hauptrolle, eine ideale schauspielerische Verkörperung gefunden hat.

Anders als in dem deutlich konventioneller verlaufenden, thematisch ähnlich gelagerten „American History X“ (der nichtsdestotrotz ein gewisses Maß an politischer wie gleichsam emotionaler Wucht mit sich führt), weiß man in „The Believer“ daher nie so ganz genau, in welche Richtung sich die Hauptfigur denn nun entwickeln wird. Gleiches gilt für die erzählte Geschichte als Ganzes und es ist diese teils zum Verzweifeln führende Unberechenbarkeit, die den Film nicht einfach macht und mit der es sich der Film selbst auch bewusst nicht einfach macht. „The Believer“ verschließt sich einer simplen Identifikationsstruktur, er provoziert, er forscht nach und unterstreicht dabei, dass Ambivalenzen ein (in diesem Fall unheilvoller) Teil des gesellschaftlichen Lebens sind, die aufgedeckt und erörtert werden müssen, um überhaupt eine Chance zu haben, destruktives und gewalttätiges Verhalten zu verstehen und so eventuell gar verhindern zu können.

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Die Edition: capelight pictures veröffentlicht „The Believer“ als bewährtes Mediabook, welches jedoch außer einem Booklet und dem Trailer keinerlei Bonusmaterial aufweist.

Autor: Jakob Larisch

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