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Sicario (2015) Review

© STUDIOCANAL

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Jedes Jahr ein Film. Was eigentlich das Credo von Woody Allen ist, trifft seit 2013 auch auf den kanadischen Regisseur Denis Villeneuve zu, zumindest, wenn man die deutschen Kinostarts zugrunde legt. Erstmals in größerem Stil auf sich aufmerksam machte er mit seinem Oscar-nominierten Drama „Die Frau die singt – Incendies“ (2010), bevor er mit „Prisoners“ (2013) sein englischsprachiges Debüt ablieferte. Der düstere Kriminalfilm wurde überwiegend sehr positiv rezipiert, ebenso wie sein Follow-Up „Enemy“, womit Villeneuve jedoch einen Schwenk hin zu einem surrealen Mindgame-Movie vollzog. Mit seinem jüngsten Film „Sicario“ bewegt er sich nun wieder in eine andere Richtung und legt einen knallharten Drogen-Thriller vor, dem zwar gegen Ende leider dramaturgisch etwas die Luft ausgeht, der jedoch derart brillant und dynamisch inszeniert ist, dass sich darüber leicht hinwegsehen lässt.

Bereits der Anfang des Films vermag eine ungemeine Sogwirkung zu entfalten. Die Logos der beteiligten Verleiher und Studios flimmern über die Leinwand, danach eine Übersetzung des Filmtitels („Sicario“ ist das spanische Wort für Auftragsmörder) und dann ist dann noch eine kaum wahrnehmbare Geräuschkulisse, mehr zu spüren als zu hören. Ein tiefes, rhythmisches Wummern, welches immer lauter wird, je näher der Beginn des eigentlichen Filmes rückt. Schließlich ist eine Wüstenlandschaft zu sehen, in die auf geometrische Weise mehrere Häuser gebaut wurden, die klassischen amerikanischen Suburbs. Die Sicht auf das Geschehen wechselt zwischen der Vogelperspektive, in der man mehrere Autos in einer Reihe eine Straße entlangfahren sieht, und der Sicht aus einem dieser Autos heraus. Die Kamera bewegt sich, ein Mal im Auto, ein Mal mit den Autos, der Sound wird immer stärker, eine produktive Unsicherheit macht sich breit: Worauf läuft das Ganze hinaus? Die Antwort folgt auf dem Fuße, die Spannung entlädt sich. Und damit geht es erst wirklich los.

Diese Exposition gibt einen Vorgeschmack auf die unglaubliche formale Brillanz, die „Sicario“ umweht. Die Handlung ist dabei an der amerikanisch-mexikanischen Grenze situiert, wo der Einfluss mexikanischer Drogenkartelle sich auch auf das Gebiet der USA erstreckt. Dort wird der FBI-Agentin Kate (Emily Blunt), die für den Drogenhandel und alle damit verbundenen Verbrechen zuständig ist, das Angebot gemacht, in ein Team jenseits des FBI zu wechseln, um den Kampf gegen Drogen künftig effektiver führen zu können. Unter der Ägide des zwanghaft ironischen Matt Graver (Josh Brolin), dessen beruflichen Hintergrund Kate nicht erfährt, soll das Übel bei der Wurzel gepackt werden: in Mexiko. Dabei geht bei weitem nicht alles mit rechten Dingen zu, denn die Truppe bewegt sich häufig jenseits der Legalität.

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Dabei bleibt für Kate und den Zuschauer zunächst fast alles im Dunkeln, wer für wen arbeitet, welche Hintergründe die einzelnen Personen haben und welche Rolle eigentlich der ehemalige Staatsanwalt Alejandro (Benicio Del Toro) spielt, dies wird erst Stück für Stück enthüllt. Auch wenn das Maß an Desinformation in Bezug auf Kate nicht immer ganz akkurat erscheint, so gibt der Film zumindest dem Zuschauer immer genau zum richtigen Zeitpunkt ein weiteres Puzzleteil preis, welches manchmal auch wieder ein neues Rätsel aufwirft. Auf diese Weise wird die Spannung konsequent gehalten, man besitzt immer genügend Informationen, gleichzeitig wird aber stets so viel vorenthalten, dass man dauerhaft gedanklich involviert bleibt, bis sich am Ende Stück für Stück alles zusammensetzt. Dies ist dann auch der Moment, in welchem „Sicario“ seine größte Schwäche offenbart: Denn Villeneuve und Drehbuchautor Taylor Sheridan haben über die Laufzeit des Filmes eine enorme Erwartungshaltung etabliert, deren Druck die Auflösung nicht hundertprozentig gerecht wird. Die Gründe für den Aufbau des komplexen Geflechts von Figuren, Orten und Ereignissen scheinen zu einfach, zu oberflächlich und werden den vielschichtigen Hintergründen von Drogenhandel und Drogenkonsum vermutlich nicht gerecht. Etwas mehr dramaturgische Tiefe wäre hier vielleicht nicht verkehrt gewesen.

Das eigentlich Highlight des Films ist allerdings seine formale Gestaltung. Regisseur Denis Villeneuve gelingt es mit Hilfe seines exzellenten Kameramannes Roger Deakins und des pumpenden Electro-Scores von Komponist Jóhann Jóhannsson, auch solche Szenen unfassbar spannend zu gestalten, in denen zunächst nicht wirklich viel passiert. Bestes Beispiel dafür ist eine Szene in der Mitte des Films, in der eine Karawane von Autos über die Grenze nach Mexiko fährt, dort etwas abholt, wieder zurückfährt und am Grenzübergang in eine Schießerei gerät. Während man als konventioneller Action-Regisseur seinen inszenatorischen Fokus vermutlich auf den letzten Punkt gelegt hätte, wird dieser bei Villeneuve kurz und bündig abgehandelt. Denn die entsprechenden Szenen leben von der Atmosphäre permanenter Bedrohung sowie permanenter Anspannung und so scheint die Schießerei in diesem Fall zwar nur folgerichtig, dient aber weniger als der Höhepunkt, auf welchen die ganze Zeit hingearbeitet wird, sondern vielmehr als ein quasi konsequenter Endpunkt einer extrem mitreißenden und faszinierenden Sequenz, die auch dann ihre Spannung zu keinem Zeitpunkt verliert, wenn sie mehrere Minuten fahrende Autos zeigt. Unter anderem durch eine konsequente Subjektivierung des Geschehens durchweht den Film an solchen Stellen ein Ambiente von Unsicherheit, dass zu jeder Zeit an jedem Ort etwas passieren könnte und es ist ein filmischer Genuss, sich dem im Dunkel des Kinosaals auszusetzen.

In gewisser Weise ist „Sicario“ Kino in Reinform, im ursprünglichen Sinn des Mediums, wo exzellente Bilder und eine brillante Soundgestaltung mustergültig zusammenwirken. Auch die Darsteller sollte man an dieser Stelle erwähnen, Emily Blunt und Josh Brolin bilden durch den Gegensatz, den ihre Rollen verkörpern, ein dynamisch-kreatives Duo, werden aber von Benicio Del Toro nochmal übertroffen, der in seinem Spiel an Undurchsichtigkeit kaum zu überbieten ist und dadurch seine ganz eigene Atmosphäre herbeiführt. In der Gesamtschau sorgen somit einzig die leichten dramaturgischen Schwächen gegen Ende für eine dezente Deckelung des filmischen Hochgefühls. Nichtsdestotrotz ist „Sicario“ ein atmosphärischer sowie fesselnder Bild- und Tonrausch, spannend erzählt und überragend umgesetzt. 8/10

Autor: Jakob Larisch

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