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Palo Alto (2013/2015) DVD-Kritik

© capelight pictures

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Möchte man heute von einem Film erzählen, der von „Coppola“ gedreht wurde, folgt zuallererst die Frage: welcher Coppola? Dass man Altmeister Francis Ford meint ist in den letzten Jahren eher unwahrscheinlich geworden, seine Filme verschwinden völlig aus der Wahrnehmung. Wahrscheinlicher ist Sofia Coppola, die seit 1999 mit „The Virgin Suicides“ regelmäßig großartige Beiträge zum amerikanischen Independent-Kino liefert. Einem Wes-Anderson-Fan wird noch Roman Coppola einfallen, der zu seinen letzten beiden Werken das Drehbuch beisteuerte. In diese Gruppe reihen sich zusätzlich Komponisten und Schauspieler/innen ein, die Coppola-Dynastie wird langsam schwierig zu überschauen. Das könnte sich nun weiter verkomplizieren, denn mit „Palo  Alto“ gab 2013 ein junges Mitglied der Familie, Gia Coppola, ihr Regiedebüt, und das kann trotz eines cineastisch quasi unantastbaren Vermächtnisses beeindrucken.

Gia Coppola liefert einen kaleidoskopartigen Blick auf die amerikanische Jugend, situiert in den Suburbs der oberen Mittelschicht. So verfolgen wir April (Emma Roberts), die sich zwischen einer verbotenen Beziehung zu ihrem Soccer-Coach Mr. B (James Franco, der die Buchvorlage lieferte) und einer Annäherung an Teddy (Jack Kilmer – Sohn von Val) entscheiden muss. Gleichzeitig versucht Emily (Zoe Levin) in jedweder Form, Nähe zu irgendjemandem herzustellen, und gibt sich somit seelisch und sexuell leicht her, was Fred (Nat Wolff) ohne zu zögern ausnutzt. All diese Figuren kennen sich, sie leben in „Palo Alto“, einer kalifornischen Vorstadt, die austauschbarer kaum sein könnte. Ziele haben all diese Jugendlichen kaum noch, stattdessen suchen sie durchgehend nach einer Form der Abwechslung, jeder versucht auf seine Weise, einen Riss in die Kuppel zu schlagen, die ihre Heimatstadt zu umgeben scheint.

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Das ist eine der großen Stärken von „Palo Alto“: Die Ansammlung sich gleichender Häuser wirkt hermetisch abgeschlossen, der gesamte Film ist beinahe ausnahmslos in dieser tristen Bilderbuch-Vorstadt situiert, die Figuren scheinen diesem Ort nicht entfliehen zu können. Innerhalb dieses Gefängnisses wirkt es, als wiederhole sich alles, selbst die Versuche der jugendlichen Rebellion sind durchgekaut worden. Eine Hausparty reiht sich an die nächste, warum man dort hingeht, weiß man selbst nicht mehr so recht. Unter dieser Oberfläche schlummert bei allen Figuren die Angst vor dem, was danach kommt. Die Frage, was nach der High School folgt, kann niemand wirklich beantworten, die Jugendlichen leben in Endzeit- statt in Aufbruchsstimmung, bevor sie aus dem langweilig gewordenen Paradies verstoßen werden. Entweder steckt man in der sicheren, aber uninteressanten Vorstadt fest, oder man kann sie nach dem Ausbruch nie wieder betreten – Kindheit und Erwachsenenleben scheinen fest voneinander getrennt. Der prollige Fred unterdrückt jegliche Gedanken daran durch Gewissenlosigkeit, Emily und April suchen nach Geborgenheit und Akzeptanz, Teddy verkriecht sich in der Kinder-Bibliothek zurück in eine sorglose Welt, aus der auch er jedoch wieder herausgerissen wird. All diese Mikro-Geschichten erzählt Gia Coppola ruhig und authentisch – sogar Momente, die man in Teenie-Filmen schon etliche Male erzählt bekam, verkommen hier nicht zum Klischee. Manchmal wirkt „Palo Alto“ wie eine leichtere, moderne Variante von Bret Easton Ellis‘ „Unter Null“ – in der Erzählung aber weniger nüchtern und drastisch, sondern eher emphatisch für seine Figuren.

Diesen Kosmos fängt Kamerafrau Autumn Durald in einer fantastischen Fotografie ein, die es vermag, die Tristheit des Ortes gleichzeitig mit wahnsinnig ästhetischen Bildern der kalifornischen Nacht zu verbinden, durchtränkt vom Licht der Straßenlaternen. Hier scheint sich Coppola einiges von Tante Sofia abgeguckt zu haben, der Stil des Films erinnert hin und wieder an „Somewhere“ und „The Bling Ring“, die an ganz ähnlichen Locations realisiert wurden. Kombiniert wird das Ganze mit einem ruhigen, an Synthpop angelehnten Soundtrack, und heraus kommt ein träumerisches Independent-Movie mit melancholischer Coming-Of-Age Thematik.

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Eine große Geschichte präsentiert uns „Palo Alto“ nicht, nicht mal unglaublich neu erscheinende Motive werden aufgegriffen, stattdessen fließt der Film langsam vor sich hin und erzählt innerhalb seiner Laufzeit stattdessen mehrere kleinere Geschichten – Gia Coppola kaschiert das mit einer unaufdringlichen Vermittlung von Authentizität in der Figurenzeichnung und einer ansprechenden Ästhetik. Ein äußerst starkes Regiedebüt, das dem Namen „Coppola“ alle Ehre macht. Vermutlich liegt es in den Genen.

Autor: Roman Widera

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