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Notre jour viendra – Our Day will come (2010) Review

Es bedarf auch am Morgengrauen des 21. Jahrhunderts nicht viel um bis an den gesellschaftlichen Rand denunziert zu werden. Willkürliche ethnische, religiöse, sexuelle oder politische Zuschreibungen sind für viele mehr als ausreichende Legitimationen hierfür. Da bedarf es lediglich einer dunklen Hautfarbe und schon ist man ein Verbrecher, Drogendealer und Vergewaltiger. Man ist also einfach ein Arsch (frei nach C.M. Schlingensief zitiert). Da weiß auch political correctness nicht dran zu rütteln. Ob man jemanden als Neger, Schwarzafrikaner oder als Menschen aus dem Gebiet der Subsahara bezeichnet, der Effekt der Ab- und Ausgrenzung der erreicht wird ist in jedem Fall der gleiche.

„Notre jour viendra“ (Englischer Titel „Our day will come“ in Anlehnung an einen Slogan der IRA) präsentiert genau diesen Habitus in überspitzter und zynischer Weise in dem die Protagonisten aufgrund ihrer roten Haare massive Ausgrenzung erfahren. Aber nicht nur das. Konsequenter Weise (und sicher in dem Bewusstsein damit anecken zu können) werden hier diese pejorativen Analogien die ich eingangs beschrieben habe nicht nur nahegelegt, sondern kondensieren auch direkt in den Handelnden Figuren, sowohl bei Haupt- und Nebencharakteren. Besonders plastisch gestaltet sich die Absurdität dieser Zuschreibungen wenn Patrick und Remy auf andere Rothaarige treffen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es in diesem stilisierten Szenario Remys größter Wunsch ist nach Irland auszuwandern.

Patrick ein depressiver Psychologe mit rötlichen Haaren nimmt sich dem ebenfalls rothaarigen Außenseiter Remy an und versucht ihn in einer Art persönlichen Experiment aus seinem introvertierten Rollenbild herauszulösen. Er veranlasst ihn bewusst gesellschaftliche Erwartungen zu durchbrechen und Normen zu überschreiten. Für Patrick wird dieser „Trip“ zu einer destruktiven Abwärtsspirale die ihn von Grenzüberschreitung zu Grenzüberschreitung weiter in den psychischen Abgrund reist. Konträr hierzu verhält es sich mit der Entwicklung von Remy der an dieser Stelle jedoch nicht zu weit vorgegriffen werden soll.

Das Stichwort „Trip“ passt an dieser Stelle auch deswegen so gut ins Bild, weil hier viele Konventionen des Roadmovies Verwendung finden und auf diese rekurriert wird. So ist die Reise fragmentarisch und wird durch einzelne Episoden bestimmt, die den Eindruck einer sukzessiven Charakterentwicklung unterstützen. Auch wenn das reisen selber eine marginalere Rolle einnimmt als im klassischen Roadmovie (wie z.B. in dem Genreparadigma Easy Rider) so ist die triste Landschaft Nordfrankreichs dennoch Spiegel für Psyche und Attitüde der Reisenden. Eine Ästhetik der Trost – und Hoffnungslosigkeit die sich bis auf einige deutliche Akzentuierungen durch matte Farben auszeichnet.

Auf der Ebene der Handlungsmotivationen der Charaktere hat der Film sehr affektierte Züge inne, denen ich einen großen Reiz zugestehen muss. Und auch hier drängt sich eine These auf, die mit meinen anfänglichen Überlegungen verquickt ist und für die man sich noch einmal gesellschaftlich signifikante Verhaltensweisen vor Augen führen sollte. Die Gründe für Intoleranz sind vielfältig und es muss deswegen darauf hingewiesen werden, dass ein monokausaler Erklärungsversuch sicher nicht adäquat wäre. Jedoch spielt das Mittel der Ausgrenzung eine Rolle wenn es darum geht Sicherheit in einer unsicheren Welt zu konstruieren. „Jeder Mensch ist zu jeder Zeit“ in der Lage einem anderen Menschen auch willkürlich Leid zuzufügen. Die Ausgrenzung durch Reduktion des Gefahrenursprungs auf einzelne Gruppen von Menschen (wie einer bestimmten Ethnie) ist also eine einfache und effiziente Methode um diese Sicherheit zu erzeugen. Um kein Risiko einzugehen braucht man sich lediglich mit gleichgesinnten umgeben und andere meiden. Um dies zu rechtfertigen, ist man dann natürlich schnell dabei diese „anderen“ zu diffamieren. Der Film spielt genau mit diesen Klischees und projiziert sie sogar auf seine primären Charaktere. Das Moment der Unsicherheit kommt gerade dann zu Tage, wenn Patrick z.B. willkürlich Leute provoziert um diese in körperliche Auseinandersetzungen zu verwickeln. Hier ist das Risiko ein Reiz dem auch der Zuschauer ausgesetzt wird. Die Angst die aus der Unsicherheit erwächst erzeugt also auch eine Lust auf diese (in Anlehnung an Freud).

Besonders das Spiel von Vincent Cassel (Patrick) hat etwas animalisches und unberechenbares. Mit seiner Präsenz hält er stets im unklaren was Patrick als nächstes plant, ob er etwas plant oder ob er sich doch wieder einfach seinen gewalttätigen und sexuellen Urinstinkten hingibt. Patricks Status in der Gesellschaft ist nicht länger nur zugeschrieben sondern selbst gewählt. Er lebt die Rolle des Außenseiters .

Der Film ist 2010 unter der Regie von Romain Gravas dem Sohn des bekannten Regisseurs Constantin Costa-Gravas entstanden und zur Zeit nur im französischen Original erhältlich (Englisch untertitelt). Ein Start in den deutschen Kinos lässt bis jetzt hoffentlich nur auf sich warten und wird denen die Fremdsprachige Versionen abschrecken noch die Möglichkeit einräumen dieses Drama zu erleben, denn erleben ist hier sicher die passende Formulierung.


Autor : Robert Dörre

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