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Nicholas Winding Refn’s Drive (2011) Review

Von schier unglaublicher Ästhetik präsentierte sich Anfang 2009 der Trailer zu „Valhalla Rising“ von Nicholas Winding Refn. Leider blieb diese aber auch die einzige Prämisse des Films, welcher sich in nahezu endlos lang gefühlten Szenen ohne dramaturgischen Gehalt entpuppte. Visuell faszinierender Stil in einem Film ist das eine – was ihn aber erst komplettiert ist die Dramaturgie (siehe „Sucker Punch“). Entsprechend gering waren meine Erwartungen als sich nun „Drive“ als Refns neuestes Werk präsentierte. Dies ist einer der wenigen Filme bei denen ich sagen muss, dass man vorher zumindest eine Ahnung haben sollte, worauf man sich einlässt. Es verwundert wenig, dass nach Postern und Teasern orienterte Zuschauer nach den ersten 10 Minuten ihr Geld zurückverlangten, erwarteten sie doch einen Mitsurfer der „The Fast and the Furios“-Welle. Refn ist ein dänischer Independentregisseur mit hang zum Arthouse-Kino. Wer den Film noch nicht gesehen hat, sollte hier aufhören zu lesen, denn mehr sollte man nicht wissen, aber genau dies muss man wissen. Diejenigen, die schon in den Hochgenuss kamen, werfen die Motoren an und begeben sich nocheinmal in die hyperstilisierte Welt des Nicholas Winding Refn.

Sein Name ist Driver, einfach nur Driver (Ryan Gosling). Er ist ein scheinbar unscheinbarer Typ der tagsüber als Stuntfahrer für Filme und in einer Autowerkstatt für seinen wahrscheinlich einzigen Freund Shannon (Bryan Cranston) arbeitet. Nachts hingegen ist er ein bezahlter Fluchtwagenfahrer für Einbrüche und Diebstähle. Dabei nimmt er am Verbrechen nie selbst teil, er ist einfach nur der Fahrer und zwar ein verdammt guter. Seine Welt wird auf den Kopf gestellt, als er eine engere Beziehung zu seiner Nachbarin Irene (Carey Mulligan) eingeht und eines Tages deren Ehemann Standard (Oscar Isaac) nach einem Gefängnissaufenthalt wieder auftaucht. Dieser verwickelt ihn nämlich in einen Überfall der gründlich schief geht und den Mafioso Nino (Ron Perlman) auf den Plan ruft.

Style over Substance?

Nein, definitiv nicht. Das Drehbuch basiert auf der gleichnamigen Novelle von James Sallis und bietet viele hervorragend konstruierte Charaktere und Beziehungen, alle miteinander verwoben. Auf irgendeinem Level beeinflusst hier jeder jeden. Mit dieser Basis kann Refn seiner hohen Ästhetik freien Lauf lassen – und das tut er auch. Die ersten 10 Minuten bis zu den Credits lassen den Zuschauer völlig im Unwissen, mit was er es hier zu tun hat. Ist es ein Thriller, Action- oder gar klassischer Heist-Film? Erst mit dem Auftauchen der Credits in Rosa! und der dazugehörigen Musik wird klar, hier handelt es sich um Arthouse (mit verschiedenen Genre-Anleihen) und zwar von der feinsten Sorte. Ab jetzt spielt Refn seine visuellen Reizkarten aus. Es herrschen überragende Bild- und Szenenkompositionen: Ich liebe die Sequenz, in welcher Driver und Irene aus einem Fahrstuhl kommen und in ihre separaten Wohnungen gehen. Das Timing und die Kamera liefern viel Wissen über den Stand der Beziehung der beiden. Auch die Lichtsetzung ist grandios: Der Driver bastelt in seiner Wohnung an einem Motor, nur beleuchtet von einer Tischlampe. Das Licht verleiht ihm eine grandiose Aura. Auch sämtliche Aussenaufnahmen brillieren in ihrer Lichtsetzung mit einem gar mystischen Touch. Mir scheint sogar, als würde das Licht den Film rahmen. Er beginnt und endet bei Nacht, während der Mittelteil nahezu ausschließlich bei Tageslicht spielt. Der Driver kommt aus dem Dunkeln und verschwindet auch wieder mit unbekanntem Schicksal dahin, samt seinem Namen. Er bleibt sehr wortkarg, muss eigentlich auch gar nicht viel sagen, da Refn immer wieder wundervolle Szenenkompositionen nutzt um die Konversation zu ersetzen. Als Beispiel sei hier die Szene genannt, in welcher der Driver zu seinem geparkten Auto geht, ausserhalb des Bildfeldes etwas bemerkt, sich darauf zubewegt und ein Kameraschwenk den Blick auf Irene freigibt – alles wichtige ist erklärt, mit nur einem wundervollem Schwenk. Es gibt noch viele weitere grandiose Szenen, die es eigentlich verdienen hier besprochen zu werden, aber dies würde leider den Rahmen sprengen.

Schon „Valhalla Rising“ kam mit seiner ganz eigenen Ästhetik der Gewalt daher. In ähnlicher Weise, jedoch viel erruptiver und eindringlicher, verhalten sich die Schauwerte bei „Drive“. Als Paradebespiel dient eine Szene mit dem Driver, Irene und einem Attentäter in einem Fahrstuhl: Ein langer, in Slowmotion, mit wunderbaren Lichtverhältnissen, hochästhetischer Kuss – Sekunden später gefolgt von einem ultrabrutalen Mord bei dem der Driver so lange auf den Schädel des Attentäters eintritt bis dieser platzt. Liebe und Tod lagen schon immer nahe beieinander.

I don’t have wheels… on my car. That’s one thing you should know about me.“ -Driver

Dieser Film hat den 2011 vielbeschäftigten (3 Spiel- und 2 Kurzfilme) Ryan Gosling nach ganz oben auf meine Liste der hoffnungsvollsten Schauspieler katapultiert. Sein Driver ist sensibel und gleichzeitig beängstigend, wenn in Rage versetzt. Er ist introvertiert und teilt sich dennoch im höchsten Maße durch Gestik und Mimik mit. Sein Outfit spricht Bände und ist defintiv als Hommage an die älteren Car-Actionfilme („Fluchtpunkt San Francisco“ (1971), „Bullit“ (1968)) gedacht: Die weiße Jacke mit dem Skorpion und den dazu passenden Schuhen, der lässige Zahnstocher im Mundwinkel und natürlich die Lederhandschuhe. Aber auch sein Counterpart Irene ist mit Carey Mulligan mehr als brilliant besetzt. Ihre anfänglich innere Zerissenheit und die spätere Einsicht sind exzellent gespielt.

Zusätzlich bildet der restliche Cast eine wahre Wundertüte: Bryan Cranston als Werkstattbesitzer und Chef von Driver ist -wie kann man es von ihm anders erwarten- hervorragend. Die Produktionsgeschichte besagt, das Refn´s Euphorie für „Breaking Bad“ die Entscheidung auf den anfangs zögernden Cranston lenkte und Refn ihm solange zuredete, bis er schließlich einwilligte. Aber auch der immer wieder gern gesehene Ron Perlman („Der Name der Rose“(1986), „Alien 4“ (1997)) als Mafiaboss mit dazugehöriger Pizzaria ist überzeugend. Überzeugend deshalb, da Perlman nicht einmal ansatzweise wie ein Italiener aussieht: „Ich wollte als New Yorker Jude schon immer mal einen italienischen Mafioso spielen.“ (Zitat Ron Perlman). Auch der rücksichtslose Charakter Bernie Rose gespielt von Albert Brooks muss erwähnt werden. Seine Kaltschnäuzigkeit jagte mir Schauer über den Rücken.

Ein weiterer zu erwähnender aber nicht sichtbarer Darsteller ist der Soundtrack. Der elektronisch poppige Score stammt von Cliff Martinez (Soundtracks zu „Traffic“ (2000) „Solaris“ (2002) „Wonderland“ (2003)) und ist in jeder Situation derartig treffend, was das Ambiente und die vermittelteten Gefühle angeht, dass es fast schon beängstigend ist. Und das sage ich, obwohl ich diese Musikrichtung eigentlich gar nicht mag. Die Lyrics der Songs bringen in den eigentlich stillen Passagen, in denen sie eingesetzt werden, alles immer wieder auf den Punkt. So zum Beispiel bei dem Eröffnungstitel „Nightcall“:

„I’m giving you a night call to tell you how I feel
I want to drive you through the night, down the hills
I’m gonna tell you something you don’t want to hear
I’m gonna show you where it’s dark, but have no fear

There’s something inside you
It’s hard to explain
They’re talking about you boy
But you’re still the same“

Tarantino muss sich warm anziehen, denn es ist ein neuer strahlender Punkt auf der Filmlandkarte aufgetaucht. Zu dieser Einsicht kam auch schon das Filmfestival von Cannes 2011, als „Drive” dort zwar nicht gewann, aber in den Augen der Mehrheit aller Mitglieder und Besucher als definitiv bester Film des Festivals gehandelt wurde. Ich musste stellenweise unweigerlich an die Intensität und Genialität der Filme von Jim Jarmusch und Sofia Coppola denken (mit Ausnahme von „Somewhere“ (2010), „Drive“ korrigiert vieles, was da schief gelaufen ist), was ich als noch größeres Lob werte. Es bleibt eigentlich nichts mehr zu sagen als Danke. Danke Nicholas Refn für diesen umwerfenden Film. Ich glaube ich muss „Valhalla Rising“ noch eine Chance geben…


Via YouTube


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Autor: David Schröder

Meine Bonusszene nach den Credits: Ganz hat sich „Drive“ der „The Fast and the Furios“-Schiene nicht verwehrt. Wer genau darauf achtet erkennt in der Szene in der Driver, Irene und ihr Sohn in seinem Auto fahren, den selben Wasserkanal, in welchem schon Nicholas Cage mit „Eleanor“ in „Nur noch 60 Sek.“ (2000) vor den Cops entkam.

5 Responses to “Nicholas Winding Refn’s Drive (2011) Review”

  1. 1
    Josi Says:

    Als hättest du meine Gedanken und Gefühle zu diesem Film samt Musik in Worte gefasst. Danke!

  2. 2
    admin Says:

    Ein schöneres Kompliment kann man kaum erhalten.
    Ich danke dir :-)

  3. 3
    EScorpio Says:

    Sehr gute Review zu einem wahnsinnig ästhetischen und coolen Film, der mich manchmal aus irgendwelchen Gründen an die GTA-Reihe erinnert hat…
    Die Musik war wirklich sehr passend gewählt :-), Kompliment!

  4. 4
    Bartel Says:

    Und? VALHALLA RISING mittlerweilen eine zweite Chance gegeben?
    BRONSON wurde leider mit keinem Wort genannt ist aber genauso brilliant wie der Rest von Refns „Portfolio“. Ein an Intensität schwer zu übertreffender Streifen ist beispielsweise der Abschluss seiner PUSHER Triologie. Zynisches eiskaltes Kino mit einem unerhört guten Zlatko Buric in der Hauptrolle. Bitte nachholen!
    lg Bartel

  5. 5
    admin Says:

    Sorry aber ich habe weder nochmals Valhalla Rising, Bronson oder gar die Pusher Trilogie gesehen. Stehen auf meiner Liste aber weit oben. Vielleicht gibts dann demnächst dazu einen Artikel.
    Beste Grüße, David

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