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Lucy (2014) Review

© Universal Pictures Home Entertainment

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Luc Besson is back! Nachdem sein letzter großer Triumph mit „Das fünfte Element“ mittlerweile 17 Jahre zurückliegt, fabrizierte der Altmeister zwischenzeitlich entweder Kinderfilme wie die „Arthur und die Minimoys“-Reihe, drehte Filme unter öffentlichem Radar wie „The Lady“ (2011) und zuletzt „Malavita – The Family“ (2013) oder verlegte sich aufs Produzieren. Mit „Lucy“ meldet sich Besson nun eindrucksvoll zurück und kann sich dabei auf zwei illustre Hauptdarsteller verlassen. Der Film ist ein visuelles Spektakel, welches Bessons Anfänge als eine der Galionsfiguren des französischen „Cinéma du Look“ mit seinen Produzenten-Vorlieben der letzte Jahre wie der „Taken“- oder „Transporter“-Reihe verbindet, sich aber leider gegen Ende ein wenig in spiritistischen Anwandlungen verliert.

Lucy (Scarlett Johansson), eine in Taiwan studierende US- Amerikanerin, ist seit einer Woche mit Richard (Pilou Asbæk) zusammen. Richard ist allerdings nicht gerade ein Mensch, dem unbedingt zu trauen ist. Er zwingt Lucy dazu, einen eigentlich ihm zugedachten Auftrag zu übernehmen und schickt sie mit einem Koffer unbekannten Inhalts zu Mr. Jang (Choi Min-sik). Im Koffer befindet sich eine neuartige synthetische Droge, die nach Europa geschafft werden soll und zwar in den Bauchhöhlen vierer unfreiwilliger Drogenkuriere, darunter auch Lucy. Diese wird jedoch auf dem Weg zum Flughafen zusammengeschlagen, so dass versehentlich ein Teil der Droge in ihr Blut gerät. Fortan ist sie in der Lage, bislang unbekannte Kapazitäten des menschlichen Gehirns zu aktivieren: Der Mensch nutzt nämlich nur zehn Prozent seiner zerebralen Kräfte, wie Professor Norman (Morgan Freeman) in einem zeitgleich stattfindenden Vortrag an einer Pariser Universität verrät. Mit ihm will sich Lucy treffen, da ihr Körper und ihr Geist mit zunehmender Prozentzahl an Gehirnaktivität immer unkontrollierbarer werden…

Die Story ist natürlich völliger Humbug, aber sie funktioniert als Aufhänger für atemberaubende Sequenzen ganz exzellent. Besson verpasst dem Film eine effektive Level-Dramaturgie: Dem Zuschauer wird über leinwandfüllende Einblendungen regelmäßig mitgeteilt, wie viel Prozent ihres Gehirns Lucy gerade in der Lage ist zu nutzen. Das alles führt natürlich unaufhaltsam auf die „100%“ zu, was sowohl beim Rezipienten als auch bei Morgan Freeman als dessen inhaltlichem Stellvertreter zu der Frage führt, was zum Teufel dann passiert. Bis dahin ist jedoch genügend Zeit, ein Feuerwerk an Actionszenen und visuellen Einfällen abzufackeln, mit dem Besson zeigt, dass er noch lange nicht zum alten Eisen zählt.

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Zunächst verbeugt sich der Regisseur vor Sergej Eisenstein, dessen Konzept der Kollisionsmontage er furios aufnimmt. So wird beispielsweise Lucys Gang zu Mr. Jang mit Bildern einer friedlich grasenden Antilope und eines lauernden Geparden unterschnitten, der in der Sekunde mit der Jagd beginnt, wenn die stereotypisierten taiwanesischen Gangster Lucy überwältigen und entführen. Moderate Zivilisationskritik übt Besson mit permanenten Schnittgewittern, welche die völlig übertechnisierte Welt auf einige wenige markante Einstellungen herunterbricht. Schließlich inszeniert er eine Verfolgungsjagd durch Paris, die eine Reminiszenz an seinen filmischen Durchbruch „Subway“ (1985) darstellt und insbesondere dadurch gekennzeichnet ist, dass eigentlich außer der Zeit niemand verfolgt wird. Es ist schön zu sehen, dass Besson nach wie vor in der Lage ist, krachende Action auf den Punkt zu inszenieren, sie dabei aber nicht unnötig auszudehnen.

Das eigentliche Highlight sind jedoch Lucys Fähigkeiten, insbesondere, wenn der Film uns ihre Sicht der Dinge präsentiert. Da wird sie kurz zur Aushilfsärztin, weil sie durch Berührungen physische Unterfunktionen in anderen Menschen erkennen kann („Iss bio!“). Da wird sie kurz zur Gestaltwandlerin, wenn sie als Vorsichtsmaßnahme mal eben ihre Haarfarbe verändert. Mit zunehmender Prozentzahl ist sie zusätzlich in der Lage, Raum und Zeit kontrollieren zu können. So schafft sie es, eine Gruppe taiwanesischer Drogenkuriere auf sehr unterhaltsame Weise auszuschalten und wird irgendwann kurzerhand zu einer Art Ein-Personen-NSA, wenn sie sich in Paris jedwede in der Stadt vorgehende Handykommunikation auf einer Windschutzscheibe anzeigen lässt und es vermag, das eine ihr wichtige Gespräch herauszufiltern. Untermalt wird der Film zusätzlich mit einem grandios pulsierenden Soundtrack, der so klingt, als hätte Komponist Éric Serra alles Menschenmögliche aus einem Roland TR-808 herausgekitzelt. Liebhaber elektronischer Musik wissen, was gemeint ist.

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Der Film tangiert durch Lucys Verhalten und ihre Aussagen immer wieder die Frage nach den Grenzen der Menschlichkeit. Da sie durch ihre enormen Kapazitäten nach und nach beginnt, alles mathematisch-rational zu durchdringen, verliert sie mit zunehmender Prozentzahl die Fähigkeit zu fühlen und mutiert immer mehr zum Roboter, was sich in entsprechenden Bewegungen und entsprechender Sprachweise niederschlägt. Hierbei muss sowohl ein Kompliment an Scarlett Johanssons Spiel als auch ihre Synchronsprecherin Luise Helm gehen, deren Stimme über die Laufzeit immer mechanischer und ausdrucks- loser wird. Der Film demonstriert somit, dass man bei permanenter Leistung unter Hochdruck irgendwann seine menschlichen Züge einbüßt. Ein akkurates Statement, gerade im Hinblick auf die im Film omnipräsente Technik, welche hauptverantwortlich dafür ist, den Menschen vom Gefühlswesen in Richtung Leistungsmaschinerie zu verschieben.

Dies ist ein Maß an Subtext, welches ein Werk wie „Lucy“ gerade noch aushält, da es die Griffigkeit des Konzepts nicht weiter stört. Leider verlässt der Film am Ende seine einfache, dabei aber kluge Prämisse und stellt in verschwurbelten Aktionen kurzerhand die Frage nach dem Sinn allen Daseins. Nicht nur, dass das bis dahin vorherrschende Spektakel einen mehr oder minder abrupten Abbruch erfährt, auch versucht Besson, sein Werk mit einer Tiefe aufzuladen, die es nicht hat und verrennt sich dabei in quasi-philosophischen Debatten. Weniger wäre hier mehr gewesen, um ein schnörkellos-markantes Werk zu einem überzeugenden Ende zu führen. Sei’s drum.

Scarlett Johansson beweist mit „Lucy“, dass sie einen Actionfilm als fast singulär agierende Protagonistin mühelos allein stemmen kann. Morgan Freeman fungiert fast nur als Stichwortgeber und ist in erster Linie dafür da, dem Film ein Ambiente von Weisheit zu verleihen. Herauszuheben ist maximal noch Amr Waked als französischer Polizist, der Lucy vor Ort bei ihrem Kampf gegen die Taiwanesen unterstützt, jedoch nicht mehr als einen unterbeschäftigten Sidekick darstellt.

Luc Besson hat mit „Lucy“ ein extrem interessantes und visuell in jeder Hinsicht berauschendes Werk geschaffen, das jedoch gegen Ende an seinem eigenen Konzept teilweise ertrinkt. Nichtsdestotrotz ist der Film ein furioses Regie-Comeback mit einer starken Leistung der Titeldarstellerin, das in Gänze trotz der erwähnten Schwächen durchaus zu überzeugen weiß. Kein Meisterwerk, aber zweifellos sehenswerter als der Großteil heutiger Kinoprodukte.

Autor: Jakob Larisch

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