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Lincoln (2012) Review

Mit zwölf Nominierungen der Oscar-Favorit schlechthin, einer der einflussreichsten Regisseure des zwanzigsten Jahrhunderts auf dem Chefsessel und ein fantastischer Charakterdarsteller in der Hauptrolle: Steven Spielbergs „Lincoln“ mit Daniel Day-Lewis als titelgebendem Präsidenten wurde als eines der Highlights der „Award Season“ gehandelt und kann aufgrund der insgesamt zwölf Jahre währenden Vorlaufzeit vermutlich als ein sehr persönliches Projekt von Spielberg gesehen werden. In vielerlei Hinsicht stellt „Lincoln“ den Versuch eines epischen Dialogkinos dar, welches zwar nicht komplett, aber in großen Teilen an seinen eigenen Ansprüchen scheitert.

Januar 1865: Abraham Lincoln (Daniel Day-Lewis) ist kurz davor, nach seiner Wiederwahl die zweite Amtszeit anzutreten. Der US-amerikanische Bürgerkrieg tobt seit vier Jahren, der Norden ist kurz davor, den Süden schachmatt zu setzen. Um zukünftige politische Verwicklungen zu vermeiden, will der Präsident den dreizehnten Zusatzartikel zur US-Verfassung, welcher die Sklaverei ein für allemal beenden soll, noch vor dem Ende des Krieges verabschieden. Neben den Zeitpunkt betreffenden strategischen Zweifeln in den eigenen Reihen muss Lincoln zusätzlich Stimmen der gegnerischen Demokratischen Partei gewinnen, die er für die im Repräsentantenhaus nötige Zweidrittelmehrheit braucht. Außenminister Seward (David Strathairn) beauftragt drei Agenten, wacklige Demokraten ausfindig zu machen und diese zu überzeugen, von ihrer Parteilinie abzuweichen. Gleichzeitig muss der Präsident familiäre Probleme mit seiner Frau Mary (Sally Field) und seinem Sohn Robert (Joseph Gordon-Levitt) unter Kontrolle bekommen…

Und eben der letzte Punkt ist es, der den Film ein wenig unsicher gestaltet. Wer eine Geschichtsstunde über die Abschaffung der Sklaverei und die Wirren des endenden amerikanischen Sezessionskrieges erwartet, ist hier falsch, denn dazu liegt ein zu hoher Fokus auf der historisch diesbezüglich weniger relevanten Familienproblematik des Präsidenten. Wer jedoch auf ein persönlich gestaltetes Biopic Lincolns Wert legt, bekommt ebenfalls Probleme, denn dafür sind die politischen Verwicklungen, die thematisiert werden, definitiv zu komplex. Zwar liegt das Hauptaugenmerk auf der politischen Schiene und es ist natürlich nicht möglich, die eine Ebene ohne die andere zu erzählen, jedoch wird teilweise zu viel Zeit auf Nebenschauplätze verwendet, die man auch gut in die Erklärung der politischen Fakten hätte investieren können.

Dies führt zu einem weiteren Kritikpunkt, der jedoch Spielberg selbst nur bedingt vorzuhalten ist: Um der Story des Films auch nur einigermaßen folgen zu können, ist durchaus ein nicht unerhebliches Geschichtswissen in Bezug auf den amerikanischen Bürgerkrieg sowie Lincolns Amtszeit notwendig und es ist zu bezweifeln, dass das durchschnittliche US-amerikanische Kinopublikum hierbei gedanklich besser wegkommt als der Rest der Welt. Bereits in der ersten halben Stunde schießt der Film nur so mit Namen, Orten und Gesetzen um sich und auch wenn von Zeit zu Zeit erklärende Texttafeln eingeblendet werden, ist die Menge der von der Leinwand strömenden Informationen für die Erstrezeption eines historisch unbedarften Zuschauers in vielen Fällen schlichtweg zu hoch. Beispielsweise gestalten sich innerhalb der filmischen Erzählung einige Dinge klarer, wenn man weiß, dass die von Lincoln auf den Weg gebrachte Emanzipations-Proklamation von 1862/1863 nichts mit Frauenrechten zu tun hatte, sondern einen ersten Versuch darstellte, die Sklaven der konföderierten Südstaaten zu freien Menschen zu erklären, die wegen der kriegsbedingten Sonderrechte des Präsidenten jedoch auf juristisch unsicheren Beinen stand. Auch ein gewisses Grundwissen in Bezug auf die damalige legislative Praxis der USA ist bei Sichtung des Films definitiv nicht von Nachteil. Das Problem, welches darüber hinaus mit den vielen Namen einhergeht, ist, dass man ihnen innerhalb des Films noch zusätzlich das Gesicht zuordnen muss, was sich ohne eine diesbezügliche Vorbildung ebenfalls als schwierig erweist.

Filmhistorisch gesehen lässt der Meister der frühen Blockbuster eindeutig nach. Schaut man sich an, in welcher Frequenz er sogar bis in die 1990er Filme auf den Markt brachte, die sich von „E.T.“ (1982) über die „Indiana Jones“-Reihe bis hin zu „Jurassic Park“ (1993), „Schindlers Liste“ (1993) und mit Abstrichen „Der Soldat James Ryan“ (1998) ohne Probleme in jeden filmgeschichtlich relevanten Kanon aufnehmen lassen, so sind seine letzten Filme, von der charmanten Komödie „Terminal“ (2004) über den Tiefpunkt „Krieg der Welten“ (2005) hin zu „Gefährten“ (2011), nicht wirklich Streifen für die Ewigkeit. „Lincoln“ macht diesbezüglich trotz der Oscar-Nominierungswelle keine Ausnahme. Dies soll nicht heißen, dass es sich hierbei um einen schlechten Film handelt…nur eben um keinen, über den man in zehn Jahren noch sprechen sollte. Spielberg hat auch das Inszenieren nicht verlernt, die Redeschlachten im Repräsentantenhaus sind herausragend choreografiert und der Abstimmungsmarathon am Ende kann sich trotz des bekannten Ausgangs durch geschickt eingesetzte Schauplatzwechsel einer gewissen Spannung nicht entziehen. Jedoch verliert sich „Lincoln“ insbesondere in der ersten Stunde in seinem inszenatorischen Aufbau und kommt stellenweise nicht so recht vom Fleck. Auch im weiteren Verlauf wirken die Konflikte um Lincolns verstorbenes erstes Kind und die daraus resultierenden Gewissensbisse seiner Frau ein wenig deplatziert, ebenso stellt sich die Frage, warum die tiefgreifende Auseinandersetzung von Robert Lincoln mit seinem Vater innerhalb von gefühlten fünf Minuten über die Bühne gebracht werden muss und ob es nicht klüger gewesen wäre, diese lediglich in einem Dialog anzudeuten. Allein aus diesem Thema ließe sich eine eigener Film machen, in welchem Joseph Gordon-Levitt eventuell nicht ganz so verheizt werden müsste wie hier; der Subplot wirkt ein wenig, als habe Spielberg ihn lediglich der Vollständigkeit halber integriert. Hier wäre etwas mehr Stringenz wünschenswert gewesen, die mit dem oben bereits genannten Problem der Gratwanderung zwischen Historie und Biografie einhergeht.

„Lincoln“ lässt sich natürlich nicht ohne seinen Hauptdarsteller betrachten und hier findet sich in der Tat das Highlight des Films. Schauspielextremist Daniel Day-Lewis lebt den Präsidenten förmlich und transportiert in seiner Darstellung eine sanfte Autorität, welcher die Müdigkeit durch endlose politische Kämpfe nach eigener Aussage durchaus in den Knochen steckt. Jede Falte in seinem Gesicht scheint bei den häufig genutzten Großaufnahmen eine eigene Geschichte zu erzählen, kein mimisches Zucken wirkt unbedacht, jede Nuance des Mienenspiels ist sorgsam platziert, dabei jedoch nie aufgesetzt. Das historische Schwergewicht wird als politisch stark und fast unanfechtbar porträtiert, wirkt jedoch trotz seiner charismatischen Wirkung in den Facetten jenseits der Politik verletzlich und dadurch sehr menschlich.

Dies führt zur Frage der Wirkung des Films, aus welcher sich eine weitere Komponente ergibt: Warum jetzt? Wieso kommt „Lincoln“ gerade in der aktuellen Zeit in die Kinos? Eine Zeit von Krisen, von Kriegen, die Zeit einer schwächelnden Weltmacht USA. In vielerlei Hinsicht lässt sich eine Parallele von der heutigen US-amerikanischen Situation zur damaligen ziehen: Eine zutiefst gespaltene Gesellschaft, die jegliche Einheit verloren hat und irgendwie auf der Suche sich selbst ist, sei es angesichts von Sklaverei oder Geld verzockenden Spekulanten. Spielbergs Film reflektiert die Mentalität der US-Amerikaner, ihren Wunsch nach einem guten und hochgradig menschlich handelnden Präsidenten, der es schafft, das Elend der Welt zu beenden. Ein Präsident, der das Wohl des Volkes im Sinn hat, seinen Weg geht und sich nicht durch Korruption oder ökonomische Mauscheleien davon abbringen lässt. In diesem Zusammenhang ist „Lincoln“ ein sehr patriotischer Film, der auf eine neue Einheit der Menschen (insbesondere natürlich der US-Bürger) rekurriert, mit welcher sich anstehende Probleme lösen lassen. Day-Lewis‘ Darstellung des Ex-Präsidenten spiegelt in dieser Hinsicht die Hoffnung, dass nicht jeder Politiker schlecht ist, dass vielleicht noch nicht alles verloren ist. Eine Hoffnung, die durchaus verständlich ist, jedoch gefährlich werden kann, wenn man sich ihr zu sehr hingibt, da sie auf Dauer die zwingend notwendige kritische Reflexion politischen Geschehens verhindert.

Was bleibt? Neben der fast alles überstrahlenden Performance des Protagonisten ragt insbesondere Tommy Lee Jones als radikaler Sklavereigegner Thaddeus Stevens heraus, ansonsten schafft es kein Darsteller, sich wirklich zu profilieren. Vermutlich nicht zuletzt aufgrund der angesprochenen politischen Wirkung kann der Film als fast schon sicherer Oscar-Gewinner gelten, eine weitere Auszeichnung für Daniel Day-Lewis als bester Hauptdarsteller wäre sogar verdient. Sein Spiel trägt den kompletten Film, ob die reale Figur Abraham Lincoln tatsächlich so positiv war, wie hier dargestellt, kann hingegen in letzter Sicherheit nur offen bleiben.

Autor: Jakob Larisch

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