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Filmfestival Max-Ophüls-Preis: Wettbewerb Kurzfilm-Programm 2

© Hamburg Media School

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Chain (Eicke Bettinga)

Bettingas Kurzfilm ist zunächst etwas rätselhaft geraten, weil der Zuschauer nicht genau weiß, was es mit dem Aufeinandertreffen der beiden jugendlichen Protagonisten im Bulgarien des Jahres 1989 auf sich haben könnte. Die unterschwellige Gefahr, die bei der ersten Konfrontation der Figuren latent mitschwingt, schafft aber eine zugleich bedrohliche, als auch nicht ganz fassbare Atmosphäre. Etwas stimmt hier nicht, das ist von vornherein klar. Vielleicht hätte man den Zuschauer aber von Beginn an etwas mehr an der Hand nehmen sollen, dann wäre das ohnehin schon wuchtige Finale gegebenenfalls noch intensiver geraten. Vielleicht war ich auch einfach zu unkonzentriert, um sogleich den Transfer leisten und den Plot in der (deutschen) Zeitgeschichte korrekt verorten zu können. Dennoch gerade ob des finalen moralischen Dilemmas ein interessanter Stoff, der es definitiv wert war, erzählt zu werden.
♥♥♥ (3/5)

In der Stille der Nacht (Erich Steiner)

Auch Steiners Film spielt mit dem Zuschauer in einer gewissen Art und Weise. Nichts wird explizit gesagt, alles wird nur angedeutet, es gibt erzählerische Ellipsen und die gezeigte Welt muss man sich mithilfe der gewährten Informationen und Details selbst zusammen puzzeln. Das gelingt auch ganz wunderbar und ist dank einer präzisen, sensiblen Erzählweise sowie einer exzellenten und aussagekräftigen Bildsprache ungemein sehenswert. Niemals plakativ, sondern immer auf die zentralen Figuren fokussiert, wird so ein filmisch übertrieben oft ausgeleuchtetes Kapitel deutscher Geschichte hier endlich mal wieder erfrischend anders, aber nicht minder emotional erzählt. Tolle Idee, klasse Skript, starke Regie, wichtiges Thema. Kurzum: meisterlich.
♥♥♥♥♥ (5/5)

Rauhnacht (Kathrin Anna Stahl)

Stahls Parabel über das menschliche Scheitern im Streben nach (finanziellem) Glück fasziniert dank der gewählten örtlichen und historischen Verankerung und begeistert mit viel regionaler, nun ja, Rauheit. Das Ende hätte intensiver ausfallen dürfen, der satirisch-zynische Unterton ist sicher nicht jedermanns Sache und auch die musikalische Untermalung ist ob der repetitiven Elemente durchaus gewöhnungsbedürftig. Nichtsdestoweniger gerade aufgrund der konsequenten Erzählweise ein Stück Film von zeitloser Aktualität.
♥♥♥ (3/5)

Nabilah (Paul Meschùh)

Meschùh und seinem Team ist ein beachtliches Drama gelungen, das man tatsächlich mit dem Prädikat Antikriegsfilm versehen kann. Eindringlich wird aufgezeigt, wie Ideale im Angesicht kultureller und sprachlicher Barrieren ungeahnte destruktive Kräfte auslösen können, die die Kraft haben, Menschenleben zu zerstören. Krieg kann niemals gut sein. Aber das Thema ist zu komplex, als dass man es mit einem solch lapidar dahin geschriebenen Satz abhandeln oder verstehen könnte. Die Macher von „Nabilah“ liefern zumindest Gedankenanstöße, die uns mit der Frage konfrontieren, ob es so etwas wie universale moralische Wertvorstellungen überhaupt geben kann. Sie zeigen auf, wie man an den eigenen naiven und selbstgerechten Idealen sowie an Starrsinn und Konservativität zugrunde gehen kann. Da verzeiht man gerne auch einige erzählerische Freiheiten. „Nabilah“ ist ein Schlag in die Magengrube und genau das will und muss er auch sein.
♥♥♥♥ (4/5)

Sadakat (Ilker Çatak)

„Sadakat“ handelt von Politik und von Familie, von der Verantwortung auf der einen und auch von der auf der anderen Seite. Davon, wie schwierig und höchst herausfordernd es sein kann, unterschiedliche persönliche Ideale miteinander in Einklang zu bringen. Angereichert mit Metaphern und kniffligen moralischen Fragen gelingt Çatak das Kunststück, ein politisch aktuelles Thema anhand einer kleinen und persönlichen Geschichte geradezu universell abzuarbeiten und den Zuschauer in ein Dilemma zu stürzen: Wie würde man selbst in der betreffenden Situation handeln? Die kurz vor dem Finale stattfindende, metaphorisch aufgeladene Parallelmontage muss an dieser Stelle als herausragend gewertet werden – besser kann man ein solch brisantes Thema in diesem erzählerischen Rahmen einfach nicht beleuchten. Den Machern ist letztendlich ein wuchtiges Mini-Politdrama gelungen: Intensiv, herausfordernd und ungemein wichtig.
♥♥♥♥♥(5/5)

Gesamtfazit:

Das „Kurzfilm-Programm 2“ bot durch die Bank eher schwere Kost und bedrückende Themen. Wer damit etwas anfangen kann, der wurde allerdings bestens bedient. Ich hätte mir zwar den einen oder anderen Genre-Beitrag gewünscht und hatte zudem auf ein paar richtig coole Effekt-Shots und interessante Stilmittel-Einsätze gehofft (die gab es durchaus, doch waren diese leider insgesamt etwas zu spärlich gesät), aber nichtsdestoweniger hat die Festivalleitung mit den vorgelegten Kurzfilmen eine gute Auswahl getroffen – hervorragende und würdige Beiträge, die allesamt ein großes Publikum verdient hätten. In diesem Sinne: Titel merken und im TV sowie auf Videoplattformen im Netz Ausschau halten; den einen oder anderen Beitrag bekommt man immer irgendwie zu Gesicht, auch außerhalb von Festivals.

Den Max-Ophüls-Preis für den besten Kurzfilm hat dann letztendlich Ilker Çataks „Sadakat“ gewonnen, was mich persönlich sehr gefreut hat.

Autor: Markus Schu

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