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Erinnerungen an Marnie (2014/2015) Review

© Universum Film

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Eine Ära geht zu Ende. Ein bisschen nostalgisch wird mir schon zumute, jetzt wo ich diese Zeilen zu (digitalem) Papier bringe. „Erinnerungen an Marnie“ ist der womöglich allerletzte lange Studio-Ghibli-2D-Animationsfilm, nachdem im letzten Jahr von einer Schließung zwecks Umstrukturierung berichtet wurde und Großmeister Hayao Miyazaki sich nun (scheinbar) zur Ruhe gesetzt hat. Glücklicherweise konnte ich Hiromasa Yonebayashis filmische Adaption von Joan G. Robinsons „When Marnie Was There / Damals mit Marnie. Glückliche Ferien am Meer“ aber noch im Kino genießen, bevor nun vielleicht tatsächlich der letzte Vorhang für das altehrwürdige Studio fällt.

Yonebayashis zweiter Film als Regisseur nach „Arrietty – Die wundersame Welt der Borger“ ist ein (Animations-)Film wie er in Hollywood fast undenkbar wäre. Die Geschichte ist dem Subgenre des Shōjo zuzurechnen, was bedeutet, dass sich der Film eher an junge Mädchen richtet, was aufgrund der weiblichen Protagonistin im Alter von zwölf Jahren bereits ersichtlich wird. Zudem sind die zentralen Charaktere alle weiblich, der Erzählrhythmus ist bedächtig, der narrative Fokus wird auf die Gefühlswelten der Figuren gelegt und Action gibt es nicht. Geena Davis würde vor Freude in die Luft springen, hätte ein amerikanisches Studio diesen Film in die Tat umgesetzt. „Erinnerungen an Marnie“ handelt von der asthmakranken Anna (Laura Jenni), die von ihrer Adoptivmutter Yoriko (Madeleine Stolze) zu Verwandten aufs Land geschickt wird, zwecks des Kurierens ihrer schweren Erkrankung. Dort begegnet Anna dem etwa gleichaltrigen Mädchen Marnie (Lara Wurmer), welches im Marschland in einer Villa lebt, die bei Flut nur per Boot zu erreichen ist. Zwischen den beiden Außenseitern entwickelt sich schnell ein inniges Verhältnis, doch als Zuschauer stellt man sich stets die Frage, ob Anna das Mädchen lediglich imaginiert oder ob Marnie tatsächlich existiert (hat). Dieses Rätsel um Annas Wahrnehmung der Ereignisse wird zum narrativen Motor der Erzählung und schafft es zumeist, genügend Interesse beim Publikum zu wecken, sodass dieses die verstreuten Hinweise zum Lösen und logischen Zusammensetzen der unzuverlässigen Erzählung zu ordnen versucht.

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Mit seinem Coming-of-Age-Thema, der Traumabewältigung seiner psychisch angeknacksten Heldin(nen), traumartigem Erzählen und O-Tönen wie „Ich hasse mich!“ beschreitet das traditionsreiche Studio Ghibli geradezu bedrückende, traurige, melancholische erzählerische Pfade, wie man sie ansonsten nur von Filmen wie „Die letzten Glühwürmchen“, „Tränen der Erinnerung – Only Yesterday“ oder „Flüstern des Meeres – Ocean Waves“ gewöhnt ist. Gerade das macht den Film aber auch so faszinierend. Dachte ich noch zu Beginn, ich könnte mich auf magischen Realismus im Stile von „Chihiros Reise ins Zauberland einstellen“, so wird doch recht schnell klar, wo der Hase lang läuft und auf was man sich noch gefasst machen kann. Dennoch lässt sich die unfassbar tragische Auflösung am Ende in keiner Weise als vorhersehbar bezeichnen. Sie ist zu 90% plausibel, wenngleich sich die Macher auch ein paar wenige dramaturgische Freiheiten erlaubt haben, die sich aber ohnehin nur bei konzentrierter Rekapitulation vorangegangener Ereignisse erschließen. Demnach alles kein sonderlich großes Problem, aber dennoch schade. Außerdem besitzt der Konflikt zwischen Anna und ihrer Pflegemutter keine ausreichende Fallhöhe, die Informationsvergabe verläuft gerade am Anfang durch Annas aktiv geäußerte Erklärungs-Monologe etwas plump und die Charaktere verhalten sich oftmals nicht den Umständen entsprechend vernünftig, aber all dies lässt sich verschmerzen, weil der Regisseur gegen Ende ein doch stimmiges Gesamtbild entwirft, dem man seine leichten erzählerischen Schwächen gerne verzeiht. Zwar stimmt eben nicht alles in Yonebayashis zweitem Langfilm, doch macht das Deuten und Enträtseln der enigmatisch erzählten Geschichte trotz zahlreicher kleinerer Fehler stets Laune. Auch wenn ich öfters dein Eindruck hatte, dass mir als Zuschauer hier ganz bewusst Informationen vorenthalten werden, damit die Dramaturgie letztendlich funktioniert.

Fazit: Alles in allem ist der letzte Ghibli-Film jedoch bei aller Kritik ein äußerst sehenswertes und in seinen Grundzügen surrealistisch angehauchtes Drama geworden, das man sich als Freund japanischer Zeichentrick-Kunst nicht entgehen lassen sollte. Für mich persönlich ist es ohnehin immer etwas ganz Besonderes, einen klassischen 2D-Animationsfilm auf der großen Leinwand zu bestaunen: Auch der womöglich letzte Film des renommierten Studios sieht nämlich einfach nur traumhaft schön aus. Und für uns Anime-Fans ist „Erinnerungen an Marnie“ dann letzten Endes auch ein Stück weit „Erinnerungen an Ghibli“. Hiromasa Yonebayashi braucht sich nicht hinter den Helden Isao Takahata und Hayao Miyazaki zu verstecken. Von mir gibt’s daher eine wehmütige 7/10.

Autor: Markus Schu

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