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Deadpool (2016) Review

© 2015 Twentieth Century Fox

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„X-Men Origins: Wolverine“ präsentierte sich anno dazumal 2009 als ziemlicher Totalausfall, hatte aber immerhin einen Lichtblick; Ryan Reynolds‘ Darstellung als Katana-Schwinger Deadpool konnte sich in seinen wenigen Filmminuten ins Fan-Gedächtnis brennen wie ein Zigarettenanzünder in die Stirn eines Schurken. Spätestens seitdem kursierte die Idee einer figurgerechten Verfilmung durch Hollywood, mit Reynolds, der immer wieder sein Interesse zur Rückkehr verkündete, wechselnden Regisseuren wie David S. Goyer und Robert Rodriguez sowie Diskussionen über ein vorlagentreues R-Rating oder aber eine kinokassenstimulierende Jugendfreigabe. Am Ende wurde es Special-Effects-Routinier Tim Miller, der mit Wade „Deadpool“ Wilsons Solo-Abenteuer gleich seinen ersten Spielfilm als Regisseur inszenieren darf. Und dann soll all dies als Film aus dem Hause Fox auch noch ins restliche X-Men-Universum eingebettet werden, ohne die Erzählstränge aus dem eingangs erwähnten „Origins: Wolverine“ übernehmen zu müssen. WTF? Bei so vielen Variablen und Stellschrauben scheint es ein absolutes Wunder, dass „Deadpool“ nicht nur den offensichtlichen Clusterfuck umschifft, sondern sich zur lustigen Superhelden-Parodie und vorlagentreuem Fan-Wunsch mausert!

Das beginnt schon bei der Handlung, die sich zunächst üblichen Genre-Konventionen schüchtern unterwirft, um dann wo immer möglich mit einem Spruchgewitter zu punkten. Denn die eigentliche Geschichte rund um Wade Wilsons (Ryan Reynolds) Wandlung vom simplen Schläger zum fast unsterblichen Supersoldaten kommt so altbekannt wie simpel daher. Nach einer Krebsdiagnose weiß Großmaul Wilson nicht mehr wohin und unterzieht sich der experimentellen Behandlungsmethoden des kaum besseren Folterknechtes Ajax (Ed Skrein). Im Laufe dieser sollen Wilsons Mutagene aktiviert werden; wo der zukünftige Deadpool allerdings nur auf simple Krebsheilung pocht, hat Ajax ganz anderes mit ihm vor. Eine Verwandlung zum Alles-Heilenden, aber potthässlichen Mutanten später entflieht Wilson der Einrichtung und hofft mithilfe zweier X-Men (gespielt von Stefan Kapicic und Brianna Hildebrand) den Schurken zu stellen und im gleichen Zuge Freundin Vanessa (Morena Baccarin) zu retten. Und wie zu erwarten hält Wilson dabei nicht einmal die Klappe. Nie. Was aus dieser in der Zusammenfassung dröge klingenden Story 108 absolut unterhaltsame Minuten macht.

Denn von vornherein war klar, dass der Film mit der Anzahl und Qualität der Kommentare fliegen oder fallen würde, hier ist und war nie Raum zum Punkten durch viel Mühe bei den Action-Szenen oder ein besonders mühsames Einbinden in den restlichen X-Men-Kosmos. Und Tim Miller und seine Autoren wissen zu liefern. Ob Wilsons flirtender Schlagabtausch mit seiner ebenso schlagfertigen Freundin Vanessa oder Meta-Kommentar zum Publikum über die verwirrende Kontinuität der anderen X-Men Filme; Deadpools Witze sitzen mit einer schon überraschend hohen Quote. Und das sogar in der deutschen Synchronisation. Ebenso darf hier entwarnt werden, dass nicht wie befürchtet aus Studio- oder Marketingentscheidungen Wade Wilson ständig ohne Maske rumrennt, damit Reynolds Gesicht auch möglichst präsent ist. Hier wechseln sich Wilsons Auftritte im roten Spandex (die aufgrund wegfallender Mimik ja noch mehr in Sachen Gestik und Dialoge punkten müssen und können) in angenehmer Anzahl mit Szenen außerhalb seiner „Arbeitskleidung“ ab.

© 2015 Twentieth Century Fox

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Ryan Reynolds bringt natürlich ordentlich Spielfreude für seine Hauptrolle mit. Nachdem er jahrelang in Interviews oder auf Conventions gar nicht aufhören konnte, von einem „Deadpool“-Film zu schwärmen, scheint er sich über die Verwirklichung mindestens so sehr zu freuen wie der Comic-Fan im Kinosessel. Überraschenderweise lässt sich aber der restliche Cast nicht unterbuttern und gibt der Hauptfigur ordentlich kontra; Morena Baccarin, den meisten wahrscheinlich noch aus „Firefly“ bekannt, bringt ordentlich Sympathien auf ihre Seite. Das rettet sie sicher nicht davor, im Finale doch die Damsel in Distress zu spielen, gerade aber die Szenen am Anfang zwischen ihr und Reynolds sind angenehm schrill und kurzweilig. Statt typischer Superheldenschwelgerei bekommen wir temporeiche Beziehungsmontage, dank R-Rating mit abgedrehten Sex-Spielchen, die zeigen, dass sich in dieser irren Welt die zwei Irrsten gefunden haben. Auch Wilsons Kumpel und Barbesitzer Weasel (T.J. Miller) ist mit seinen Kommentaren über Wilsons verbranntes Gesicht immer für einen Lacher gut. Und dann haben es ja dank Shared Universe auch noch zwei X-Men-Figuren in den Film geschafft. Hier versuchen die Kreativen Gott sei Dank gar nicht erst, das große Superheldentreffen zu organisieren; der bärige Colossus mit seinen moralisierenden Ansprachen über das Helden-Sein ist natürlich gefundenes Fressen für Wilsons Sarkasmus, Colossus‘ Schülerin mit dem abgedrehten Namen Negasonic Teenage Warhead als twitternde Teenager-Göre dazu noch eine passende Erweiterung. Da muss sich Ed Skrein als blasser Bösewicht Ajax weit hinten anstellen, seine Rolle existiert tatsächlich nur, um Deadpools Trip in irgendeine Richtung zu lenken und auf ein Ende zuzusteuern. Dabei wird er sogar noch von Handlangerin Angel Dust (Haudrauf Gina Carano) ins Abseits gestellt, die dank beeindruckendem Auftreten nur wenige Worte braucht, um trotzdem einen guten Eindruck zu hinterlassen und sich für zukünftige Rollen zu empfehlen.

Mit all diesem Selbstbewusstsein macht „Deadpool“ schnell deutlich, dass er sich um seine Fehler gar nicht schert und wohl auch nicht scheren muss. Die flache Story wird durch das hohe Tempo und den treffsicheren Humor, der schwache Antagonist durch einen umso sympathischeren Protagonisten ausgeglichen. Auch bei der grundsoliden Inszenierung macht Neuling Miller alles richtig, ohne wahnsinnige Innovationen zu liefern – ganz so, als ob allen klar wäre, dass man mit den großen Avengers in einem derartigen Film gar nicht konkurrieren kann und sollte. Dass alle Beteiligten die Figur verstanden haben, zeigt sich stattdessen schon im grandiosen Vorspann, der vollgepackt mit Freeze-Frames, schmachtendem Soundtrack und verballhornenden Credits daherkommt. Und bereits gut vorwegnimmt, was man sich für einen zweiten Teil wünschen würde: „Deadpool“ ist ein gelungener Spaß, der gemessen an der Substanz und den Beteiligten im nächsten Film gerne sogar noch verrückter werden darf!

Autor: Simon Traschinsky

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