Einen Kommentar hinterlassen

Cloud Atlas (2012) Review

Die Wiederkehr der Wachowski-Geschwister aus dem Regie-Ruhestand. Tom Tykwer an ihrer Seite, wahlweise in ihrer Mitte. „Matrix“ (1999), einer der wichtigsten Filme aller Zeiten, trifft personell gesehen „Lola rennt“ (1998), einen der wichtigsten deutschen Filme aller Zeiten, dazu ein Schauspiel-Cast, der seinesgleichen sucht. Heraus kam bei drei Jahren Produktionszeit der teuerste deutsche Film aller Zeiten, ein knapp sechsminütiger, episch anmutender Trailer und Standing Ovations bei der Premiere auf dem Toronto International Filmfestival 2012. Was könnte hier noch schiefgehen? Sicherlich einiges. Und was geht tatsächlich schief? Nichts. Absolut nichts.

Die Handlung des Filmes spielt sich auf verschiedenen und miteinander vermischten Zeitebenen ab. Im Jahre 1849 wird der Amerikaner Adam Ewing in Ozeanien mit den Auswüchsen der damals dort vorherrschenden Sklaverei konfrontiert. 1936 sucht und findet der aufstrebende Komponist Robert Frobisher eine Anstellung bei seinem gealterten musikalischen Vorbild Vyvyan Ayrs, muss jedoch seine homosexuelle Beziehung zu seinem Studienkollegen Rufus Sixsmith geheim halten, zu welchem er aufgrund der räumlichen Distanz nur Briefkontakt hat. 1973 trifft ebendieser Sixsmith durch einen Zufall auf die Journalistin Luisa Rey, die an einer Story über eine etwaige Sicherheitslücke in einem nahegelegenen Atomkraftwerk arbeitet. 2012 wird der Verleger Timothy Cavendish von seinem Bruder aus Rache für frühere Zeiten in ein Altersheim verfrachtet. 2144 findet in Neu-Seoul ein Verhör einer weiblichen Replikantin statt, die aus ihrem Arbeitsumfeld ausbrach und an der Unterstützung von Rebellen beteiligt war. Und zu einem undefinierten, noch weiter in der Zukunft verorteten Zeitpunkt hilft der Hirte Zachry der aus einem hochtechnologisierten Volk stammenden Meronym, einen Berg zu erklimmen, von dem sie sich Aussichten auf eine bessere Zukunft verspricht.

Auf den ersten Blick haben diese Handlungsstränge rein gar nichts miteinander zu tun. Und dennoch trifft die deutsche Tagline des Films „Alles ist verbunden“ den Kern der Geschichte mehr als treffend. Dies geschieht zum einen durch die Schauspieler, die allesamt in verschiedensten Rollen zu verschiedensten Zeitpunkten auftauchen und die Wandlung von beispielsweise einem Ziegenhirten zu einem Atomphysiker (Tom Hanks) dabei fast wie ein Chamäleon meistern. Keiner der Darsteller und Darstellerinnen ist eine Fehlbesetzung, alle spielen ihre grundverschiedenen Charaktere nahezu ohne Einschränkungen in jeder Einstellung komplett überzeugend. Bleibenden Eindruck hinterlassen insbesondere Tom Hanks, Halle Berry und Jim Broadbent, die, ohne die Leistung der anderen Schauspieler auch nur im Geringsten schmälern zu wollen, als das Protagonisten-Trio durchgehen.

Weiterhin werden in den einzelnen Episoden-Bruchstücken immer wieder Verweise auf die anderen Zeitebenen eingebaut. So liest Robert Frobisher (Ben Wishaw) 1936 die Aufzeichnungen der Reise von Adam Ewing (Jim Sturgess) 94 Jahre zuvor, Luisa Rey (Halle Berry) ist auf der Suche nach dem „Wolkenatlas-Sextett“, einem von wiederum Robert Frobisher komponierten Musikstück, Sonmi-451 (Doona Bae) schaut sich 2044 die Verfilmung des Lebens von Timothy Cavendish (Jim Broadbent, in der Film-im-Film-Variante wird dieser allerdings von Tom Hanks verkörpert) an und das Inselvolk von Zachry (ebenfalls Tom Hanks) verehrt die mehrere hundert Jahre zuvor gestorbene Sonmi-451 als Göttin. Über diese inhaltlichen Querverweisen hinaus gibt es weiterhin formale, für die dem Film zumindest stilistisch gesehen vermutlich das größte Kompliment zu machen ist. Die Regisseure springen trotz der unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche (die Wachowskis führten bei der zeitlich ersten und den beiden letzten Episoden Regie, Tykwer bei den verbleibenden dreien) derart virtuos zwischen den verschiedenen Ebenen hin und her, dass dem Zuschauer gar nicht die Idee kommt, dass auch nur eine Sekunde anders sein könnte. Dieser Kniff gelingt unter anderem durch die Übergänge zwischen den einzelnen Fragmenten, welche entweder auf der Bild- oder auf der Dialogebene funktionieren und durchgehend derartig geniale Verknüpfungen herstellen, dass trotz der mehrere Jahrhunderte umspannenden Handlung in jedem Moment der Eindruck eines großen kohärenten Ganzen bleibt.

Fast jedes Genre wird durch „Cloud Atlas“ abgedeckt. Romantische Momente wechseln mit melodramatischen, die Science-Fiction-Komponente wird insbesondere durch die Wachowskis sowohl mit Fantasy- als auch mit Action-Bestandteilen abgerundet, es finden sich Anleihen im Abenteuerfilm und ein häufig ausnehmend britisch geprägter Humor, der speziell in der 2012er-Episode unter anderem durch Jim Broadbents wundervoll charmantes Spiel massiv zum Tragen kommt. Erstaunlicherweise wird innerhalb dieser genrespezifischen Melange kontinuierlich die Waage zwischen den einzelnen Erscheinungsformen gehalten, der Film ist niemals kitschig oder an irgendeiner Stelle überladen.

Auch die durch „Cloud Atlas“ behandelten Problemstellungen stellen quasi einen thematischen Rundumschlag dar. Neben grundlegenden Dingen wie die Frage nach dem Zufall, nach der Verantwortung des Einzelnen und natürlich nach Sinn und Möglichkeit der Liebe ist der Film in vielen Belangen sehr eindeutig ein Kind seiner Zeit. Glücklicherweise wird nie der Holzhammer angesetzt, direkte Anspielungen auf aktuelle Themen werden unterlassen, was den Film trotz seiner Zeitbezogenheit ironischerweise zumindest auf einer grundlegenden Ebene zeitlos macht. Was die Folgen der aktuellen globalen Entwicklung politischer und ökonomischer Systeme angeht, ist „Cloud Atlas“ allerdings überdeutlich. Insbesondere die merklich an „Blade Runner“ (1984) angelehnte 2144er-Episode zeigt eindringlich die Folgen eines überbordenden Kapitalismus, der die Welt und die in ihr befindlichen Menschen in den Abgrund reißt und gnadenlos verschlingt. Auch wenn diese Episode in Korea spielt, so sind die Einflüsse des aktuellen wirtschaftlichen Zerfalls und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Situation in den USA auf das geschilderte Szenario vermutlich nicht in Abrede zu stellen, zumal auch das Thema Krieg nicht ausgespart wird. Vermischt mit den Problematiken von Umweltkatastrophen, Atomkraft, des Rassismus, der Ausgrenzung von Homosexuellen sowie der Ignoranz gegenüber älteren Generationen gewinnt der Film ein enormes politisches Gewicht, welches zwar während des Rezeptionsprozesses selbst nie aufdringlich wird und somit nicht von der Fokussierung auf den Film als Werk ablenkt, jedoch die gestellten Fragen über das Ende hinaus im Kopf des Zuschauers kreisen lässt. Ein Film, der im besten Sinne zum Nachdenken anregt, ob wir uns mit den Konsequenzen unseres derzeitigen Lebens eines Tages wirklich konfrontiert sehen wollen und ob diese Konfrontation nicht schon längst unausweichlich ist.

Damit verbunden wird auch die Wichtigkeit von Wissen und somit Bildung sowie die Fähigkeit des eigenständigen und kritischen Denkens mehr als einmal betont. Halle Berry sagt in einer Szene, dass sie nicht verstünde, warum die Menschen immer wieder die gleichen Fehler machten. Hier wäre Aufklärung das Stichwort, der Film veranschaulicht jene Fehler vor diesem Hintergrund relativ schonungslos und selbst die Tatsache, dass sie sich nicht immer konkret gleichen, ändert nichts daran, dass sie alle in der einen oder anderen Weise stets in Richtung Unterdrückung, Ausbeutung oder Zerstörung gehen. „Cloud Atlas“ zeichnet jedoch kein grundsätzlich pessimistisches Bild der Welt und des Menschen. Es wird Hoffnung aufgezeigt, verschiedene Lösungen werden angeboten, die von einem Aufbruch zu nicht nur geografisch neuen Ufern bis hin zu einer Revolution reichen.

Neben Tom Hanks (der als prügelnder Buchautor für ein Highlight des Films sorgt), Halle Berry und Jim Broadbent verdienen natürlich auch die anderen Darsteller eigentlich mehr als nur eine lobende Erwähnung. Hugo Weaving spielt in nahezu jeder Episode den Bösewicht und scheint es regelrecht zu genießen, die diabolischen Züge seiner Charaktere auszuloten. Newcomerin Doona Bae bleibt am ehesten als Sonmi-451 in Erinnerung, da sie in zwei anderen Teilen lediglich in einer Nebenrolle auftaucht, verkörpert jedoch die Replikantin, die mit der ihr völlig unbekannten Welt erst einmal komplett überfordert ist, durchweg authentisch. Ben Wishaw und Jim Sturgess haben zwar letztlich ebenfalls nur eine Rolle, mit der man sie nachhaltig verbindet; ersterer als nach und nach am Leben verzweifelnder Komponist Robert Frobisher 1936, letzterer als junger Abenteurer 1849, beide füllen diese (und auch ihre anderen) Charaktere gleichwohl komplett aus. James D’Arcy verdient ein großes Kompliment für seine Darstellung sowohl des jungen als auch des alten Rufus Sixsmith, an der sich Leonrdo DiCaprio für „J. Edgar“ (2011) ein massives Beispiel nehmen kann. Susan Sarandon und Hugh Grant schließlich tauchen in der Tat zwar häufig auf, bleiben jedoch durchgehend auf Nebencharaktere beschränkt, was umso mehr Freude macht, sobald man sie erkennt. In diesem Zusammenhang bleibt zum Schluss zu sagen, dass alle Darsteller weiterhin in Rollen erscheinen, in denen man sie definitiv nicht erkennen wird und die erst der Abspann vollständig enthüllt.

Die Wachowski-Geschwister und Tom Tykwer zeigen mit „Cloud Atlas“, dass es nicht im mindesten ein Problem darstellt, eine zutiefst humanistische Botschaft mit einem epischen Leinwandtheater monumentalen Ausmaßes zu verbinden, welches dankenswerterweise keinen 3D-Schnickschnack benötigt, um zu funktionieren. Story, Bilder, Schauspieler…hier muss nichts anders sein, als es ist. „Cloud Atlas“ ist ein Film, der den Zuschauer in den Sitz drückt, ihn schwerlich wieder loslassen wird, und noch Stunden später beschäftigt. Dies geht an die ganze Welt: Schaut euch diesen Film an, er macht euch zu einem besseren Menschen!

Autor: Jakob Larisch

Leave a Reply