Einen Kommentar hinterlassen

Carol (2015) Review

© Wilson Webb / DCM

© Wilson Webb / DCM

Aus trüben, verschmutzten, mit Regen bedeckten Fenstern schauen unsere Heldinnen hinaus. Und in ebensolche Fenster schauen sie auch hinein in Todd Haynes‘ neuem Werk „Carol“, das mit absoluter Gewissheit für mehrere Oscars nominiert werden wird. Denn sein Liebesdrama ist nicht nur von Cate Blanchett und Rooney Mara fantastisch gespielt, sondern auch von einer unvergleichlichen Anmut, von einer Zärtlichkeit beseelt – ein Film der leisen Töne und großen Gefühle. Ein Melodram, das nicht melodramatisch, sondern zutiefst menschlich ist.

Amerika, die 1950er. Der zeitgeschichtliche Kontext sollte nicht außer Acht gelassen werden, dennoch ist Haynes‘ neuer Film natürlich eine universelle Erzählung über das Menschsein und die Liebe. Die Liebe in Zeiten von Menschen, die anderen ihr Glück partout nicht gönnen wollen. „Carol“ handelt von der Liebe zwischen Therese (Rooney Mara) und der Titelheldin (Cate Blanchett) und ist somit – sorry für die Redundanz – ein Drama, das sich mit einer lesbischen Beziehung auseinandersetzt. Sicherlich kommt es der Geschichte und insbesondere ihrer Umsetzung auch enorm zugute, dass sowohl der Regisseur als auch Sarah Paulson, die die beste Freundin von Carol spielt, sich ganz offen zu ihrer Homosexualität bekennen und den Film und dessen Handlung dadurch vielleicht auch in gewisser Weise erden konnten. Fernab von alldem ist „Carol“ aber vor allem eines: die Geschichte zweier Frauen. Und hierbei eben eine wundervolle, bittersüße und tragische Liebesgeschichte. Nicht nur der Altersunterschied zwischen den beiden Hauptfiguren, auch ihre familiären und persönlichen Umstände sind kein geeigneter Ausgangspunkt für ihre gegenseitigen Gefühle. Carol will sich von ihrem Ehemann Harge Aird (Kyle Chandler) scheiden lassen und das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter Rindy (Kennedy K. Heim & Sadie Heim) teilen. Er fühlt sich allerdings von ihr betrogen, verraten und legt seiner Noch-Frau Steine in den Weg: Homosexualität als Verbrechen, so der Vorwurf, durch den er versucht, ihr das Sorgerecht zu entziehen und den Kontakt zur Tochter zu verwehren. Auf der anderen Seite haben wir Therese Belivet. Sie arbeitet als Verkäuferin in einem Spielwarengeschäft und wirkt selbst ein wenig zerbrechlich, kindlich. Mindestens zwei Männer schwärmen für sie, doch ihr Herz beginnt für Carol zu schlagen, als sich die beiden zufällig begegnen. Zur Story soll an dieser Stelle nicht mehr gesagt werden. Wichtig ist nur, dass die aufkeimenden Gefühle zwischen den beiden Frauen natürlich unter keinem guten Stern stehen. Für sie kann es eigentlich kein Happy End geben. Oder vielleicht doch.

© Wilson Webb / DCM

© Wilson Webb / DCM

„Carol“ ist formal überwältigend. Die Adaption eines Patricia-Highsmith-Romans wurde von Kameramann Edward Lachman in erlesene Bilder gegossen, die ihm sicherlich eine Oscarnominierung einbringen werden. Haynes‘ Film beginnt mit dem Ende und erklärt dem Zuschauer dann im tatsächlichen Schluss, warum er diesen geschickten erzählerischen Kniff angewendet hat. Sein Werk ist bedächtig, fast langsam (und in Teilen vielleicht etwas zu behäbig) inszeniert. „Carol“ ist von einer enormen Schwere, die allerdings nicht ins Bedrückende abgleitet. Eine präzise, respektvolle, niemals reißerische oder effekthascherische Emanzipationsfabel ist dem Regisseur dadurch geglückt. Ein Film von formaler Perfektion, wissen die Kreativen hinter der Kamera doch alle Stilmittel zielführend und kongenial miteinander zu verschmelzen. Herausgekommen ist dabei eine Geschichte, die über ihre Blickachsen und -winkel, ihre Rauminszenierung, die Zeitlupen, Zooms und Einstellungsgrößen so viel mehr erzählt als es mit Worten je möglich wäre. Cate Blanchett als „fragile Femme Fatale“ sowie die elfengleiche, überragende Rooney Mara als ihr Objekt der Begierde und junge Frau auf Individualismus-Odyssee bereichern das ästhetische Meisterwerk noch zusätzlich. Die zwei Heldinnen in „Carol“ sind auf der Suche nach sich selbst, ihrem Platz in der Gesellschaft und im Leben des jeweils anderen. Auf der Suche nach Glück und Geborgenheit. Sie wissen noch nicht genau, wer sie sind, was sie sein können, wollen und dürfen. Und wir wohnen ihnen bei ihrer Suche bei. Carol und Therese sind zerbrechlich und kämpferisch zugleich. Die Performances von Blanchett und Mara sind übrigens nicht weniger als brillant: Für ihre grandiose Schauspielkunst werden demnach hoffentlich beide mit Academy-Award-Nominierungen belohnt werden.

Was bleibt mir bei all den Lobeshymnen noch Negatives zu sagen über diesen Film? Objektiv vielleicht überhaupt nichts. Subjektiv jedoch, dass ich mir gerne noch mehr dieser angesprochenen visuellen Ideen gewünscht hätte. Noch mehr Emotionen, ein wenig mehr Schwung, stärkere dramaturgische Zuspitzungen. Doch ich weiß nicht, ob das dem Film vielleicht mehr geschadet als genutzt hätte. „Carol“ kann man nur goutieren, wenn man den Film eben so nimmt, wie er ist. Ein entschleunigtes Liebesdrama von poetischer Anmut und Schönheit, in einer Welt, in der für diese Dinge eigentlich kein Platz war und ist, sich unsere mutigen Heldinnen jedoch ein Refugium erschaffen, um sich diese Schätze zu bewahren. Wer macht hier eigentlich die Heldenreise durch? Wer ist Katalysator für wen? Wer profitiert von wem? Und kann es am Ende so etwas wie Glück tatsächlich geben? Die Handlung von „Carol“ spielt übrigens zu großen Teilen in der Weihnachtszeit. I see what you did there. 8/10, auch wenn alle höheren Wertungen genauso gerechtfertigt wären.

Autor: Markus Schu

Leave a Reply