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Berlinale, Tag 5: „The Woman Who Ran“, „Bad Tales“ & „Never Rarely Sometimes Always“

Domangchin yeoja / The Woman Who Ran (Hong Sang-soo, ROK 2020)
Wettbewerb

Nur 77 Minuten lang und trotzdem vollkommen uninteressant. „The Woman Who Ran“ dreht sich um Gam-hee (Kim Min-hee), die, während ihr Mann auf Geschäftsreise ist, drei Freundinnen in Seoul besucht. Einen Großteil des Filmes nehmen dabei die Konversationen ein, die sie mit ihren verschiedenen Gesprächspartnerinnen führt. Es geht immer um Oberflächliches, nie um Ernsthaftes, es geht darum, wie belanglos die Gespräche in der heutigen Zeit geworden sind, dass letztlich uninteressanter Smalltalk alles ist, was man selbst unter guten Freundinnen noch hinbekommt. Dafür hätte es jedoch auch ein Kurzfilm getan. Wenn überhaupt erhält „The Woman Who Ran“ eine gewisse Individualität durch den sehr distinkten Stil von Regisseur Hong Sang-soo mit den plötzlichen Zooms auf Gesichter oder Gegenstände und seinen langen Einstellungen, welche die Dialoge nahezu ohne Schnitte abbilden. Das reicht jedoch nicht, um diesen Wettbewerbsbeitrag aus der absoluten Belanglosigkeit herauszulösen.

Favolacce / Bad Tales (Damiano D’Innocenzo / Fabio D’Innocenzo, I/CH 2020)
Wettbewerb

Dieser Film ist auf eine fiese Weise unterhaltsam, es ist eine kleine und gemeine, wichtige und polemische, hintergründige und subversive Darstellung der Leere des Bürgerlichen. Präsentiert werden einige gut bis besser gestellte Familien in den suburbanen Gegenden rund um Rom im Laufe eines heißen Sommers. Die Erwachsenen heucheln ihren Kindern und auch sich gegenseitig nur noch etwas vor, leben ausschließlich in ihrem hermetisch abgeriegelten Weltbild und haben jeglichen Bezug zur politischen Gegenwart verloren. Nur die Kinder merken mit der Zeit, ohne es in Worte fassen zu können, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Ihnen wohnt dabei kein genuin revolutionärer Impetus inne, sie wollen nicht etwa aus sozialem Antrieb die ominösen „Verhältnisse“ verändern, sondern verfolgen vielmehr auf einer subkutanen Ebene ihre eigene Agenda, die zu einem schonungslos-konsequenten und sehr radikalen Ende führt.

© Focus Features / Universal Pictures

Never Rarely Sometimes Always / Niemals selten manchmal immer (Eliza Hittman, GB/USA 2020)
Wettbewerb

Was hätte aus diesem Film werden können! Er thematisiert ein wichtiges Anliegen, setzt dies aber nachlässig und oberflächlich um. Wer die USA kennt, weiß, dass dort das Thema Abtreibung noch einmal eine ganz andere politische und auch religiöse Bedeutung hat als in Deutschland. Dies ist der Hintergrund, vor dem der Film die Geschichte der 17-jährigen Autumn (Sidney Flanigan) erzählt, die ungewollt schwanger wird und eine Möglichkeit sucht, das Kind abtreiben zu lassen – obwohl sie aufgrund einer Fehlinformation ihrer Gynäkologin bereits in der 18. Schwangerschaftswoche ist. Hilfe und emotionale Unterstützung erhält sie von ihrer Cousine und besten Freundin Skylar (Talia Ryder). Regisseurin Eliza Hittman gelingt es dabei hin und wieder durchaus ganz gut, auf meist zurückhaltende Weise die persönliche Ebene einer solchen Frage in den Blick zu nehmen (was macht der gesellschaftliche Umgang mit diesem Thema mit den individuell betroffenen, jungen Frauen?) und einige starke Einzelszenen zu inszenieren, doch führt der absolute Fokus auf die Figur Autumn wiederum dazu, dass wirklich gar nichts anderes thematisiert wird. Nicht nur sind auf äußerst platte und tendenziöse Weise samt und sonders alle männlichen Figuren zu verschiedenen Graden entweder pervers oder wollen die beiden jungen Frauen sexuell ausnutzen, auch macht sich der Film in keiner Weise auf die Suche nach den strukturellen politischen, gesellschaftlichen, sozialen Ursachen für die verhärteten Fronten in der Abtreibungsdebatte – was auch mit dem Fokus auf eine einzelne Figur möglich gewesen wäre, hätte man beispielsweise ihr familiäres Umfeld oder ihre Sozialisation thematisiert. Der Ansatz ist alle Ehren wert, die Umsetzung ist gleichwohl gescheitert.

Autor: Jakob Larisch

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