El prófugo / The Intruder / Der Eindringling (Natalia Meta, ARG/MEX 2020)
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Im Englischen würde man sagen: What’s the point? Oder zu deutsch: Was soll dieser Film? Laut Berlinale-Programmheft soll er ein „höchst origineller Psycho-Sex-Thriller“ sein, doch was dabei herauskommt, ist: ein wenig Psycho, kaum Sex und kein Thrill, von originell ganz zu schweigen. Die Synchronsprecherin Inés (Érica Rivas) verliert in einem gemeinsamen Urlaub ihren neuen Freund Leopoldo (Daniel Hendler), der von einem Hotelbalkon stürzt. Ein Unfall? Ein Selbstmord? „El prófugo“ weiß dann auch selbst nicht so recht, was er damit anfangen soll und lässt seine Protagonistin einfach Visionen und Albträume haben, ein neuer Mann tritt in ihr Leben (oder auch nicht) und ihre Mutter zieht bei ihr ein. Eine Kollegin erzählt ihr schließlich, sie habe einen „Eindringling“. Na denn. So beliebig und inkonsistent, wie es klingt, ist es dann auch im fertigen Film. Man kann es sich mit einem Drehbuch sehr einfach machen, indem man sich absolut keine Mühe gibt, für eine wie auch immer geartete innere Kohärenz zu sorgen, sondern einfach nur Dinge behauptet, sie schlicht als gesetzt definiert, ohne irgendeine Form der Kontextualisierung. Selbstverständlich muss nicht alles gelöst, nicht alles erklärt werden, man kann Dinge im Dunkeln lassen, manchmal wirkt das spannungsfördernd. Doch muss es dramaturgische Anhaltspunkte geben, etwas, das man als Ansatz nehmen kann. Nicht so in diesem Film, der von absoluter Willkürlichkeit durchzogen ist. Alles wirkt unglaublich unpräzise und zerfasert, als hätte Regisseurin Natalia Meta mit Hilfe einer schlecht gespielten Partie Drehbuch-Roulette versucht, konsequent einen stimmigen Spannungsaufbau zu verhindern. Und somit ist „El prófugo“ vor allem eines: unfassbar langweilig.
Le sel de larmes / The Salt of Tears / Das Salz der Tränen (Philippe Garrel, F/CH 2020)
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Philippe Garrel, der Grandseigneur des französischen Films, hat einen Liebesfilm gedreht, doch – Garrel being Garrel – keinen gewöhnlichen. Ein Mann zwischen drei Frauen (und einem weiteren Mann), dabei jede Menge Schmerz und nur kurze Momente des Glücks. Luc (Logann Antuofermo) lernt während eines kurzen Aufenthaltes in Paris Djemila (Oulaya Amamra) kennen, beginnt dann zurück in der Heimat eine Beziehung mit seiner Jugendliebe Geneviève (Louise Chevillotte), nur um wieder zurück in Paris sich mit Betsy (Souheila Yacoub) einzulassen, in deren gemeinsamer Wohnung irgendwann noch Betsys Arbeitskollege und Teilzeit-Sexpartner Paco (Martin Mesnier) unterkommt. Dieses mit teils dramatischen Tiefen versehene, gleichwohl immer behutsam erzählte Beziehungsgeflecht verpackt der Regie-Altmeister in ästhetische Schwarz-Weiß-Bilder, denen die langen Einstellungen eine angenehme Ruhe verleihen: Man hat Zeit, die Gesichter zu lesen, Momente des Abschieds oder Augenblicke des Verletztwerdens zu erkennen, wahrzunehmen und zu verstehen. Garrel bietet keine Lösungen für die diversen Konflikte, die Dinge scheinen einfach zu passieren. Der Film folgt keiner klassischen Dramaturgie, sondern unterbricht die Darstellung des Lebens seiner fünf nicht immer sympathischen Hauptfiguren regelmäßig durch Schwarzblenden, spart aus, schildert einiges nur per zusammenfassendem Voice-Over. Es entsteht eine zurückhaltende Beziehungscollage, die weniger erzählt als vielmehr beschreibt und beobachtet. Und dann durchweht auf einmal eine wunderbare Leichtigkeit diesen wunderbaren Film, wenn die jungen Menschen in einem Club tanzen. Und tanzen. Und tanzen.
Autor: Jakob Larisch