Einen Kommentar hinterlassen

Arlo & Spot (2015) Review

© 2015 Disney / Pixar

© 2015 Disney / Pixar

Hintergrund: Zwei Pixar-Filme in einem Jahr? Das gab’s noch nie. Das liegt aber eher nicht daran, dass Pixar jetzt schnellstmöglich das große Geld scheffeln will, wobei das aktuell natürlich (verdientermaßen) geschieht. Sondern eher an den Begleitumständen der Produktion. „Arlo & Spot“ sollte bereits vor zwei Jahren bzw. nach einer ersten Verschiebung dann im vorigen Jahr seinen Kino-Release erfahren. Bob Peterson, Autor und Regisseur des Projekts seit 2011, stieg jedoch im Jahr 2013 aus, da er solche Probleme mit dem finalen Akt des Plots hatte, dass bei Pixar umdisponiert werden musste. Er wurde von Peter Sohn abgelöst, der dann 2014 das Ruder übernahm und den Film wieder auf Kurs bringen sollte. (Nein, Peterson und Peter Sohn sind kein Marketing-Gag von Pixar, es handelt sich tatsächlich um zwei unterschiedliche Personen.) So viel erst mal zum Hintergrund. Klingt ja eher nach suboptimalen Vorzeichen, nicht wahr?

Zum Plot: „Arlo & Spot“ entwirft eine alternate history timeline, in der die Dinosaurier niemals ausgestorben sind. Dementsprechend wandeln irgendwann sowohl Menschen als auch Dinosaurier über die Erde. Der etwas ängstlich und zerbrechlich wirkende Apatosaurus Arlo (Raymond Ochoa) lebt mit seinen Eltern und seinen zwei Geschwistern auf einer Farm (!) und träumt davon, in die Fußstapfen seiner Familienmitglieder zu treten und irgendwann ein mutiger Dino zu werden, der dazu imstande ist, der kleinen Gemeinschaft mit seiner Arbeit zu dienen – kurzum: er will sich als würdig erweisen. Um dies zu erreichen, übernimmt er eine Spezialaufgabe seines Papas (Jeffrey Wright), der ihn darum bittet, sich um einen Schädling zu kümmern, der die Mais-Vorräte der Dino-Familie plündert. Ein kleiner Menschenjunge ist dafür verantwortlich, doch Arlo bringt es nicht übers Herz, dem kleinen Racker die Lichter auszupusten. Als Arlo und sein Dad das diebische Menschenkind dann während eines Sturmes verfolgen, kommt es jedoch zu einem Unglück. Doch wie das Schicksal und die Dramaturgie des Filmes es so wollen, müssen sich die Wege von Arlo und dem Menschenkind, das später auf den Namen Spot (Jack Bright) hören wird, erneut kreuzen: Der Dino ertappt Spot wieder beim Stehlen und verfolgt ihn bis zu einem Fluss, in den beide natürlich hineinstürzen. Fern der Heimat ist Arlo nun auf die Survival Skills seines non-verbal agierenden, menschlichen Begleiters angewiesen und eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen dem vermenschlichten Dino und dem hündisch agierenden Kind bahnt sich an…

© 2015 Disney / Pixar

© 2015 Disney / Pixar

Carina meint: Wenn Pixar innerhalb von nur wenigen Monaten gleich zwei Filme in die cinematographische Arena wirft, dann muss man beide Filme miteinander vergleichen, das ist fast schon ein automatischer Prozess. Mit „Alles steht Kopf“ ist Pixar ein absolutes Meisterwerk gelungen. Für mich persönlich ist es einer der besten und inspiriertesten Animationsfilme, die ich je gesehen habe, wenn nicht sogar the holy shit itself. „Arlo & Spot“ dagegen ist… naja. Ich will nicht sagen, dass es ein schlechter Film ist, ganz im Gegenteil. Die Grundidee einer Welt, in der die Dinosaurier niemals ausgestorben sind, klingt zunächst vielversprechend und Regisseur Peter Sohn liefert eine solide Leistung mit klassischer Story ab. Aber genau dabei bleibt es eben auch, konventionell und ohne erwähnenswerte Innovationen auf der Plot-Ebene, wie wir sie in „Alles steht Kopf“ um die Ohren gepfeffert bekommen. Wir sehen eine Mischung aus Coming-of-Age-Film (inklusive des ersten Alkoholkonsums, ist ganz witzig) und klassischem Western. Es ist alles dabei, was ein guter Film braucht, die Heldenreise wird Stück für Stück abgefrühstückt – aber eben auch nicht mehr. Dass Pixar es schafft, facettenreiche Gesellschaften zu entwerfen, die gerade durch ihre Liebe zum Detail überzeugen, haben sie spätestens mit „Findet Nemo“ bewiesen und mit „Alles steht Kopf“ erfolgreich fortgesetzt, wenn nicht sogar übertroffen. In „Arlo & Spot“ sucht man danach vergebens. Dem Zuschauer wird eine Gesellschaft von Farmern gezeigt, die mir in der Gestaltung ihrer Figuren fast schon lieblos erscheint. Klar, die beiden Titelhelden sind ganz knuffig, aber der Rest? Arlos Familie scheint nur aus Stereotypen zu bestehen: Der starke und fleißige Vater, die fürsorgliche und emsige Mutter (Frances McDormand), die kluge und flinke Schwester Libby (Maleah Padilla) sowie Bruder Buck (Marcus Scribner) als etwas trotteliger Kraftprotz. Die Geburt der Geschwister wird so emotionslos dargestellt wie die Bewässerung der Maisfelder und dient nur dazu, ihre wenigen Eigenschaften zu etablieren. Ebenso wie Arlos Familie bleibt auch die Charakterzeichnung der T-Rex-Gruppe, die Arlo und Spot auf ihrer Reise treffen, eher oberflächlich und ohne emotionale Tiefe. Sie erfüllen das Klischee der wilden zernarbten Cowboys, die ihre Büffelherde durch das weite Nordamerika treiben, abends am Lagerfeuer Mundharmonika spielen und sich Geschichten erzählen. Es wirkt wie eine Hommage an das Western-Genre. Ja, ganz nett, ja, irgendwie witzig, aber einfach ohne Tiefgang, ohne unerwartete Wendungen und ohne den Zuschauer tatsächlich etwas empfinden zu lassen. Auf differenzierte Figuren mit vielschichtigen Eigenschaften und sympathischen Makeln, die auch mal entgegen der Erwartung des Zuschauers handeln oder über sich hinauswachsen, wartet man hier vergebens. Sympathisch war mir nur der leicht bekloppte Triceratops, der wie aus dem Nichts auftaucht, genauso schnell wieder verschwindet und eigentlich nur dafür verantwortlich ist, die Freundschaft zwischen Arlo und Spot zu vertiefen. Von Tiefgründigkeit ebenfalls keine Spur, aber immerhin war er ganz ulkig. Ich mag ihn. Und Debbie auch. Aber hat mich abgesehen von den beiden Titelhelden wirklich jemand berührt? Dafür fehlt das gewisse Extra. Auch die Darstellung der Menschen ist meiner Meinung nach extrem fragwürdig, aber ich will nicht zu viel vorwegnehmen. Es scheint so, als hätte sich der Regisseur rein auf die gewaltigen Landschaftsbilder verlassen, die die fade Story untermalen. Okay, die sind wirklich geil geworden, dafür hat der Film einen Pluspunkt verdient. So wie sich Arlo in den endlosen Weiten Nordamerikas verirrt, so kann man sich auch als Zuschauer darin verlieren. Anmutige Bergketten, reißende Flüsse, tiefe Täler, scheinbar endlose Weiten – es sieht tatsächlich fantastisch aus. „Arlo & Spot“ weniger als 6/10 Punkte zu geben wäre unverschämt, dafür ist die Leistung wie gesagt zu solide und für die schöne Landschaft gibt’s noch einen oben drauf. Mehr als 7/10 Punkte ist meiner Meinung nach aber wirklich nicht drin für einen Film, der mich zwar gut unterhalten hat, aber nicht – wie „Alles steht Kopf“ ein paar Wochen zuvor – vollkommen aus den Socken haut.

© 2015 Disney / Pixar

© 2015 Disney / Pixar

Markus meint: Ich mach’s kurz, Freunde: Ich fand „Arlo & Spot“ traumhaft schön, in Teilen zauberhaft, unfassbar knuffig und manchmal über-hilariös. Die Story ist klassisch und die Prämisse kann natürlich nicht mit der once-in-a-lifetime-genius-idea von „Alles steht Kopf“ mithalten, aber das ist auch überhaupt nicht notwendig. Der neueste Pixar-Streifen hat das Herz am richtigen Fleck und so viele brillante Einzelmomente (egal ob lustig, emotional oder spannend), dass man ihm sogar einige holprige oder klischeebehaftete Momente gerne verzeiht, die man ob des verwirrenden Produktionsverlaufs eigentlich fast schon erwarten konnte. Den größten Reiz der herzberührenden Geschichte machen für mich der Abstraktionsgehalt der Story und das zentrale Thema à la „manchmal muss man eben zweimal hinsehen“ aus. Man sollte es einfach hinnehmen, dass Arlos Familie aus Dinosaurier-Farmern besteht, die viele ihrer Werkzeuge eigentlich niemals verwenden können oder Dinge wie z.B. Zäune überhaupt nicht gebaut haben konnten, trotz des phantastischen Grundtons der Story. Aber bei Pixar weiß man ja auch, auf was man sich einzulassen hat, man rufe sich hierbei allein die Prämissen von „Cars“ und „Oben“ in Erinnerung. Denn auch hier ist Abstraktion das wichtigste Stichwort. Im Kern erzählt Peter Sohns Film ein Western-Comedy-Drama über eine wundervolle Freundschaft zweier Außenseiter, gewürzt mit Coming-of-Age-Elementen und demnach auch mit vielen ernsten Tönen gespickt. Gerade die hervorragenden Gags (welche in sich sensationell gut gepaced sind), die Western-Zitate (auf visueller, inhaltlicher und Dialog-Ebene) sowie die herzergreifenden, traurigen Momente verleihen dem Film seinen unverwechselbaren sowie einzigartigen Charme und Charakter. Zudem ist der Score vom Bruder-Duo Mychael und Jeff Danna schlicht und ergreifend brillant, weswegen sich beide durchaus Hoffnungen auf eine Oscar-Nominierung machen dürfen. Und was zudem überraschend gut funktioniert, ist das Nebeneinander von geradezu fotorealistischer Umgebung und cartoonigen Figuren. Noch stärker als in anderen Pixar-Filmen tritt diese Diskrepanz hier zutage, wodurch es dem Film meines Erachtens auf faszinierende Art und Weise gelingt, das Phantastische, Zauberhafte, Wundersame im Realen zu verorten. Insgesamt betrachtet bewegt sich der Film auch auf einem enorm hohen technischen Niveau – die Landschaften sind einfach atemberaubend schön animiert. Außerdem wird „Der König der Löwen“ kongenial zitiert und ich hatte mal wieder Pipi in den Augen. Mehr wollte ich doch gar nicht. „Arlo & Spot“ reicht Pixars Meisterwerken zwar nicht das Wasser, ist aber nichtsdestoweniger ein Animationsfilm von hoher Qualität geworden, was beim Produktionschaos so nicht zu erwarten war. Last but not least, weil man das wirklich nicht unterschlagen darf: Der kleine Spot ist eine der besten Katalysator-Figuren und einer der lustigsten Comic-Relief-Charaktere der jüngeren Animationsgeschichte. Und zusätzlich noch ein reizvoller Inception-Gedanke, den ich euch mit auf den Weg geben möchte: Ist der ganze Plot tatsächlich so passiert oder gibt es hier analog zu „Oben“ zumindest wieder die Möglichkeit, dass alles auf einer leicht überhöhten Wahrnehmung des Hauptcharakters fußt und Spot demnach Arlos Schutzengel ist? Sicherlich ist diese Theorie nicht komplett haltbar und sicherlich ist es auch nicht zwingend notwendig, die Erzählebenen trennscharf voneinander abzugrenzen, aber ich wollte es zumindest mal erwähnt haben. „Arlo & Spot“ kann abschließend von mir nur folgendes Prädikat erhalten: Worthy – 8/10. (Kleiner Wermutstropfen: In der Pressevorführung wurde der Film ohne den neuen Kurzfilm „Sanjay’s Super Team“ gezeigt. Shame on you, Disney Deutschland.)

Autoren: Carina Diener & Markus Schu

Leave a Reply