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Anna Karenina (2012) Review

Tolstoi? Das sei schwere Kost, hat einer der Klitschko-Brüder mal in einem Werbeclip für Milchschnitte verlauten lassen. Das ist zwar vermutlich korrekt, doch konnte dies Kostümfilm-Experte Joe Wright natürlich nicht daran hindern, eine Adaption des Tolstoi’schen Romans „Anna Karenina“ in die Kinos zu bringen, bei welcher er den Zuschauer mit einer präzisen, durchdachten Herangehensweise begeistert, die diese weitere filmische Neuauflage des Literaturklassikers mehr als rechtfertigt.

„Anna Karenina“ erzählt die tragische Geschichte einer verheirateten Frau, die sich im Russland der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts auf eine Affäre mit dem jungen Grafen Vronsky (Aaron Taylor-Johnson) einlässt und dadurch ihr gesellschaftliches Ansehen verwirkt. Die titelgebende Heldin des Films (Keira Knightley) ist nämlich eigentlich mit dem angesehenen Staatsbeamten Fürst Karenin (Jude Law) vermählt, mit dem sie bereits einen Sohn gezeugt hat. Um der Tristesse in ihrer kühl und durchkalkuliert wirkenden Ehe zu entfliehen, beginnt sie ein amouröses Abenteuer mit dem oben erwähnten adligen Soldaten und ist dann sogar bereit dazu, sich aus leidenschaftlicher Liebe zu diesem von ihrem Gatten scheiden zu lassen und dafür sogar auf ihren Sohn zu verzichten.

Mit theaterhaften Elementen gelingt es Wright, der Tragödie eine gänzlich neue Dimension zu geben und mit Hilfe des gewählten Zugangs zur Geschichte die Erzählung individuell zu präsentieren und so stets seine Sicht der Dinge zu vermitteln. Natürlich ist „Anna Karenina“ auch ein wunderschön anzusehender Ausstattungsfilm geworden, doch entspricht dieser in keinster Weise dem gängigen Genre-Schema nach welchem Kostümdramen generell inszeniert werden. Wer bereits Scorseses analytisch-kühlen und klugen Zugang bei der Adaption von Edith Whartons Roman „Zeit der Unschuld“ mochte, der wird sich auch mit Wrights Tolstoi-Adaption anfreunden können. Wright erzählt also nicht einfach nur die Geschichte des Romans nach, nein, er macht dem Betrachter stets bewusst, dass dies nicht nur eine Adaption, sondern auch vor allem eine Interpretation des literarischen Stoffes ist.

Getreu dem Motto „life is a stage“ durchzieht Wright nämlich den kompletten Film mit an Theaterinszenierungen erinnernden Mitteln und Verweisen: gemalte Hintergründe, Bühnen, auf denen sich das Geschehen abspielt und die innerhalb weniger Sekunden Zeit- und Ortssprünge erlauben, Plansequenzen und ein größtenteils gelungenes Editing lassen den Film wie aus einem Guss wirken und treiben oftmals die Handlung scheinbar ohne Unterbrechungen Zug um Zug und teilweise auch äußerst dynamisch voran. „Anna Karenina“ ist also eigentlich ein Theaterstück, das in vielen Momenten kaum Zeit zum Atemholen lässt und dank der gelungenen Kombination aus genuin filmischen und theaterhaften Stilmitteln im Endeffekt zu einer Symbiose aus Theater und Film verschmilzt. Diese als solche wahrzunehmen dient als Schlüssel dazu, einen Zugang zum Inhalt und vor allem zur Bedeutung des Geschehens zu finden. Warum also die Bühne als zentrales Motiv? Wohl weil alle handelnden Personen Rollen zu spielen haben. Rollen, die ihnen die Gesellschaft auferlegt hat. Rollen aus denen die Protagonisten nicht ausbrechen können oder wollen.

So rebelliert Anna eben gegen etwas, was sie eigentlich gar nicht begreifen kann, sie rebelliert gegen ein etabliertes System und muss irgendwann erkennen, dass es aus diesem für sie vermutlich keinen wirklich zufriedenstellenden Ausweg geben kann. „Ich kann mir keinen besseren Menschen als dich vorstellen, Maman!“, sagt an einer Stelle Annas Sohn zu ihr. Der Zuschauer kann dies natürlich, doch lässt sich die Ehebrecherin überhaupt in eine Kategorie einordnen? Wahrhaft böse ist in „Anna Karenina“ eigentlich niemand, doch wahrhaft ehrlich, vor allem zu sich selbst, ist wahrscheinlich auch keiner. Liebe wird in Frage gestellt, Güte wird in Frage gestellt. Nach was suchen die Charaktere in diesem Film eigentlich? Und viel wichtiger: was finden sie bei ihrer Suche?

Wrights intelligente Herangehensweise an die tragische Geschichte der jungen Frau macht in seinem aktuellen Werk den ganz besonderen Reiz beim Betrachten des Geschehens auf der Leinwand aus. Hier war ein Regisseur am Werk, der sich mit dem zu Grunde liegenden literarischen Stoff auseinandergesetzt hat und sich mit „Anna Karenina“ nachdrücklich für den Status als Autorenfilmer empfiehlt. Das latente Over-Acting einiger Darsteller und manche etwas unglücklich platzierte Comic-Relief-Momente tun dem gelungenen Gesamteindruck fast keinen Abbruch, in der Darstellung der Motivationen seiner Titelheldin hätten Wright und sein Drehbuchautor Tom Stoppard allerdings etwas mehr Sorgfalt walten lassen können. Doch vielleicht war auch gerade das die Absicht des Regisseurs gewesen, der uns immer wieder grübeln lässt, aus welchen Gründen die Protagonisten ihre Entscheidungen treffen. Aus Liebe. Aus Leidenschaft. Aus Vernunft. Aus Verzweiflung.

Der Film beginnt als ein mit den Mitteln des filmischen Erzählens gemachtes Theaterstück, nährt den Zuschauer mit leiser Hoffnung auf einen Hauch Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, lässt seine Helden scheitern, siegen und an sich und der Welt zweifeln und verzweifeln, um uns am Ende die große Illusion von wahrhaftiger und währender Liebe und einem Funken Harmonie in fast bedrückender Art und Weise als solche verstehen zu geben: es ist eben alles „Theater“. Doch ist dies der Wahrheit letzter Schluss? Die Schicksale dreier verschiedener Paare werden dem Zuschauer in Wrights Werk präsentiert und wenigstens bei einem hat man zumindest die vage Hoffnung, dass vielleicht bei diesem doch so etwas wie Liebe existieren und funktionieren kann, weil doch eben jeder die Möglichkeit hat, sich für diese zu entscheiden. Doch ganz sicher kann man sich dessen in „Anna Karenina“ eigentlich niemals sein, kaum einer der Charaktere weiß, was er oder sie tatsächlich will. Sie betrügen, belügen und verletzen einander und nicht zuletzt auch sich selbst.

Aber irgendwo gibt es auch Momente wahrer Liebe, tatsächlicher Zuneigung und Glückseligkeit. Doch werden diese immer in Frage gestellt, indem die Fragilität und die Flüchtigkeit solcher Empfindungen aufgrund der stets mitschwingenden Ängste und Bedrohungen (sowohl von innen als auch von außen) in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt werden. Was wird von anderen erwartet? Was wird den Protagonisten mittels gesellschaftlicher Konventionen auferlegt? Rebellion, Skandale, Täuschungen. Unerfüllte Liebe, Sehnsüchte, Zwänge. Mut, Verzweiflung, Loyalität. Stolz, Gnade, Güte. Vergebung und Tod. Und Wright verpackt das alles zu einer unterhaltsamen und fast schmerzlichen Reflektion über die Aspekte des größten Mysteriums der Zwischenmenschlichkeit. Die unerfüllte Sehnsucht und die Gier nach dem Geliebt-Werden sind daher als zentraler und destruktiver Dreh- und Angelpunkt der tragischen Geschichte zu verstehen.

Manches wird in diesem Film ob der genannten gestalterischen Elemente vielleicht etwas zu plakativ und offensichtlich geschildert, doch macht gerade dies auch den Reiz der Inszenierung aus. Schwerer wiegt hingegen die Tatsache, dass nicht immer sämtliche Handlungen in Gänze nachvollziehbar sind, es fällt daher ein ums andere Mal schwer, Empathie und Sympathie gegenüber der Heldin des Dramas zu empfinden. Aber dennoch muss dem Regisseur und seinem Team ein großes Lob ausgesprochen werden. „Anna Karenina“ ist zwar leider kein unumstößliches Meisterstück geworden, doch besitzt die kluge Adaption etliche meisterliche Szenen, die ihr eine eigene, eine persönliche Note verleihen. Eben das Werk eines Auteurs, der diesen Status auch nun gefestigt haben sollte.


Autor: Markus Schu

3 Responses to “Anna Karenina (2012) Review”

  1. 1
    Sonja Says:

    gute Kritik, muss dir in vielem zustimmen – ich mochte die theaterhaften Elemente auch sehr, wobei mir die Opulenz der Bilder (und der Ausstattung) irgendwann ein bisschen auf die Nerven ging, aber an sich ist es auf jeden Fall ein schön und sehr interessant inszenierter Film. Mir wurde der Zugang allerdings erheblich durch die beiden Hauptprotagonisten Anna und Vronski erschwert, auch wenn Taylor-Johnson in bisherigen Filmen positiv aufgefallen ist, bleibt er hier meiner Meinung nach zu blass. Und Keira Knightley, die ich früher sehr mochte, gibt sich immer plakativer und wird daher uninteressant. Faszinierender war da eindeutig Jude Law als Karenin, was es zusätzlich für mich schwer machte, Sympathie den beiden Protagonisten gegenüber zu empfinden, was bei einer Erzählung deren Leidens und deren Gefühlen doch eigentlich wichtig wäre…

  2. 2
    Markus Says:

    Danke! Ja, ich konnte mit Vronsky und Anna halt auch kaum mitfühlen, was unter anderem auch an ihrem jeweiligen Schauspiel lag. Jude Law war klasse, Domnhall Gleeson und Alicia Vikander waren auch schauspielerische Lichtblicke. Bei Keira Knightley weiß ich eh nie, was ich von ihrem Spiel halten soll. In den ersten 15 Minuten von „Eine dunkle Begierde“ war sie zum Beispiel fürchterlich und danach eigentlich ziemlich souverän.

  3. 3
    Anna Karenina – der Klassiker endlich im Kino Says:

    […] wirsindmovies.com: Wright verpackt das alles zu einer unterhaltsamen und fast schmerzlichen Reflektion über die Aspekte des größten Mysteriums der Zwischenmenschlichkeit (, der Liebe). Manches wird in diesem Film ob der genannten gestalterischen Elemente vielleicht etwas zu plakativ und offensichtlich geschildert, doch macht gerade dies auch den Reiz der Inszenierung aus. Schwerer wiegt hingegen die Tatsache, dass nicht immer sämtliche Handlungen in Gänze nachvollziehbar sind, es fällt daher ein ums andere Mal schwer, Empathie und Sympathie gegenüber der Heldin des Dramas zu empfinden. Aber dennoch muss dem Regisseur und seinem Team ein großes Lob ausgesprochen werden. „Anna Karenina“ ist zwar leider kein unumstößliches Meisterstück geworden, doch besitzt die kluge Adaption etliche meisterliche Szenen, die ihr eine eigene, eine persönliche Note verleihen. […]

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