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American Honey (2016) Review

© Universal Pictures

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„Get caught in the race; of this crazy life“

Wer wir sind und wo es uns ins Leben hinverschlägt, ist eine Frage von Möglichkeiten und Hindernissen, die das Leben für uns bereithält. Wir als Menschen müssen zum richtigen Zeitpunkt die Hindernisse überwinden und die Möglichkeiten beim Schopf packen. Genau nach dieser Maxime beginnt das Abenteuer der 18jährigen Star (Sasha Lane). Als sich ihr die Chance bietet, sich einer nomadenartigen Aboverkaufstruppe anzuschließen, gibt sie ihre beiden Geschwister in die Obhut ihrer an elterlichen Verpflichtungen wenig interessierten Mutter und folgt dem Ruf des extrovertierten Alphatiers Jake (Shia Labeouf). Was Star jedoch nicht bedacht hat, ist der Schritt nach dem ersten Schritt hin zum Glück. Was kommt nach der Überwindung?

„So innocent and pure; American Honey“

Andrea Arnolds Drama „American Honey“ verliert wenig Zeit damit, uns die erdrückende Realität der Protagonistin Star zu präsentieren. Drei Sequenzen reichen dem Zuschauer schon aus, um mit ihr mitzufühlen und ihren Drang zu teilen, aus diesem Luft abschnürenden Alltag auszubrechen. Arnold verdeutlicht auch, dass Star keine falschen Entscheidungen getroffen hat, die sie in diese ausweglose Situation manövriert hätten, aus der sie nun auszubrechen versucht. Vielmehr wurde sie in eine Gesellschaft hineingeboren, die nicht in der Lage ist, sich selbst zu regulieren. Diese Gesellschaft lebt von den unfreiwilligen Kompromissen, die jedes Individuum eingehen muss, damit sie überhaupt funktionieren kann. Aus Mangel an Alternativen erklären sich die Individuen auch zu diesen überlebenswichtigen Kompromissen bereit. Doch sobald sich für Star eine Gelegenheit bietet, aus der Hölle ihres Alltags auszubrechen, sucht sie fluchtartig das Weite.

„There’s a wild, wild whisper; Blowin‘ in the wind“

Die Verkäufergruppe rund um Jake ist somit eine wohltuende Heilsbringung für Star, die plötzlich das Küken einer Gruppe ist, während sie vorher die Erziehungsberechtigte für ihre beiden jüngeren Geschwister war. Inmitten von gleichgesinnten taut sie auf und gibt sich einem Vagabundenleben hin, dass sie vorher nicht für möglich gehalten hat. Hinzu kommt eine auf der Leinwand ausgesprochen gut funktionierende Liebesgeschichte mit Jake, die einen Großteil der treibenden Kraft hinter Stars Handlungen darstellt.

© Universal Pictures

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„I just wanna go back in time; To American honey, yea“

Schnell muss Star aber feststellen, dass ihr neues Leben auch nur aus Alltag besteht, sie nicht frei von Verpflichtungen ist und die Kameradschaft unter ihren neuen Verkaufspartnern eine oberflächliche Ebene nicht verlässt. Vom Freiheitsgedanken, durch das Land zu reisen und neue Erfahrungen zu machen, bleibt nicht mehr viel Zeit bei täglichen Verkaufsgesprächen vor den Türen wildfremder Personen. Star muss feststellen, dass ihr Geschäft daraus besteht, die Gutmütigkeit, Einfältigkeit oder Situation von ahnungslosen Menschen auszunutzen.

„Oh I miss those days as the years go by; Oh nothin’s sweeter than summertime“

Tagein tagaus reist die Gruppe durch die Vereinigten Staaten, immer auf der Suche nach neuen Kunden und neuen Möglichkeiten, Geld zu machen. Tatsächlich verbringt Arnold eine gefühlte Ewigkeit damit, den Alltag der Gruppe darzustellen. Zwar erleben Star und Jake einige Abenteuer, die direkt aus Verkaufsgesprächen mit potentiellen Kunden resultieren, doch vom Prinzip her hätte man nicht so viel Zeit mit jenem Alltag verbringen müssen. Betrachtet man noch die extrem lange Spielzeit von „American Honey“ (mit 164 Minuten nicht gerade ein Film für zwischendurch), würde man sich im ersten Moment eine deutlich kürzere Spielzeit wünschen. Auf der Metaebene jedoch spielt Arnold genau mit dem Gefühl des Unbehagens und der Beklemmung beim Zuschauer. Wir haben uns mit Star gefreut, dass sie ihr schreckliches Leben hinter sich lassen konnte. Ähnlich wie sie voller Vorfreude auf neue Erfahrungen war, waren wir es als Zuschauer im Angesicht der potenziellen filmischen Inszenierung eben dieser Erfahrungen. Und genau wie Star irgendwann erkennen musste, dass ein zweiter Schritt für sie nicht sichtbar ist, sie sich eher auf eine neue, erdrückende Realität einstellen muss, müssen wir als Zuschauer erkennen, dass wir es hier eben nicht mit einem Coming-of-Age-Film zu tun haben, hier wird uns kein erzählerischer Höhepunkt präsentiert, die Protagonistin kehrt nicht geläutert in ihr altes Leben zurück, sie gibt sich ihrem neuen Leben fast schon willenlos hin. Großartig wird diese Erkenntnis von Arnold durch eine Szene gegen Ende des Films inszeniert, als die gesamte Crew im Tourbus sich auf dem Weg zu einer neuen Stadt befindet und herzhaft zum titelgebenden Lied des Films mitsingt. Alle bis auf Dreema, das neueste Mitglied, die sich noch nicht mit der Gruppe identifizieren kann sowie Star, Jake und Krystal (Riley Keough), die Chefin des Trupps. Den dreien ist bewusst, dass sie das bestmögliche Leben führen, dieses Leben aber keineswegs erfüllend ist und auf sie kein weiterer Ausweg warten wird.

Andrea Arnolds „American Honey“ beweist Mut mit der Entscheidung, vordergründig keine Geschichte zu erzählen, sondern Gefühle darzustellen. So geht sie schon visuell ein Risiko ein, indem sie im gesamten Film ein 4:3-Bildverhältnis nutzt und damit nicht den filmischen Standards entspricht. Ihre Reise durch die USA, zwischen der absoluten Armut und der dekadenten Lebensweise der Oberschicht alleine ist schon das Eintrittsgeld wert, die Geschichte des American Honey Star aber ist das bisherige Highlight des Kinojahres 2016. Der Film verdient sich seine 9/10.

Autor: Mamon Hassani

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